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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


nützlich zu verwenden und zu verkürzen, wird sie der Lectüre der New-Yorker Morgenblätter gewidmet, welche in frühester Frühe schon weit im Lande an die Zeitungsagenten vertheilt sind und von Zeitungsjungen an den Eisenbahnstationen, in den Pferdeeisenbahnwagen und auf den Dampffähren feilgeboten werden. Kommen die Passagiere in New-York an, dann ist gewöhnlich das Blatt gelesen, und Jeder geht seinem Geschäft nach. Die Zeitung ist vergessen und wird weggeworfen oder liegen gelassen.

Auf diese Gewohnheit rechnend, hat eine Gesellschaft edeldenkender Männer eine Anzahl großer hölzerner Kästen anfertigen und mit passender Inschrift an den Ausgängen der Dampffährhäuser, in die Augen fallend, anbringen lassen. In diese Kästen werfen die Passagiere die gelesenen Zeitungen, illustrirte Zeitschriften, Magazine etc. Von den Angestellten der genannten Gesellschaft werden diese Zeitungen in den Hospitälern etc. New-Yorks täglich vertheilt, um armen, freudlosen Kranken zur Lectüre zu dienen und sie einigermaßen ihre Leiden vergessen zu machen oder dieselben zu erleichtern. Sechszig Anstalten sind es, welche von genannter Gesellschaft täglich mit solcher Lectüre versehen werden, und dieselbe hält auch setzt wieder eine Ansprache an's Publicum, dasselbe wolle sich auch zu Hause nach abgethaner Lectüre umschauen und manch altes und auf die Seite geschobenes Buch oder Journal und dergleichen ihr zukommen lassen.

D.




Medicin-Schwindel. Von gut unterrichteter Seite geht uns folgende Mittheilung zur Veröffentlichung zu.

„Inwieweit die Wunder von Lourdes in Frankreich und die von Marpingen am Rheine die Welt in Aufregung versetzt haben, ist bekannt. Daß aber auch bei uns der Aberglaube noch herrscht, davon ein Beispiel im Folgenden.

Seit Jahresfrist leide ich an Nervenentzündung. Ich habe schon mehrere Aerzte, Badecuren und dergleichen gebraucht, bin aber noch nicht vollständig curirt. Da wird mir der Wunderdoctor Springer (Schuhmacher von Profession) in Gohlis empfohlen. Ein Feind von Wunderärzten, gehe ich doch darauf ein, mich untersuchen zu lassen, aber nur, um meine Rathgeber zu überführen, inwieweit es solche ‚Leute‘ verstehen, den ‚Dummen‘ das Geld aus der Tasche zu locken. Ich fahre also nach Gohlis, komme früh zehn Uhr in des Schuster-Arztes Wohnung und bin erstaunt, schon fünfundzwanzig bis dreißig Menschen dort zu treffen. Auf mein Befragen wird mir vom Portier (einem Hülfsbahnwärter der thüringischen Eisenbahn) mitgetheilt, daß ich heute nicht vorgelassen werden könne, auch mein Morgenwasser (Urin) mitzubringen habe. Ich fahre also zurück nach Leipzig, theile das Wasser, welches ich schon bei mir hatte, in zwei Hälften und schicke einen Boten mit der einen Hälfte nach Gohlis, mit der Anweisung, es untersuchen zu lassen, ohne meinen Namen zu nennen. Der Bote wird richtig noch vorgelassen und bringt mir den Bescheid, der betreffende Herr wäre sehr krank; er leide an Brust- und Magenschmerzen und möchte das beifolgende Recept ja machen lassen, sonst müßte er bald sterben. Daß ich laut auflachte, können Sie sich wohl denken.

Den andern Tag fahre ich wieder nach Gohlis und bin um acht Uhr morgens in der Wohnung unseres Aesculaps. Schon sind wieder achtzehn bis zwanzig Menschen da, und auf mein Befragen, ob es alle Tage so voll ist, wird mir mit ‚Ja‘ geantwortet. Nicht gewillt, diesmal wieder ohne Resultat zu gehen, bin ich so glücklich, nach Verabfolgung eines Trinkgeldes an den Portier bald vorgelassen zu werden.

