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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Ah, Freund Huy!“ sprach er launig. „Wie immer im Gefecht mit dem Fräulein?“

„Im Scheingefecht, Herr Herzog.“

„Als Vorübung zum wirklichen,“ lachte Cleve.

„Dazu fehlt der Dritte, Herr Herzog.“

„Welcher?“

„Der Priester.“

„Lustig das! Nennt Ihr die Ehe ein wirkliches Gefecht, Ritter?“

„Einen Zweikampf auf Leben und Tod, Herr Herzog.“

„Aha, darum scheint ihm hier der eine Theil bei Zeiten durch Flucht ausgewichen zu sein ... Was sehe ich, Fräulein?“ rief er dann Adelheid zu. „Ihr habt das Turnierfeld geräumt?“

„Ich liebe nur gegen offenes Visir zu fechten, Herzog,“ erwiderte Adelheid, den Balcon verlassend und sich eifrig fächelnd.

„Und doch führt das Fräulein selbst ein Visir,“ warf Hugo spottend ein. „Denn was ist anders der Fächer für die Frau, als das Visir für den Mann?“

„Ganz recht, beide verbergen das verrätherische Auge,“ lachte Cleve, indem er aus seinem eigenen biederen Auge einen sonderbaren Blick auf ihn warf.

Adelheid aber, welche die Bemerkung auf sich bezog, ließ den Fächer nieder und sah dem Herzoge gerade in’s Auge.

„Das meine bedarf des Fächers nicht, Herr Herzog.“

„Also das seinige?“ vervollständigte Cleve scherzend ihren Gedankengang. „Ei, Ihr macht mich neugierig. Was hat denn der Günstling der Herzogin zu verbergen? ... Intriguirt doch nicht am Ende für den Dauphin?“

„Um in Gent geköpft zu werden,“ lachte Hugo.

„Oder für einen gewissen Erzherzog?“ fuhr Jener nicht ohne einen lauernden Blick fort.

„Oder für einen gewissen Prinzen von Castilien,“ spottete Hugo, „oder einen gewissen König von Neapel, oder einen gewissen Herzog von Savoyen, oder für George von Clarence, oder Karl von Angoulême, oder Ludwig von Luxemburg, oder Reinhardt von Lothringen, oder – Gott hab’ ihn selig – für Adolf von Geldern noch nach seinem Tode, oder wer sich sonst noch das Goldene Vlies von Burgund holen möchte. ... Nein, Herzog, da würde ich doch, schon aus Dankbarkeit, für den eilften Freier, meinen bisherigen Herrn, Sforza, Partei nehmen, wenn sich nicht ein guter Hofmann allemal nach dem Winde richtete, und hier weht, wie bekannt, Clever Wind.“

Der Hieb oder die Schmeichelei, wie man’s nehmen wollte, saß.

Adelheid war fast erschrocken von der Kühnheit, gegen den Allmächtigen in Gent eine solche Antwort zu wagen. Bei Cleve aber, als er einen Augenblick an seiner Lippe genagt hatte, mußte wohl die günstigere Auffassung überwiegen, wie sie auch nach der Betonung des Wortes „Clever“ grammatikalisch die richtigere war.

„Ihr schmeichelt, Ritter,“ sagte er mit sanftestem Tone, indem er nach Art Verschämter vor sich niedersah, „aber Ihr habt Recht. Eure erhabene Gebieterin beginnt einzusehen, daß sie Niemand finden könnte, der ihr mit mehr Hingebung zur Seite stände. Und ein günstiger Wind thut bei Gott Noth, um ihr die Krone zu retten – der Himmel wolle ihn uns gnädig gewähren!“

Ein frommer Augenaufschlag der wasserblauen Augen hatte die letzten Worte begleitet. Dann wandte er den Blick seitwärts. „Ah, Ravestein!“

Der Kanzler Adolf von Ravestein war eingetreten. Ein Mann im Alter des Herzogs, etwas kleiner als dieser, das Haar stark mit Grau untermischt, mit klugen Augen, angethan mit einer talarartigen, pelzverbrämten Schaube und schmucklosem Barett, eine goldene Kette gleich dem Herzog auf der Brust, zeigte er im Gesicht die Spuren überstandener Leiden. In der That war nach der Hinrichtung seiner Vorgänger auch er, als franzosenfreundlich verdächtig, nur mit Mühe dem Tode entronnen und durch formlosen Richterspruch verbannt worden. Der Herzogin aber war es bald gelungen, das Urtheil wieder aufheben zu lassen; Ravestein hatte sich von der Anklage zu reinigen vermocht, wurde Kanzler und schien, seit er die Segel des Herzogs von Cleve sich schwellen sah, das Staatsschiff mit dem zerbrochenen Ruder unbedenklich an das Fahrzeug desselben zu hängen.

Dieser ging ihm jetzt entgegen und nahm ihn wie einen vertrauten Freund auf die Seite.

