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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


mit kurzen Rudern bewaffnet, Platz nahmen, um eventuell die Fahrt beschleunigen zu können. Die Gesellschaft bestand aus zehn Herren, nämlich außer dem Kronprinzen, dem ihm gegenüber sitzenden Prinzen Wilhelm, dem Hamburgischen Syndikus Dr. Merck, welcher in der Nähe des Kronprinzen auf der Steuermannsbank mit Platz nahm, und dem Senator Hertz, welcher hinter dem Kronprinzen saß, aus folgenden Herren:

Chef der Admiralität von Stosch; General der Infanterie von Treskow; Hofmarschall Graf Eulenburg; königl. preuß. Gesandter in Hamburg, Geheimer Legationsrath von Wentzel; Major und persönlicher Adjutant von Liebenau; Hauptmann und persönlicher Adjutant von Pfuhlstein.

Zuerst ging die Fahrt in der Dunkelheit langsam vorwärts, da man es hier noch nicht riskiren wollte und durfte, in dem kleineren Profile des Zweigsieles von 2,58 Meter Höhe und 2,15 Meter Breite (Sielclasse B) den Spülstrom in voller Kraft nachfolgen zu lassen. Als die Bootsgesellschaft aber alsbald unter der Esplanade in den großen, mit Lampions stattlich erleuchteten kreisförmigen Stammquerschnitt von drei Metern Durchmesser gelangte, wo sich die Sielzweige der beiden Alsterufer vereinigen, wurde durch einen Pfiff das Zeichen zur völligen Oeffnung der Thore gegeben und der stärkere Strom, der sich schon im Hintergrunde durch Rauschen angekündigt hatte, ereilte das Boot sehr bald, es plötzlich in einer Geschwindigkeit von drei Metern per Secunde mit sich fortführend. Die farbigen Lampions, bald in großen Kreisen den Sielquerdurchschnitt einfassend, bald in langen Reihen der Wasserlinie folgend, bald sternenartig hier und da aus dem Gemäuer tretend, gaben der unabsehbaren, bald gerade fortlaufenden, bald sich windenden Röhre einen durch die Spiegelung in der Sielfluth verstärkten magischen Glanz. Die Aufmerksamkeit richtete sich naturgemäß auf die Einzelnheiten dieser Sielstrecke, welche unter besonders schweren Umständen erbaut ist. Da man damit nicht durch die niedrig gelegene, bereits mit eigenen Sielen eng bebaute alte Stadt gehen konnte, so mußte der Bau unter einem hohen Geestrücken, unter den wasserreichen Stadtgräben, den zwanzig Meter über der Sielhöhe belegenen Wallanlagen des quellenreichen botanischen Gartens, des Heiligengeistfeldes und den ebenso hoch belegenen Gegenden St. Pauli’s, in stets wechselnden Strecken von Sand und tertiärem Thon durchgeführt, endlich am St. Pauli-Elbufer in großer Tiefe noch siebenzig Meter weit in die Elbe hinein verlängert werden, damit die Sielwässer nicht unmittelbar am Ufer austräten, sondern mitten im Elbstrome, etwa sechs Meter unter dem Wasserspiegel direct vom Strome erfaßt und vertheilt werden könnten. Es gehört deshalb diese in den Jahren 1872 bis 1875 ausgeführte Baustrecke unzweifelhaft zu den interessantesten bautechnischen Erinnerungen der leitenden und ausführenden Ingenieure. Gleich Herrn O.-I. Meyer konnte auch der Bau-Inspector Gurlitt, welchem ein Theil der Ausführung übertragen worden, manche kleine Bau-Episode unterwegs den benachbarten Zuhörern mittheilen.

Je weiter die Gesellschaft fuhr, desto höher wurden die über den Köpfen schornsteinartig in das Tageslicht aufsteigenden Luftschächte, über deren eisernen Straßenrosten zuweilen gerade ein Wagen mit donnerartig erschallendem Getöse wegfuhr. In den ab und an sich zeigenden Seitennischen, zu denen steinerne Wendeltreppen von nahezu hundert Stufen herabführen, waren Sielwärter mit Grubenlampen placirt, welche, wo sie im Vorübergleiten plötzlich von den Bootsinsassen erschaut wurden, in ihrem gelben Oelanzug wie Steinbilder erschienen, sodaß der Kronprinz im Scherz die Frage that, ob diese Bildsäulen immer dort ständen. Die vier Backsteinschichten oder ein halb Meter starke Mauerwölbung des Siels zeigte sich bald trocken, bald naß, je nachdem die Gesellschaft durch Thon- oder Sandadern hindurch fuhr. In letzterem Falle hingen oft lange Stalaktiten von der Wölbung herab, oder auch wohl weiße, wolkenartige Gebilde, während die Seitenwände meist braun und schmutzig aussahen.

Der Kronprinz wunderte sich wiederholt über die verhältnißmäßige Reinheit der Luft, welche die Nase kaum beleidigt; er rauchte, wie es bei Sielbesichtigungen üblich ist, nebst anderen Herren der Gesellschaft seine Cigarrette, obgleich bei dem zuweilen herrschenden Luftzuge das Anzünden oft schwer fiel, und erzählte von einer Besichtigung der Pariser Egouts (Cloaken), welche er 1867 ausgeführt hat.