Ich trete ein, reiche dem Wunderdoctor mein Fläschchen und bitte ihn es zu untersuchen. Auf seine Frage, was mir fehlt, antworte ich ihm, mir fehlt es überall. Darauf sieht er durch das Fläschchen, schüttelt den Kopf, geht mit der Hand am Kinn einige Male durch das Zimmer, setzt sich hin, schlägt ein Buch auf, schreibt ein Recept und giebt mir Bescheid mit den Worten:

‚Ei, ei, Sie sind schwer krank, schon zwei Jahre; Sie haben bald keine Leber mehr; es ist die höchste Zeit, daß Sie mich besucht haben; jetzt kann ich Ihnen noch helfen.‘

Ich hätte ihm können in’s Gesicht lachen.

Daß ich die zwei Recepte nicht auf die Apotheke getragen, ist wohl selbstverständlich. Die ganze Geschichte kostet mich trotzdem fünf Mark. Wohlweislich verlangt der kluge Mann der Wissenschaft nichts, sondern ‚nach Belieben‘. – Ich, der ich nervenkrank bin, werde zuerst für brust- und magenkrank und dann für leberkrank erklärt. Sie sehen daraus, wie weit man in Gohlis den Schwindel treibt.

Vielleicht werden diese Zeilen dazu beitragen, manchen Kranken von diesem ‚Wunderdoctor‘ fern zu halten.“




Aus der Zeit.
Zwei Lieder von Karl Stieler.
1. Im Elysee.

Es war ein Fest im Elysee.
Eins jener goldenen Feste;
Ein Blumengarten ist der Palast,
Und zahllos sind seine Gäste.

An einer Marmorsäule lehnt
Ein Mann und blickt in den Reigen;
Er ist von Huldigungen müd’;
Er möchte ruhn und schweigen.

Er schaut in eine andre Welt
Als die von Sammt und Seide –
Es steht ein Nußbaum mitten im Feld,
Bei Wörth auf der grünen Haide.[1]

Dort lehnte er einst im Pulverdampf
Und hat alle Himmel beschworen;
Dort hat er geleitet die riesige Schlacht
Und die riesige Schlacht – verloren.

Die Sage von Frankreichs Waffenruhm
Ward dort zu Grabe getragen;
Dort unter dem Nußbaum ward Mac Mahon
Zum ersten Male geschlagen.

Er lehnt an der Säule – o, wie sie all’
Dem wogenden Reigen lauschen!
Er aber hört nur den Donnerschall
Und den duftigen Nußbaum rauschen.


2. Völkergebet.


Rings über die Länder sinkt die Nacht,
Und still ist’s über den Welten.
Da steigt die Stimme der Völker empor
Zu den ewigen Sternenzelten:

„Jehova, Allah, dreieiniger Gott –“
So flehen die Millionen,
„Gieb uns das Leben gieb uns den Sieg,
O, laß uns herrschen und thronen!“

So ruft der Beduine empor
In der grünen heißen Oase;
Es schlummert sein Weib; es weidet sein Roß
Im glühenden Wüstengrase.

So tönt es am eisigen Jenisei
Ueber die Steppen, die fernen;
Es hallt wie ein uralter Schmerzensschrei
Empor zu den uralten Sternen.

Und der Schrei verhallt in der nächtigen Luft –
Es beten die Enkel und Ahnen;
Doch schweigend zieht der Weltgeist dahin
Die großen ewigen Bahnen.

Was ist die Erde – ob sie erblüht,
Ob sie in Nichts versunken?
Ein Tropfen im wogenden Weltenmeer,
Ein Staub, ein Atom, ein Funken!

„Jehova, Allah, dreieiniger Gott,
Hör’ unser Beten und Mahnen –“
Doch schweigend wandelt der Weltgeist dahin,
Die großen ewigen Bahnen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Auf dem hochgelegenen Felde bei Wörth steht ein Nußbaum, unter welchem Mac Mahon mit seinem Stabe das Treffen bei Wörth verfolgte und leitete. Der Baum, der jetzt umfriedet und von den Besuchern vielfach verstümmelt ist, heißt noch heute „l’arbre de Mac Mahon“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_428.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)