„Sind alle Maßregeln getroffen?“ fragte er eifrig.

„Genau nach Eurer Angabe, Herzog. Der Bote, der die Gesandtschaft abbestellt, ist angewiesen, zu spät zu kommen, angeblich, weil ihn das Gedränge der Volkshaufen gehindert.“

„Gut, gut. Ein Glück, daß ich Euch rechtzeitig begegnen mußte! Mein ganzer Plan hätte Schiffbruch gelitten durch diese Weiberlaune. Ich selbst habe unterdessen das französische Gold austheilen lassen. Jetzt – wirbt es für mich unter dem Volk. Lustig! Zwei Fliegen auf einen Schlag! Das gute Volk von Gent nimmt Euch mit seinen kräftigen Lungen die Last ab, die Euch die Herzogin so großmüthig auf Eure schwachen Schultern geladen. Ludwig zieht mit seiner Werbung heim, ja, er bezahlt mir noch die meinige, und wir waschen vor ihm unsere Hände in Unschuld.“

„Dennoch fürchte ich, die Folgen werden nicht ausbleiben. Des Königs Heer steht zu nahe. Seine Rache wird uns treffen, wer ihm auch den Schimpf angethan haben mag.“

„Pah! Laßt mich nur erst Regent sein! Vom eilften Ludwig läßt sich Alles erkaufen. ... Nein, nicht er ist es, der mir Unruhe macht. Vor Maximilian und vor Verräthern hier gilt es auf der Hut zu sein. Dieser geheimnißvolle Raub der Papiere steht auch damit in Verbindung.“

„Der kommt sicher vom 'Hugh'.“

„Hörtet Ihr Neues über den Bund?“

„Nichts, mein gnädiger Herr. Der gemeine Mann schwört darauf, es sei ein schrecklicher Waldgeist, der jedem Verräther den Hals umdrehe. Der Bürger glaubt, es sei ein Bund gegen Frankreich, und dieser Raub der Papiere spricht so auffallend dafür und ist so vortheilhaft für Euch, daß man glauben könnte, der Thäter sei ein halber Verbündeter von Euch.“

„Die halben sind die schlimmsten, Kanzler,“ versetzte der Herzog. „Aber das Alles täuscht mich nicht. Wisset, Maximilian ist nicht mehr in Köllen. Ich habe die neuesten Nachrichten. Kommt in jene Nische!“ Und, ihn unter dem Arm nehmend, dämpfte er seine Stimme bis zum leisen Flüstern. „Der Erzherzog war Jagens halber an der Grenze. Fast hatte ich ihn schon in meiner Gewalt, und nur wie durch ein Wunder ist er mir entschlüpft – angeblich durch einen Ruf nach Wien, aber es war eine Finte, denn man hat seine Spur bis über Aachen hinaus die Grenze nordwärts entlang verfolgt. Mein Leibjäger berichtet es mir durch Eilboten. Er selbst ist ihm auf den Fersen, um ihm auf kürzerem Wege den Paß zu verlegen, wenn er sich etwa durch Nordbrabant schlagen will. Ein Verräther von hier scheint im Spiele zu sein. Ich habe Verdacht auf den 'Hugh' und wittere etwas von einer Mittelsperson im Schlosse. Aber sie werden sich täuschen. Alles, was mir von Reitern zur Hand, habe ich die Straße nach Brüssel geschickt, und eine Kette von Wachen ist rings um Gent gezogen, die Niemand frei passiren läßt. Keine List, keine Verkleidung wird schützen. Nein, fiele es dem Erzherzog wirklich ein, zu kommen, so könnte er mir nicht entgehen.“

„Die Schwierigkeit wäre nur, was dann mit ihm anfangen.“

„Meint Ihr?“ lächelte Cleve.

„Sein Vater ist Euer höchster Gebieter und er selbst der Erbe des römischen Reiches. Und wenn Ihr Euch nicht schnell durch ein französisches Bündniß schützet ...“

„Rathet Ihr das?“ fragte Cleve, indem er ihn mit einem eigenthümlichen Blicke fixirte.

„Ich meine nur, die Reichsacht müßte Euch sicher Euer Herzogthum kosten,“ wich der Kanzler aus.

„Pah, wer fragt nach dem Schilling, wenn sich’s um Rosenobles handelt. Aber immerhin schlimm, sehr schlimm!“ nickte der Herzog, scheinbar zustimmend.

„Was bliebe Euch also übrig?“

„Das will ich Euch sagen, Kanzler, nachdem ich einen Einblick in Eure Gedanken gewonnen und Eurer Zustimmung sicher bin. Seht, Kanzler –“ und ein ironisches Lächeln flog über seine Lippen – „hätte ich den Prinzen, so würde ich ihn, wohl oder übel, mit devotester Höflichkeit über die Grenze zurückgeleiten lassen und ihn submissest bitten, nicht eher wiederzukommen, bis hier sein kostbares Leben nicht mehr von Aufrührern bedroht

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