Seite:Die Gartenlaube (1877) 645.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


seiner eigenen Partei. Kein Wunder, daß es in Wuth gerieth. Aber ich habe ihn schützen lassen. Gent hat Euch gerächt – die kehren nicht wieder.“

„Aber die Folgen, Herzog, die Folgen!“

„Leider!“ stimmte Cleve mit besorgter Miene zu. „Auch ich fürchte, so unschuldig wir sind: Gent wird der Männer und eines starken Armes bedürfen.“

„Was ist das?“ rief plötzlich Hugo vom Balcon. „Das Volk kehrt von Neuem auf den Schloßplatz zurück. Die Hauptschreier voran!“

In der That ließ sich ein Getöse, wie heranschwellende Fluth, mit lärmenden Stimmen untermischt, vernehmen.

„Um des Heilands willen, was wollen sie noch?“ rief Maria, ihre Frage unwillkürlich an den Herzog richtend.

Cleve zuckte die Achseln.

„Ich höre den Namen des Prinzen von Cleve rufen,“ meldete Hugo.

Der Prinz wandte sich unwillig ab.

Immer näher schwoll der Tumult heran. Wieder erzitterte die Luft von hunderten von Stimmen vor dem Schlosse.

„Prinz von Cleve! Prinz von Cleve!“ rief es in wüstem Durcheinander.

Der Prinz stampfte mit dem Fuße.

„Prinz von Cleve! Prinz von Cleve!“ erdröhnte es, durch neuen Zuruf verstärkt, noch gewaltiger.

„Mein Gott, Prinz, sie rufen Euch. Zeigt Euch doch auf dem Balcon!“ flehte Maria.

Widerwillig, mit finsterer Miene, trat der Prinz hinaus.

Lautes Gebrüll empfing ihn.

„Heil, heil! Lang lebe der Prinz! Der tapfere Prinz! Heil unserm Herzog! Heil Adolf und Maria!“

Aber der letzte Ruf: „Heil Adolf und Maria!“ behielt die Ueberhand. Es war das Stichwort des gewaltigen Basses, das zuletzt alle Stimmen auf sich vereinigte.

Der Prinz, der einen Augenblick wie betäubt von dem Empfange dagestanden, fühlte jetzt offenbar Scham; er machte eine zornig abwehrende Bewegung mit der Hand und verließ rasch den Balcon.

Die Menge aber, die keine Ahnung von seinem persönlichen Widerwillen gegen ihre Absichten, geschweige denn gegen sie selbst hatte und längst darauf vorbereitet war, daß Maria ihren Wünschen nicht günstig sei, legte das auffallende Benehmen des Prinzen in diesem Sinne aus. Ein unbeschreiblicher Tumult folgte.

„Sie will nicht. Sie muß. Zwingt sie, zwingt sie!“ tobte es drunten in allen Tonarten, und als die bekannte Baßstimme jetzt den Empfindungen Aller in den zwei Worten Ausdruck gab: „In’s Schloß!“ da klirrten die Fenster im Saale von dem donnernden Rufe: „In’s Schloß, in’s Schloß!“

Maria warf sich in die Arme der Aebtissin.

„Sein letzter Schachzug!“ murmelte Hugo, mit verschränkten Armen beobachtend, für sich.

Die Thür öffnete sich. Der Kanzler trat herein. Blasser als gewöhnlich, warf er einen fast vorwurfsvoll flehenden Blick auf Cleve, als wolle er sagen: „Deine entfesselten Gewalten schlagen uns über dem Kopfe zusammen – nun hilf!“ und trat vor die Herzogin.

„Seid gefaßt, Hoheit!“ redete er sie mit erregter, leise zitternder Stimme an. „Die furchtbaren Drohungen der Franzosen haben das Volk erschreckt. Sie sollen geschworen haben, noch in dieser Nacht mit dem Heere vor der Stadt zu erscheinen und keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Das Volk verlangt einen Feldherrn, einen Herzog – den Prinzen Adolf.“

„Base! Base!“ schluchzte Maria an der Brust der Aebtissin.

„Bete, armes Kind, bete mit mir!“ war der einzige Trost ihrer frommen Beschützerin.

Cleve trat vor. Ein friedlicher Ernst, ein fast wehmüthiges Mitgefühl lag in seinen wasserblauen Augen.

