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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Freund erbiete ich mich für die nächsten Jahre, bis sich Ihnen ein gesicherter Absatz Ihrer Tuche eröffnet hat, mit einem geringeren Zinssatze zufrieden zu sein und stelle nur die Bedingung, daß Sie einem heftigen Zusammenstoße mit Ihren Arbeitern vorbeugen und in eine kleine Erhöhung der Löhne einwilligen. Antworten Sie mir jetzt nicht, junger Freund! Erwägen Sie meine Worte – wir wollen erst in einigen Tagen einen Beschluß fassen.“

„Sie sind sehr gütig, Herr Kayser! Glauben Sie mir, es thut meiner Dankbarkeit gegen Sie keinen Abbruch, wenn ich sowohl die Bedenkzeit, wie Ihr gütiges Anerbieten ablehnen muß.“

„Lehnen Sie nicht ab, mein Junge! Tragen Sie den hiesigen Verhältnissen und der augenblicklichen Stimmung der Arbeiter Rechnung!“

„Es geht gegen meine Grundsätze, einer ungerechten Forderung aus feiger Furcht vor den etwaigen unangenehmen Folgen nachzugeben. Sie wissen es ebenso gut wie ich, daß ich eine bedeutende Zulage, selbst wenn ich wollte, nicht gewähren kann. Mit einer Kleinigkeit aber ist den Leuten nicht geholfen – lassen wir es daher beim Alten!“

„Sie werden schon ohnedies als Eindringling betrachtet. Man sieht in Ihnen mehr den preußischen Eroberer, als den ruhigen, gewerbthätigen Bürger. Werden Sie den Zeitverhältnissen gerecht, bewilligen Sie eine Kleinigkeit! Sie zeigen dadurch Ihren guten Willen.“

„Das würde in diesem Falle heißen: Ihre Schwäche. – Wer würde dabei gewinnen? Mein Nachgeben würde die Leute zu neuen Forderungen ermuthigen, und mit Recht. Einem Manne, der einmal schwach und feige gewesen ist, kann man dies auch zum zweiten Male zutrauen. Sehen Sie nicht ein, daß das den Krieg verschieben, nicht auskämpfen hieße?“

„Sie wollen also nicht?“

„Ich kann und will nicht.“

„Gut, so tragen Sie die Folgen, Sie – Sie – Sie – preußischer Stierkopf!“

„Es ist nicht das erste Mal, daß Sie mir sagen, welche gute Meinung Sie von mir haben.“

Der Mann, welcher die letzten Worte mit einem schwachen Lächeln auf seinem ernsten, ausdrucksvollen Gesichte gesprochen hatte, erhob sich von dem Sopha, auf welchem er neben seinem Gaste gesessen hatte, und machte einen Gang durch das Zimmer. Der Andere blieb sitzen und schaute ihm, seine weißen, wohlgepflegten Hände auf den goldenen Knauf seines Stockes gestützt, grimmig nach. Zwischen den beiden Männern bestand eine herzliche Freundschaft, und doch trennten sie sich kaum jemals, ohne einen heftigen Kampf ausgefochten zu haben. Der Aeltere, der ehemalige Fabrikbesitzer Kayser, war ein wohlconservirter, stattlicher Fünfziger. Seine hellen grauen Augen blickten unter buschigen Brauen scharf und klug hervor, und als er sie jetzt auf seinem jüngeren Freunde ruhen ließ, verloren seine Züge allmählich den Ausdruck lebhaften Aergers und nahmen wieder den eines grimmigen Wohlgefallens an. Es lag in dem Aeußeren von Max Reinhard Vieles, was Herrn Kayser als Ausdruck dessen erschien, was er den preußischen Hochmuth und den preußischen Dünkel nannte und was ihm eher antipathisch als anziehend war. Aber die ganze Erscheinung des jungen Mannes – seine hohe, feste Gestalt, seine straffe soldatische Haltung und der ernste, gebietende Blick seines Auges zeugten von Kraft, Muth und Energie – Eigenschaften, die ihn stets zur Bewunderung gezwungen hatten und denen er auch jetzt bei dem jungen Preußen seine Achtung nicht versagen konnte, selbst wenn sie, wie in diesem Augenblicke, dazu gebraucht wurden, seinen Willen zu durchkreuzen.

Es war nach den letzten Worten Reinhard's eine Pause eingetreten, während welcher der Gast seine Auge von dem verdüsterten Gesichte seines Wirthes auf die Gegenstände schweifen ließ, welche ihn umgaben. Das Gemach war hoch, hell und freundlich, aber Alles darin zeigte sich fast bis zur Nüchternheit einfach. Der junge Hausherr hatte augenscheinlich Recht, als er den Ausspruch that, daß man in seinem Hause sich jeden Luxus versage. Aber trotz dieser Einfachheit machte das Zimmer einen behaglichen Eindruck, der zum größten Theile dadurch hervorgebracht wurde, daß ein gebildeter Geschmack und ein Geist peinlichster Ordnung aus jedem Gegenstande sprach.

