Seite:Die Gartenlaube (1877) 589.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


macht und der Welt verkündigt, daß sie das Individuum beherrscht. Der Gesang des Vogels ist die schönste Blüthe dieses Triebes. Er bildet das Stimmorgan aus, giebt ihm die Geschmeidigkeit, die Fülle, die Kraft, den Zauber, die Seele. Kreisend unter der Sonne, im blauen Aether, vermag selbst der Raubvogel schönere Töne hervorzubringen, wenn er um des Weibchens Gunst wirbt. Raben und Sperlinge werden zur Minnezeit Sänger, wenn auch nur mit dem allerbeschränktesten Repertoire. Das Meckern der Becassine, das Balzen der Schnepfe, des Auer- und Birkhahns hat keinen anderen bewegenden Grund.

Ja, diese Umwandlung ist schon ein Kampf, unter welchem das Thier mit sich selbst ringt und dem Gegenstand seiner Hingabe Sinnen und Streben weiht; das Menschlich-verwandte tritt hier oft drastisch zu Tage. Zeigt sich der liebeberauschte Jüngling der Erwählten gegenüber in der vortheilhaftesten Stellung und Bewegung, so kann er in der Luft sein Ebenbild schauen an den schönsten Schwenkungen des Falken, am wohligen Schweben der Waldtaube oder der Staarmännchen oder auf den Zweigen an den schäkernden Hähnen der prangenden Distelfinken. Welcher leidenschaftliche Tänzer könnte nicht im Birkhahn, wenn er sich im Balztanz schwingt, einen Rivalen erblicken, der sich nur durch den Grad der Berauschtheit und dadurch von ihm unterscheidet, daß er die Musik zu seinem Tanze selbst vorträgt?

Gegenüber dem Nebenbuhler aber wird der Kampf um den Gegenstand des Begehrens ein erbitterter und folgenschwerer. Die Händel der Füchse, Marder, Iltise und Katzen, so hartnäckig sie erscheinen, verlaufen doch noch unter geringern Verletzungen. Balgfetzen fliegen davon, wie die Federn bei den Kämpfen der Wald- und Feldhühner; Schmarren trägt der Besiegte davon, und ein Niederrollen der in einander festgebissenen Marder vom Dache bis in die Tiefe schadet den muskelstarken Zählebigen auch nicht. Ernster und gefährlicher sind dagegen die Kämpfe der Brunfthirsche. Bei Ungleichheit der Stärke und Wehrhaftigkeit genügt oft schon die drohende Haltung des mächtigen Führers des Rudels. Ebenbürtige Kämpfer aber verletzen einander schwer; nicht selten wird der Besiegte durchbohrt oder von dem Rande einer Felswand hinabgestürzt; bisweilen verenden Beide in Folge der Verschlingung ihrer Geweih-Enden. Aber mögen wir Kampfscenen unter reißenden Thieren oder unter den jagdbaren unserer Umgebung beobachten, im Urwalde wie im Walde der Cultur, in der Wüste und Steppe wie auf der angebauten Flur, überall erliegt der Schwächere dem Stärkern, vorausgesetzt, daß der Unterschied der Kraft nicht ein verschwindender ist; sonst kann von einem andern Umstande erfahrungsmäßig die Entscheidung abhängen, nämlich von einem gewissen Bewußtsein – ich darf nicht sagen: des Rechts, ich will sagen: des Besitzstandes und Daheimseins, einem Gefühle, welches unstreitig auch das Thier ermuthigt und z. B. bei Hunden den ergötzlichen Anblick gewährt, daß ein winziger Dächsel, Pinscher oder Pommer den stärksten und händelsüchtigsten Metzger- oder Schäferhund zur Flucht aus dem Besitzthum nöthigt. Sonst geht allerdings auf diesem Kampfgebiete Gewalt und Stärke vor Recht. Im Harem der Hennen herrscht in Wald und Hof der gewaltigste der Hähne. Die tapfersten Ritter unter den Finken sind die glücklichsten Werber um die Edelfrauen; der in die Flucht geschlagene Kämpe muß sehen, ob er anderswo sein Ziel erreicht. Unter den Vögeln irren allsommerlich viele Junggesellen umher; sie finden keine überzähligen Weibchen; die glücklichen Nebenbuhler haben sie zurückgewiesen, und wenn einmal die Einehen geschlossen sind, dann löst auch der fremde Stärkere nicht mehr das Band.

Ein harter Kampf entwickelt sich zugleich um das Wohnungsgebiet, um die Stätte, wo die Nachkommenschaft gepflegt und erzogen werden soll, um geeignetes Versteck oder um Höhle, Bau und Nest. Das ist vorzugsweise der Fall unter den Vögeln, zunächst unter gleichartigen, dann aber auch unter verschiedenartigen Paaren. Da hat wiederum die Gewalt ihr Feld des Angriffs und der Abwehr, aber auch die List ihre erfinderischen Mittel und Wege. Da zerfetzt und zerfleischt das alte Storchpaar im Kampfe um den Besitz des Nestes den einen und andern seiner eigenen Söhne und Töchter, für die auch nicht der leiseste Zug verwandtschaftlicher Gefühle sich mehr regt und in deren beiderseitigem Verhältnisse von keiner Anerkennung und keinem Bewußtsein der Eltern- oder Kindschaft noch die Rede sein kann.

