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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


aus führt der Weg nach dem sogenannten „Verein“, dem herzoglich nassauischen Jagdschlosse, das noch im vorigen Jahre nett und zierlich auf dem Bergrücken stand, im heurigen Frühjahr jedoch von einer Lawine „fortgefegt“ worden ist.

Diese Bezeichnung ist nicht übertrieben, wenn man die schlichten Berichte der Jäger beherzigt, die zur kritischen Zeit am Platze waren. Schon einige Tage vor dem fraglichen Ereigniß hatte sich ein Jagdgehülfe auf den Verein begeben, um das Geschäft der Wildfütterung zu besorgen; da trat plötzlich ein ungeheurer Schneefall ein, der es ihm unmöglich machte, nach Hause zu kehren. Die Forstleute im Thale wußten sofort zu beurtheilen, daß sich ihr College in schwieriger Lage befinde, und machten sich in der Zahl von vier oder fünf Mann auf, um dem Abgesperrten entgegenzugehen und einigermaßen Bahn zu brechen.


Durch's Lainthal. Weg auf den „Verein“.

Partien bei Mittenwald.
Nach der Natur aufgenommen von Gustav Sundblad.


Sie waren kaum in der in der Nähe des Jagdschlosses befindlichen Jägerhütte angelangt – da wirbelte es von oben wie ein Sturmwind herab; ein gewaltiger Luftdruck erschütterte das Häuschen; vier Mann vermochten kaum die Thür zu schließen; der fünfte mußte sich an der Bank festhalten, um nicht auf den Boden geschleudert zu werden; es ward plötzlich ganz finster; die Leute dachten zunächst an den endlichen Zusammenbruch des vieltausendjährigen Sterns – da wurde es mit einem Male wieder Tag; sie wagten sich heraus, und siehe da! eine mächtige breite Furche zog sich von oben nach unten, als ob eine ungeheuere Schlange darüber geglitten wäre – das Jagdhaus war verschwunden. Der am oberen Futterplatze befindliche Jagdgehülfe ward vom Luftdruck zu Boden geschleudert und büßte dabei einen Zahn ein, woran jedoch nicht die Lawine, sondern der leidige Pfeifenstummel die Schuld trug.

Merkwürdig bleibt die Thatsache, daß einzelne Einrichtungsgegenstände, mitunter sogar sehr zerbrechlicher Natur, fast unversehrt gefunden wurden, während das Balkenwerk wie Stroh geknickt und ein großes kupfernes Wasser-Reservoir total zusammengequetscht vorgefunden wurde. Interessant ist ferner der Umstand, daß einzelne Stücke der Mobiliarschaft auf den Höhen in bedeutender Entfernung verstreut gefunden wurden; so entdeckte man weit vom Orte des Unglücks entfernt die total unversehrte Commode des Erbprinzen, an der sogar noch der Schlüssel steckte. Der Schaden beziffert sich natürlich sehr hoch und wird einen fetten Posten im Jagdconto des Herzogs bilden. Das Schlößchen soll jedoch in Bälde wieder aufgebaut werden, vermuthlich an einer besser geschützten Stelle. Bei dem Umfang des Jagdbezirkes, welcher dem herzoglichen Nimrod offen steht – circa vierzigtausend Tagwerk – stellen sich die Ausgaben übrigens ohnedies sehr hoch, während die Einnahmen kaum ein paar Procenttheile ausmachen. Das Personal besteht aus zwölf tüchtigen Jägern, die jahraus, jahrein einen angestrengten Dienst versehen müssen, denn dieser Jagdbezirk gehört zu den wildreichsten des baierischen Hochlandes und wird natürlich von unberufenen Jagdliebhabern ebenso eifrig besucht, wie andere.

Von der Seinsklamm zurück hat man nur noch eine kleine Strecke Weges vor sich, bis man in den Marktflecken Mittenwald gelangt, dessen eigenthümliche Bauart schon von weitem auffällt. Sämmtliche im alten Gebirgsstile errichteten Häuschen mit den flachen, steinbeschwerten Schindeldächern sind hart an einander gebaut und stehen mit der Giebelseite nach der Straßenfront, sodaß die Dächer jeder Häuserreihe eine regelmäßige Zickzacklinie bilden. Das Aeußere der Häuser deutet um ein paar Jahrhunderte zurück auf die Epoche des Aufblühens dieses Ortes, der durch Fertigung von Saiteninstrumenten, an der sich fast die ganze Einwohnerschaft betheiligt, einen Weltruf erlangt hat. An den Frontseiten der stattlicheren Häuser sind häufig Malereien,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_638.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2020)