Die Beobachtungen des Herrn Kayser und die Reflexionen, welche sich ihm zur Entschuldigung für Reinhard's Starrköpfigkeit daran knüpfen wollten, wurden durch das Oeffnen der Thür unterbrochen. Ein zierliches Zimmermädchen steckte ihren wohlfrisirten Kopf herein und meldete, daß der Thee servirt sei.

„Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, so lange zu bleiben,“ sagte Kayser, langsam seinen Sophaplatz verlassend und unentschlossen stehen bleibend.

„Sie werden doch jetzt nicht aufbrechen, lieber Herr Nachbar. Was würde meine Schwester davon denken, wenn ich ohne Sie käme?“

„Wahrscheinlich das Richtige: daß wir uns entzweit haben.“

„Ich behaupte, daß dies gerade das Unrichtige wäre. Zwei Männer können sehr wohl einmal verschiedener Ansicht sein. Wenn sie aber Beide gerecht und billigdenkend sind, so kann dies zu keinem ernstlichen Zerwürfnisse führen. Marie würde sich unnöthiger Weise beunruhigen, wenn Sie nicht kämen.“

Er hatte während dieser Worte die Flügelthür geöffnet, die in das anstoßende Zimmer führte.

„Die und sich beunruhigen!“ murmelte Kayser zwischen den festgeschlossenen Zähnen hervor, während er über die Schwelle spazierte, „ich möchte wohl wissen, ob selbst der Teufel im Stande wäre, die zu beunruhigen.“

Die Worte waren augenscheinlich nicht für das Ohr des Hausherrn bestimmt, und dieser ignorirte sie mit feinem Lächeln.




2.

Im Nebenzimmer, einem hohen luftigen Gartesaale, war der zierlich servirte Theetisch vor die geöffnete Balconthür gerückt. Die Theemaschine brodelte und zischte, die Stühle waren zurecht gestellt – aber die Dame des Hauses fehlte noch. Der Gast warf einen forschenden Blick durch das Gemach. Er kannte den Raum wohl. War es doch erst kurze Zeit her, daß er dieses Haus verlassen und seine nahe gelegene schöne Villa bezogen hatte, aber wie hatte sich hier Alles verändert! Die schadhafte Tapete, die er, der Wittwer, der allein lebende Mann, dem die Bequemlichkeit des Lebens mehr galt als die Anmuth desselben, noch für manches Jahr für gut genug erklärt hatte, war durch eine neue ersetzt worden, deren buntes Blumenmuster auf hellem Grunde dem Gemache ein ungemein freundliches Ansehen gab. Weiße luftige Vorhänge umwallten die hohe Fenster. Kein Stäubchen war auf den glänzenden dunkeln Möbeln oder auf dem in matten Farbentönen gehaltenen Teppich zu sehen. Der Gast streckte die Unterlippe vor und betrachtete Alles mit kaustischem Lächeln.

Auf einem zierlichen Arbeitstischchen an einem der Fenster lagen Bücher und Journale. Lange: „Geschichte des Materialismus“ – Heyse: „Moralische Novellen“ – Lewes: „The life of Goethe“ las er auf den Titeln. Seine buschigen Augenbrauen sanken noch tiefer als gewöhnlich über seine grimmig blickenden Augen herab.

„Ihr Fräulein Schwester ist, wie es scheint, eine gelehrte Dame,“ sagte er in einem Tone, der dieses zweifelhafte Lob noch zweifelhafter machte.

„Behüte!“ entgegnete Reinhard, der ihn mit leisem Lächeln beobachtet hatte. „Sie hat den in unserer Heimath ganz gewöhnlichen Bildungsgang durchgemacht und gerade genug gelernt, um solche Werke“ – er zeigte auf den Büchertisch – „verstehen und würdigen zu können.“

„Wenn ich eine Tochter besäße – ich danke Gott, daß dies nicht der Fall ist –, so würde mir solch unnützer Kram, der ihr nur den Kopf verdreht hätte, niemals in's Haus gekommen sein. Gut kochen, backen, das Haus in Ordnung halten und die Dienstboten beaufsichtigen – das hätte sie lernen müssen. Was darüber ist, das ist vom Uebel.“

„Das sind Ansichten, über die wir nicht streiten wollen, lieber Nachbar,“ entgegnete Reinhard lächelnd. „Ihre Tochter, wenn Sie eine gehabt hätten, würden Sie natürlich nach Ihren Grundsätzen erzogen haben. Niemand hätte Ihnen das Recht dazu bestreiten können. Indessen ist es immerhin fraglich, ob eine solche Erziehung den Ansprüchen genügen würde, die ein Mann heutzutage an seine Gattin stellt.“

„O mein Lieber, hier zu Lande giebt es – Gott sei Dank! – noch Männer, die gleich mir der Ansicht sind, daß das Wenige,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_662.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)