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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

jagdliebenden Buschbewohnern kaum ein Drittel der Bevölkerung jemals einen Gorilla in der Wildniß zu Gesicht bekommen hat. Der in jüngster Zeit leider im Duell gefallene Marquis Compiègne, ein sehr geübter und couragirter Jäger, versicherte mir, als wir uns nahe dem Einfluß des Rembo Ngunie in den Ogowe trafen, daß er nur einmal in der Entfernung einen Gorilla zu Gesicht bekommen habe, obgleich er längere Zeit in den von ihm besuchten Revieren darnach gepirscht. Der verstorbene Professor Buchholz hat die Bevölkerung ganzer Gebiete in Bewegung gesetzt und für ein getödtetes Exemplar erst fünfzig, dann hundert Dollars vergeblich geboten.

Um den Gorilla zu jagen, muß man eben gewisse Eigenschaften besitzen: Naturanlagen zum Jäger, eine bis zum tollsten Sport herangebildete Passion, eine eiserne Gesundheit zum Ertragen von Strapazen und Entbehrungen, die Sinne und die Orientirungsgabe eines Wilden, sowie etwas Courage. Die geographische Verbreitung des Gorilla beschränkt sich auf das Gebiet von der Muni-Mündung bis zu der des Congo, also von ein Grad nördlicher bis sechs Grad südlicher Breite. Wie weit er nach dem Innern zu vorkommt, ist, wie dieses selbst, unbekannt. Er lebt, bis auf die alten hypochondrischen Gorillamänner, im engern Familienkreise und treibt sich des großen Verbrauchs an Nahrung wegen nomadisirend herum, indem er da nächtigt, wo er sich kurz vor der Dunkelheit gerade befindet; er baut also jeden Abend ein neues Nest und errichtet dies auf gesunden, schlankgewachsenen, nicht viel über 0,30 Meter starken Bäumen in einer Höhe von fünf bis sechs Meter. Dasselbe ist storchartig in der ersten Abzweigung stärkerer Aeste aus grünen Reisern angelegt.

Die Jungen und, wenn dieselben noch der Wärme bedürfen, auch die Mutter, pflegen darauf der nächtlichen Ruhe, wogegen der Vater zusammengekauert am Fuße des Stammes, mit dem Rücken daran gelehnt, die Nacht verbringt und so die Seinigen vor dem Ueberfall des Leoparden schützt. In der trockenen Jahreszeit, wenn ihm Wasser und Nahrung im tiefen Innern der Wälder knapp zu werden beginnen, bricht er in die primitiven Anpflanzungen der Eingeborenen ein, dort nach Affenart große Verwüstungen anrichtend. Die Eigenthümer stellen dann Wachen aus, und es gelingt in den meisten Fällen, ihn durch wiederholtes Abfeuern der bis zum Bersten überladenen Flinten zu verscheuchen. Zuweilen kommt es jedoch vor, daß alte Gorillamänner im Bewußtsein ihrer herculischen Kraft, im Vertrauen auf ihre äußerst scharfen Sinne, vom Hunger getrieben, sich dadurch nicht stören lassen, sondern nächtlicher Weile ihre Verwüstungen fortsetzen. Die Geschädigten sehen sich dann wohl oder übel genöthigt, dem Nimmersatt aufzulauern oder nachzustellen, um ihn ein für alle Mal unschädlich zu machen. In den seltensten Fällen gelingt ihnen dies, da der schlaue Bursche die ernste Absicht seiner Verfolger bald herauswittert und sich, ohne Dank noch Adieu gesagt zu haben, auf einige Zeit empfiehlt.

Sofern er unbehelligt bleibt, greift der Gorilla den Menschen nicht an, meidet vielmehr dessen Begegnung. Wird er jedoch überrascht, so richtet er sich auf, stößt aus tiefer Brust ein nicht wiederzugebendes, kurz abgebrochenes, bald rollendes, bald grunzendes Gebrüll aus und bearbeitet mit seinen Riesenfäusten die gigantische Brust, wobei unter Zähnefletschen und einem unsäglich boshaften Ausdrucke des Gesichtes, sowie der kleinen Augen, welche tief in ihren Höhlen liegen und einen grünlich-rothen Glanz haben, sich seine Haare auf Kopf und Nacken vibrirend sträuben. Ein wüthender alter Gorilla bietet einen Furcht erweckenden Anblick. Reizt man ihn nicht und zieht sich bei guter Zeit allmählich zurück, noch bevor seine Wuth ihren Höhepunkt erreicht, so glaube ich, daß er nicht zum Angriffe schreiten würde. Sollte man aber das Unglück haben, ihn nur leicht zu verwunden, dann freilich bin ich, ohne es selbst erlebt zu haben, fest überzeugt, daß er den Schützen annimmt, und wehe demselben, wenn ihm nicht sofort eine zweite Kugel zu Gebote steht! Ein Fliehen ihm gegenüber ist unmöglich, eine Vertheidigung mit andern als Schußwaffen ein Unding. Vermöge seiner langen überaus muskulösen Arme würde er die Geschicklichkeit auch des besten Fechters zu Schanden machen.