Da zankt sich Bruder mit Bruder, Vater mit Sohn und Enkel, Vetter mit Vetter; ganze Generationen verfolgen, verdrängen und befehden einander, ledig aller Rücksicht, geleitet von selbstischer Eifersucht und neidischer Bosheit. Da wartet der hinterlistige Sperling, bis die Schwalbe ihr Nest an die Wand gemauert hat; dann schlüpft er hinter ihr durch das Flugloch ein und ängstet und beißt sie und läßt die Schreiende schließlich, um ihr das Wiederkommen zu verleiden, an einem festgehaltenen Fuße eine Zeitlang zappeln. Da kommt der Mauersegler zum Staarenkasten, in welchem ein Sperlingspaar nackte Pfleglinge birgt, und wirft diese hinaus, um sich selbst dort wohnlich einzurichten. Da gönnt der Staar dem frühnistenden Edelfinkenweibchen nicht den sorgfältig gefilzten Kunstbau und zerzaust die Stoffe, um sie in seine Höhle zu tragen. Der rothrückige Würger will die harmlosen Sänger um sich her nicht dulden; Rothschwanz und Fliegenfänger, Meise und Kleiber, Ammer und Hänfling, Weidenlaubvogel und Grasmücke, Sperber und Krähe – sie alle halten wenigstens eine Zeitlang feindliche Nachbarschaft, bis sie, mit ihrem eigenen Hauswesen eingehender beschäftigt, sich vertragen lernen und schließlich, unbekümmert um ihre gegenseitigen Interessen, neben und über einander sich ansiedeln.

Mitten in diese Raufhändel und in das laute Gezänke fährt zuweilen der Schreckton eines Vogels, der den dahersausenden Räuber in der Luft erblickt hat, und wie mit einem Schlage wird es still, und rasende Flucht, starres Niederducken, scheinbare Lähmung der Glieder sind die charakteristischen Aeußerungen. Und merkwürdig! Hier geht ein Warnungstrieb durch die hülflose Vogelwelt, dessen Signalton allen Familien, Arten und Sippen verständlich und für den jegliches Ohr auf das Feinste geschärft ist.

Hat die Pflege der Familie unter heimlicher Sorgfalt und Mühewaltung begonnen, säugt die Mutter ihre Kleinen oder trägt sie ihnen unter hundert Wagnissen Nahrung zu, sitzt der Vogel über Eiern oder Jungen, so entspinnt sich ein neuer Kampf, der Kampf um Erhaltung der Nachkommenschaft.

Nicht blos wir Menschen, auch die Thiere haben ihre Nahrungssorgen, ja, und gerade die Vögel, von denen es heißt: „sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch“, müssen den bittern Kampf um Dasein und Selbsterhaltung kämpfen. Oder sehet euch doch einmal die kleinen Zaunkönige an, denen das Kukuksweibchen ein Ei mit dem Schnabel durch das enge Flugloch des kugeligen Moosnestes eingeschmuggelt hat! Der freßgierige Adoptivsohn, den das Zaunkönigweibchen treulich ausgebrütet und dem es mit dem Gatten Tag ein Tag aus Kerbthiernahrung zuträgt, müht sich über die Kräfte ab, und solche Arbeit und Sorge bereitet eine sichtliche Verkümmerung der sonst so rüstigen Vögelchen und reichlichen Ausfall der Federn sowie Erbleichen des noch übrigen Gefieders. Das ist der Kampf der Ernährungs- und Verpflegungssorge. Schauet hin nach dem alten Vöglein, das unter Gewitterregen und Hagelschlag unwandelbar seine Flügel über die gefährdete Brut deckt und lieber selbst von der Schloße sich tödten läßt, als daß es weichen möchte von den zarten Nestlingen – das ist der Kampf der Aufopferung gegen die Elemente. Dort naht das schleichende Raubthier dem Volke der flaumbedeckten Rebhühner. Mit täuschender Verstellungskunst spielt die angstvoll besorgte Henne die Rolle der Flügellahmen und lenkt flatternd den getäuschten Feind von den sich versteckenden Kleinen ab. Hier setzt sich der zarte Singvogel zum Schutze der Brut dem sonst mit überwältigender Angst geflohenen Raubvogel zur Wehr, nicht selten selbst dadurch dem Schlage der scharfen Fänge verfallend. Und hier zerschlägt der Habicht dem bösen Buben, welcher mit den geraubten Jungen am Baume niedersteigt, das Gesicht, daß er zeitlebens daran denkt; dort wieder sieht das erfahrene Krähenmännchen den Jäger dem Horste des brütenden Weibchens sich nahen; eilend stößt es nieder und zwingt die Gattin gewaltsam mit Schnabelhieben, der Gefahr zu entrinnen.

Aehnliche Gefahren veranlassen den Kampf im Familienleben der Säugethiere. Wie die Waldvögel ihre Eier und nackten Jungen vor den mordlustigen Nagezähnen und dem lüsternen Gaumen des Eichhorns zu hüten haben, so muß dieses die eigenen Kinder bewahren und verbergen vor den auswitternden Sinnen des Edelmarders, seines Todfeindes. Das fiepende Rehkälbchen verräth sich dem Fuchse, den der Kampf um

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_589.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)