„Theure Herzogin,“ sagte er mit dem Tone eines väterlichen Freundes, „es ist gekommen, wie ich gefürchtet. Aber das Volk hat so Unrecht nicht. Die Gefahr ist groß. ... Es ist wahr, ich muß Euch parteiisch erscheinen, denn es ist mein Sohn, den sie zum Herzog verlangen. O, könntet Ihr mir in’s Herz blicken! Nur den einen Wunsch, Euch zu retten, Euch Krone und Land zu erhalten, würdet Ihr darin finden – das habe ich mir gelobt; das will ich als Ehrenmann halten. Aber um Eines beschwöre ich Euch, flehe ich Euch an: Wer es auch sei, den Ihr erkoren, zögert nicht, ihn jetzt dem Volke zu nennen und dem Lande freiwillig zu geben, was es verlangen kann, ja wozu es Euch zwingen würde mit Bedrohung Eurer Freiheit, Eures Lebens – einen Mann, einen starken Arm, einen Retter in der Noth!“

„So ist es,“ bestätigte Ravestein. „Der Herzog spricht die Wahrheit.“

„Herr Gott im Himmel, was soll ich thun?“ flehte Maria verzweifelnd nach oben.

Wieder wurde die Thür aufgerissen. Ein Diener stürzte in den Saal.

„Sie dringen auf die Schloßwache ein.“

Der Prinz sprang vor. „Soll ich hinunter und Feuer geben lassen?“ fragte er Maria.

„Der Dummkopf!“ raunte Cleve erbittert dem Kanzler zu.

„Nein, nein, nein!“ wehrte angstvoll Maria.

„Dann entschließet Euch!“ sagte fast streng der Herzog.

„Entschließet Euch!“ wiederholte flehend der Kanzler.

„So ist denn gar kein Ausweg?“ jammerte, mit Thränen in den Augen, die unglückliche Fürstin. „Base – Herzog – Kanzler!“ Und mit bittend gefalteten Händen ging sie von Einem zum Andern.

„Keiner!“ sagte Cleve und nahm sie, wie ein willenloses Opferlamm, das nur noch des Gnadenstoßes bedarf, mit dem Kanzler auf die Seite, wo beide mit gedämpfter Stimme auf sie einsprachen.

Der Prinz horchte während dessen an der offenen Thür nach unten. Vom innern Schloßhofe drang ein Gewirr von Stimmen herauf, wie wenn zwei streitende Parteien im Begriff sind, von Worten zu Thätlichkeiten überzugehen.

Die Aebtissin war auf die Kniee gesunken und betete. Adelheid zitterte am ganzen Leibe und starrte mit vorgebeugtem Kopfe auf die Thür, als ob von dort jeden Augenblick das Verderben auf sie hereinbrechen könne. Hugo behauptete mit verschränkten Armen seinen Platz am Balcon und beobachtete fast lächelnd den Vorgang.

„Gut in Scene gesetzt!“ murmelte er. Dann blieb sein Auge entzückt auf Adelheid’s Gestalt haften.

Der Lärm wurde drohender; er wälzte sich, wie es schien, schon die Treppe hinauf. Da warf Adelheid entsetzt einen hülfesuchenden Blick durch den Saal. Ihr Blick fiel auf Hugo, und instinctmäßig ihren einzigen Beschützer in ihm erkennend, flog sie blitzschnell zu ihm hinüber.

„Verlaßt mich nicht, Ritter! Ich bin in Todesangst,“ flehte sie mit gefalteten Händen.

„Ei, so verzagt, Fräulein?“ lächelte er.

„Ach, Ritter, ich bin auch nur tapfer, wenn keine Gefahr ist. Hört nur die schreckliche Pöbelhorde!“

„Wofür fürchtet Ihr denn?“

„Für meinen Kopf! Für meinen Kopf!“

„Aber Fräulein, verliert ihn doch nicht selbst! Dieses Alles gilt ja nur der Herzogin.“

„O Ritter, die ist gut daran. Die braucht nur zu heirathen, um sich zu retten. Aber ich! – Sie werden sagen, ich hätte ihr schlecht gerathen, werden mich köpfen, wie Hugonet und Imbercourt, und ich kann doch schwören, daß ich niemals gefragt worden bin.“

„Schwöret nicht! Helfet lieber retten!“ sagte Hugo mit gedämpfter Stimme.

„Ich?“

„Pst! – Spielet der Herzogin ganz heimlich dieses Billet in die Hand!“ Und damit steckte er ihr ein Streifchen Linnenpapier zu. „Wollt Ihr?“

„Von Euch? – Ein Billet?“ fragte sie, trotz ihrer Todesangst noch von Mißtrauen erfüllt.

„Leset es denn!“

Die Eifersüchtige konnte sich nicht enthalten, einen ängstlich begierigen Blick hineinzuwerfen.

„Teuerdank?“ sagte sie aufblickend. „Wer ist Teuerdank?“

„Ihr werdet es erfahren. Pst! Man beobachtet uns.“

So war es allerdings. Während Cleve eben der Herzogin die Vorzüge ihrer künftigen Stellung unter seiner Aegide in’s

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_645.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)