So verging die Fahrt unter Fragen, Erklären derselben und Anschauen, Erweckung des Widerhalls in heiterer Weise, und der Kronprinz sprach herzliche und freundliche Worte des Dankes, als der Syndikus Merck in der Mitte der Fahrt die Gesellschaft aufforderte, auch hier in der unterirdischen Schiffsregion Hamburgs den oben mit Jubel aufgenommenen Gast durch ein Hoch zu begrüßen. Daß die Klangwirkung eines solchen Siel-Hurrahs eine ganz bedeutende ist, läßt sich leicht vermuthen. Ueberraschend aber war die Wirkung eines Männergesanges, welchen einige Freunde des O.-I. Meyer in einer unter dem Heiligen-Geist-Felde belegenen Seitennische ausführten. Der Klang dieses einfach besetzten Männer-Quartetts begleitete die Gesellschaft fast während der ganzen Fahrt, also fast eine viertel deutsche Meile nach jeder Richtung hin. In der Entfernung wie Aeolsharfe, in größerer Nähe orgelartig, manchmal wie ein Orchester wirkend, fesselte dieser Gesang immer wieder die Fahrenden, und der Kronprinz ermüdete nicht, seine Freude daran zu erkennen zu geben. Als das Boot unvermuthet bei den Sängern vorbeitrieb, welche in ihrer Nische, im Oelzeuge, mit Grubenlichtern, wie eine Kauzfamilie zusammenhockten, streckte er ihnen grüßend und dankend die Hände entgegen.

In dem niedrig belegenen Hafentheile von St. Pauli bekamen die Bootsinsassen auch noch zum Schluß der Fahrt eine Anschauung von den Sieleinmündungen einzelner Straßen und Häuser in das große Sammelsiel, da die Häuser der Hafenstraße unmittelbar an dasselbe angeschlossen sind, und endlich erreichte das Boot nach halbstündiger Fahrt (mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa zwei Metern pro Secunde) den Aussteigeperron nahe vor der durch große Schosse und Sturmthore gegen die Hochfluthen der Elbe gesicherten Mündung des Siels in den Elbstrom. Vor diesem Thore war als Transparent ein „Glück auf!“ angebracht.

Die bereitstehenden Sielwärter nahmen das langsam herangleitende Boot in Empfang, und die Ausschiffung verlief ohne Fährlichkeit. Die Gesellschaft entledigte sich ihrer Umhüllung, wobei der Kronprinz seine Verwunderung darüber zu erkennen gab, hier denselben Garderobier vorzufinden, der ihn an der Lombardsbrücke beim Einsteigen bedient hatte, und der nach einer stürmischen Droschkenfahrt (wie der Swinegel von Buxtehude) sagen konnte: „Ick bün all hier!“ Als ein werthvolles Andenken an diese unterirdische kronprinzliche Fahrt wird jedenfalls das Fremdenbuch des Geeststammsiels aufbewahrt werden, in welches der Kronprinz, ebenso wie sein Sohn und die übrigen Theilnehmer ihre Namen eingetragen haben.

Alsdann ließ der Kronprinz sich noch vom Ober-Ingenieur in die Kammer der obenerwähnten Verschlußeinrichtungen führen und besichtigte genau die große eiserne Schütze, welche mit einem sehr großen Windewerk aufgedreht wird, während eine darin befindliche kleinere Schütze durch einen Zahnstangentrieb bewegt wird. Er ließ sich auch die genaue Stelle der Einmündung des Siels in den Strom zeigen, und sprach sich über die ökonomische Ausnutzung der Abfallstoffe aus, die ja bei der Einführung in den Strom verloren gehe, und auch von O.-I. Meyer durch den Hinweis auf die durch die Ebbe und Fluth vermittelte Ablagerung des im Strome vertheilten Sielstoffes über die Marschen, wodurch deren Fruchtbarkeit erhöht werde, und auf die Veredelung der Fischzucht, dem hohen Gaste gegenüber nicht aufrecht erhalten werden konnte. Dagegen konnte der Ober-Ingenieur ihm in ernsthafterer Weise auf seine Fragen nach der Verschlechterung des Stromes durch solche Sieleinflüsse die beruhigendste Auskunft über die Mächtigkeit und den Wasserreichthum der Elbmündung geben, in welcher selbst dann noch, wenn sich Hamburgs Bevölkerung von ihrer jetzigen Ziffer von 350,000 auf 800,000 gehoben haben sollte, die Schmutzabflüsse der Siele sich bei Weitem unter dem Procentsatze befinden würden, welcher als zulässig betrachtet werden kann. Denn es würden dann erst zwei Cubikmeter Sielwasser per Secunde in die Elbe ablaufen, während die Wassermenge der Elbe oberhalb Hamburgs siebenhundertzweiunddreißig Cubikmeter per Secunde beträgt, und hierzu noch von unten die Meerfluth hinzutritt, welche, in verschiedenster Größe und Entwickelung auftretend, große, das Maß des oberen Flußzulaufs übersteigende Wassermassen anhäuft und vertheilt und wesentlich zur Ausgleichung und Spülung des ganzen Aestuariums beiträgt.

Nach diesen Gesprächen und einigen höchst freundlichen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_542.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)