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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

leuchten soll, und bereitet die Signallaterne für das Zeichen vor, das er dem herannahenden Zuge zu geben hat.

Es ist kein Bedürfniß da, ihn halten zu lassen. Kein Passagier begehrt den Zug zu besteigen, und auf Janos' kleinem Dienstgebiet ist alles in Ordnung, deshalb hat er dem Zuge das weiße, unveränderte Licht seiner Signallaterne zu zeigen, welches ihm zuruft. „Fahr zu, Alles in Sicherheit!“ Sorgsam entfernt daher Janos die bunten Scheiben aus dieser Laterne. Denn das durch die grünen hinausscheinende Licht würde den Zug ohne Anlaß zur „Vorsicht“, zum „Langsamfahren“ mahnen; das rothe aber ihm „Halt“ gebieten.

Und diesem Befehle, mit rothem Strahle hinausgeblitzt auf die Bahn, wagt kein Locomotivführer, kein Bremser auch nur einen Augenblick den Gehorsam zu versagen. Weiß er doch, daß Leib und Leben an diesem Augenblicke hängt. Ein „rothes Licht“, ein „Haltsignal“ auf offener Strecke wirkt auf das ganze Personal eines Zuges elektrisch, unwiderstehlich, wie das Aufblitzen eines feindlichen Schusses auf eine in der Nacht marschirende Colonne. Der Begriff „Halt“ durchfährt alle Sinne, alle Fäuste in jähem Ruck – denn vielleicht – liegt da, dicht vor ihnen, in der Finsterniß – Schreckniß und Tod.

Und die Dampfpfeife gellt in vielfach wiederholtem, schneidendem Aufschrei: „Alle Hand an die Bremsen“ und der Locomotivführer reißt die Hebel zurück, welche die Triebkraft der Locomotive nach rückwärts wirken lassen; und in rasender Hast dreht der Heizer die Kurbel seines kraftvollen Hemmwerks am Tender – und Funken sprühen von den brennenden Bremsklötzen empor, und blaues Feuer zeichnet das Gleiten der Räder auf den Schienen – bis der schnaubende, eiserne Koloß still steht.

Das magische, so mächtig und unwiderstehlich beherrschende Glas entfernt also Janos aus der Laterne und legt es sorgsam neben seinen milder herrschenden Genossen, das grüne, auf den Tisch, und zündet ihre Flamme an. Aufmerksam sitzt das Kindchen im Bette auf, seiner Arbeit zuschauend; in erst halb erlernter Sprache mühsam und gebrochen und doch kindlich unermüdlich plaudernd und fragend, so daß Janos endlich das krause dunkle Köpfchen mit ernster Mahnung, nun zu schlafen, auf das Kissen niederdrücken muß, ehe er, den Zug erwartend, vor das Haus tritt.

Das Kind aber schläft nicht – verstohlen hebt es das Köpfchen wieder empor. Da liegen sie ja, auf dem Tische, die wunderbaren Tafeln, durch welche die Mutter einmal seine dunkeln Augen in die Welt blicken ließ. Es war damals Winter und – doch – das eine machte, daß der ganze helle, grüne sonnige Frühling da war, und – vor dem andern fuhr es zurück – da brannte ja die ganze Welt! – Wie gern hätte das Kind das Wunder noch einmal gesehen – aber der Vater hatte mit harter Strafe gedroht, wenn es sich unterstünde eine der Tafeln in die Händchen zu nehmen – und da lagen die Tafeln jetzt, ganz wie des Kindes Schiefertafel, harmlos auf dem Tische, und der Vater war draußen, ach – nur einen Blick!

Indeß sitzt Janos vor dem Hause, auf dem Holzstumpfe, auf dem die Frau ihr Küchenholz spaltet, das Signal erharrend. Dienst und Kinder und Sorgen gehen im Halbschlummer an ihm vorüber. Da raschelt es knackend und schwer niedertretend im Kukuruz – das ist ein Büffel, der den Weg nach dem Wasser des Bahngrabens sucht! er kann über die Bahn trotten, wenn der Zug kommt, erreicht werden – ausgleisen machen mit seinem ungeschlachten Körper; eilig bückt sich Janos nach dem für solche Fälle unter dem andern Werkzeuge liegenden Stachelstock zum Treiben der Stiere – da – wird ihm eine dicke Bunda[1] über den Kopf geworfen, kräftige Arme umschlingen, ihn fast erstickend, seinen Hals; ehe er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichten kann, ist er zu Boden geworfen und gebunden – aber, obgleich dumpf, dringt doch durch den seinen Kopf umhüllenden groben Stoff, laut genug die Raubgesellen zu erschrecken, sein Hülfsgeschrei. –

„Macht den Kerl doch stumm!“ hört er eine Stimme flüstern.

„Todtschlagen?“ fragt eine andere.