So viel ich zu beobachten Gelegenheit fand, lebt derselbe von Vegetabilien. Die Jungen in der Gefangenschaft zeigen aber eine ganz besondere Vorliebe für animalische Kost, und es läßt sich daraus schließen, daß sie auch in der Wildniß Fleisch, sowie Eier nicht verschmähen. Der Gorilla ist mit dem Chimpanse, sofern man ihn nur einmal gesehen, nicht gut zu verwechseln. Abgesehen von der weit überragenden Größe, der robusteren Gestalt, hat er eine im Alter zunehmende graue Haarfärbung. Seine Gesichtsfarbe jedoch ist von der Jugend bis zum Alter bleibend schwarz, beim Chimpanse variirt diese mit den Spielarten und dem Alter. Er besitzt eine kurze, breite, starkknochige und fleischige Hand, die geballt wie zu Faustkämpfen geschaffen scheint, eine vom Chimpanse abweichende Schädel- und Gesichtsbildung mit höher vorstehendem Knochenbogen über den Augen und eine kleine zierliche Ohrmuschel. Im Leben charakterisirt ihn noch die mehr hervorstehende nüsterartig aufgeblähte Nase, was ihm nebst dem breiten Maule, den scharf geschnittenen Lippen, tiefliegenden, blitzenden Augen und struppigen Haaren einen boshaften und grimmigen Ausdruck verleiht. Die Chimpansen hingegen unterscheiden sich von ihm durch geringere Größe, zierlicheren Wuchs und lange schmale Kletterhände. Auch besitzen sie einen gutmüthigeren Blick, glätter liegende Haare, unschön abstehende Ohren und lange Lippen. Zum Zeichen des Wohlbehagens oder auch bei geringem Verdrusse pflegen sie das Maul drollig zuzuspitzen.

Die gesammte Muskulatur des überaus massigen Körpers des Gorilla ist, bis auf die bei allen Affen fehlenden Waden, zur Unförmlichkeit ausgebildet, und sofern ich mir eine solche Kraftvergleichung erlauben darf, würde ich, seine zwar unbeholfen erscheinende, in der That aber große Gewandtheit mit in Anschlag bringend, auf ihn gegen einen starken Bären wetten. Die Eingeborenen benennen ihn, je nach ihrer Sprache, verschieden: Die Mpongwe (Gabunesen), die Orunku, Kama, Galloa: Ndschina; die Mpangwe (Fan oder Pan, wie sie selbst sich nennen) geben ihm den Namen Nguyala. In Loango heißt er: Teufel (Mpungu).

Vom Gorilla sind bis jetzt keine Spielarten bekannt, wohl aber vom Chimpansen. Du Chaillu hat sich dadurch verzeihlicher Weise verleiten lassen, solche von Letzterem mit Kulu Hamba und Nschiego Mbuve als neue Arten zu bezeichnen. So ist der Kulu Hamba weiter nichts als ein großer Chimpanse, den die Aschira-Leute nach ihrer Sprache verschieden bezeichnen. Die Malimbas benennen ihn Kulu, die Mpongwe, Galloa, Kama, Orunku mit Nschiego. Einige dieser Stämme, ich glaube die Kama, setzen zur näheren Bezeichnung noch Mbuve hinzu, welches so viel heißt wie „nestbauender Affe“.

Gleich dem Gorilla baut der Chimpanse für seine Jungen ein storchartiges Nest, nur mit dem Unterschied, daß er dasselbe in der Regel auf stärkeren Bäumen, in größerer Höhe und etwas kleiner anlegt. Der männliche Gorilla, als mehr auf der Erde lebend, verbringt, wie schon bemerkt, die Nächte am Fuße des das Nest tragenden Stammes, der Chimpanse hingegen auf dem Baume selbst, in einer Vergabelung von Zweigen, hart unter dem Neste seiner Familie. Du Chaillu konnte also leicht zu dem Glauben gelangen, daß dieses nur für seine Jungen hergerichtete Nest ein Schutzdach sei. Warum aber sollte er sich ein Schutzdach bauen? Bietet ihm der für Sonnenstrahlen undurchdringliche und selbst gegen Regen nahezu dichte Blätterschmuck tropischer Urwaldungen nicht etwa Schutz genug?

Als ich jenseits der Aschangolo Berge in der Nähe des Aschira-Landes ein überaus starkes männliches Thier aus einem großen Trupp von Chimpansen schoß, die wohl zufällig gemeinschaftlich mit einer Gorilla-Familie Colanüsse schmausten, da ließ ich mich gleichfalls verleiten, privatim die Vermuthung auszusprechen, den von Du Chaillu entdeckten Kulu Hamba geschossen zu haben, und erwähnte weiter auch die Möglichkeit, da die beiden Troglodyten-Arten friedlich zusammen angetroffen wurden, so könne hier eine Bastardirung zu Grunde liegen. –

Was die Jagd auf Gorillas anbetrifft, so mögen einige meiner Erlebnisse dieselbe veranschaulichen. Nachdem ich ein ganzes Jahr, ich möchte sagen ausschließlich, aber vergeblich, dieser Jagd obgelegen, war der 24. December 1874 angebrochen. Es war das erste Weihnachtsfest, welches ich, fern von der Heimath, im Urwalde verlebte. Die von jeglichem Comfort entblößte Lage, die tiefe Einsamkeit, nur umgeben von Wesen, denen ich mich nicht mittheilen konnte, wirkte niederdrückend auf meine Gemüthsstimmung, sodaß ich zum ersten Mal ein tiefes Heimweh empfand.

Um demselben zu entgehen, beschloß ich schon spät im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_418.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)