„Meinetwegen, rasch – rasch.“

„Nichts da! Nicht todtschlagen,“ flüstert eine dritte; „hat er Euch denn gesehen und erkannt? – Nein? – Nun, so stopft ihm nur das Maul tüchtig!“

„Womit?“

„Reißt die Signalfahne vom Stock – so – und nun haltet ihm die Nase zu. Sobald er das Maul aufthut, hinein mit der Fahne, unter die Bunda und tüchtig mit dem Knüppel hinterhergestoßen, erstickt er, ist's seine Sache – so, der ist jetzt stumm!“

Wie ein Bündel Holz wird Janos hinter einen Holzstoß geworfen, wo sein dick umhüllter Kopf schmerzlich gegen die Scheite schlägt. Da dringt es grell und dröhnend durch all die erstickende Umgebung an sein Ohr: Glockenschläge – eins – zwei – Pause – eins – zwei – das elektrische Signal des kommenden Zuges.

„Heilige Mutter Gottes, wenn der hielte, wäre Alles gerettet!“ denkt der Geknebelte in seiner Todesangst, „aber warum soll er halten?“ –

„Donnerwetter!“ hört er dann rufen, „da kommt der Zug, ich dachte, er sei längst vorüber. Wenn der hält, holt uns der Teufel. Geschwind die Laterne hinaus, da steht sie in der Stube. Weißes Licht gegeben, damit er vorbei stolpert. Gott verdammt! Ehe der Zug vorbei ist, kann nichts gemacht werden, die Casse ist festgeschraubt, wir brauchen Zeit!“

Janos hört die Thür schlagen, rasche Fußtritte mehrerer Männer.

„Hier ist die Laterne, gieb Du das Zeichen, Du verstehst's. Ihr Anderen tretet hier in den Schatten!“

Dann wird's still, ganz still. Da beginnt es in der Ferne klappernd zu dröhnen – der Zug! da ist der Zug! Das Dröhnen kommt näher, die Schienen beginnen leise zu klirren –

„O allergnädige Mutter Gottes, thue ein Wunder, halt ihn an!“ seufzt Janos; „ich hänge ein zinnern Wagenrädchen, drei Pfund schwer, in deine Kirche zu Maros!“

„Es wäre infam, wenn er hielte; da wäre Alles umsonst gewesen. Geschwind, weißes Licht! Hoch, hoch mit der Laterne! Recht sichtlich – so,“ ruft eine Stimme.

Da gellt ein langgezogener Pfiff der Locomotive durch die Nacht daher.

„Hurrah, er fährt durch!“ jubeln drei rauhe Kehlen.

„Alles verloren, was wird nun?“ denkt, halb erstickt, mit schwindenden Sinnen Janos.

Da folgen dem langen Pfiffe, gellend wie Nothschrei, kurz, abgestoßen, noch einer, zwei, drei, fünf, sechs.

„Hölle und Satan, der pfeift ja zum Bremsen und Halten!“ ruft eine der rohen Stimmen. „Gebt Fersengeld, der Teufel kommt! Schnell in den Kukuruz! Schlagt die Signallaterne entzwei! Klirrend fliegt sie an die Wand.

„Sollten wir nicht erst noch den Janos abthun?“

„Zu was? – Hallo, da sind sie schon!“

Der Kukuruz schlägt über den dunklen Gestalten zusammen; der Zug stiebt heran. Funken sprühen unter seinen gebremsten Rädern hervor, die Erde dröhnt, noch ein Keuchen, eine nach dem Monde hinaufgeblasene Dampfwolke – und er steht. Eine Anzahl uniformirter kräftiger Männer springen von den Wagen; voran der Oberconducteur, der rasch und offenbar zornig auf das Bahnhaus zuschreitet.

„Warum läßt man uns hier halten – und kein Mensch da? In des Teufels Namen, was soll das heißen? Warum hat man uns rothes Licht gegeben?“

„Hier, Herr Oberconducteur, liegt die Signallaterne zerschmettert, aber kein rothes Licht ist drinn.“

„Da ist etwas faul, durchsucht das Haus!“ befiehlt der Zugchef. „Wo sind die Leute? Hier ist nur ein kleines Kind im Zimmer – und hier stöhnt etwas hinter dem Holzstoß!“

„Da ist's – so wahr Gott lebt, ein geknebelter Mann – 's ist der Janos, Bahnwärter Nr. 128, und die Signalfahne als Knebel im Maule! Das sieht einem Besuche der Betyaren ähnlich, wie ein Ei dem andern. Weg mit dem Knebel! – Erzählt, Mann.“

Und Janos, nachdem der Halberstickte Athem geschöpft und seine Gedanken gesammelt hat, erzählt, was ihm geschehen, und äußert den Verdacht, daß es die entlassenen Leute gewesen sein könnten, da die Betyaren den Eisenbahndienst und seine Localität und die Ablieferungszeit der Casse offenbar gekannt haben müßten.

„Aber das Alles,“ unterbricht der Zugchef die breite Erzählung, „erklärt es noch nicht, daß wir das rothe Signallicht

  1. Ungarischer weiter Rock.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_555.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)