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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Sie that nach seinem Begehren; er streckte sich auf den Rasen nieder und barg das Angesicht, das von der Wucht der Erinnerung wieder zu glühen anhob, wie zur Kühlung in den frischen, duftigen Halmen.

Dann begann er die Ereignisse des ersten Abends im Vaterhause zu erzählen, und immer ernster, immer trüber ward das Antlitz seiner Zuhörerin – zuletzt saß sie regungslos da, die Hände im Schooß gefaltet, und wehrte den Thränen nicht, die ihr das Auge verdunkelten.

„Schau, Engerl, ich bin alleweil gern zu Dir heimgarten gegangen,“ schloß er den traurigen Bericht, „ich hab’ immer am liebsten mit Dir geredt und hab’ selber nie so recht gewußt, warum. Wie ich Dich aber beim Fortgehn da an demselben Platze angetroffen und Dir ’b’hüt Gott’ gesagt hab’, da ist mir auf einmal ein Licht aufgegangen, wie eine Fackel oder wie ein Sonnwendfeuer so groß. Ich hab’ mir vorgenommen, es Dir zu sagen, sobald ich wieder heim käm’, und hab’ mir selber zugeschworen, Du und keine Andre müßtest mein Weib werden, und hundertmal hab’ ich mir in Gedanken die Freud’ ausgemalt, wie wir im Himmelmoos mit einander hausen wollten, nit anders wie die Engel im Himmel. Jetzt ist Alles aus; jetzt bin ich ein armer Bursch, der nichts hat, als was er sich mit der Arbeit verdient. Wie könnt’ ich Dich jetzt fragen, ob Dir auch so um’s Herz ist! Was thätst Du mir jetzt antworten auf die Frag’?“

Das Mädchen trocknete sich die Augen und erhob sich – auch er sprang empor.

„Da hast meine Antwort,“ sagte sie rasch und fest und hielt ihm, näher tretend, den Silberreif entgegen, er aber faßte die Hand und zog sie daran näher bis an seine Brust.

„Ist es denn wahr?“ rief er mit von Lust und Schmerz erschütterter Stimme. „Willst wirklich mir gehören, Engerl?“

„Ja,“ sagte sie und sah ihm mit dem vollsten Ausdruck der Liebe in’s Angesicht. „Da, nimm das Ringel, nimm und hebe mir’s auf, bis Du mir einmal die Augen zudruckst! Ja, ich will Dir gehören und mich freut’s, daß es so gekommen ist, daß ich Dir das jetzt sagen kann – jetzt kannst Du nit denken, daß es die Aussicht, eine reiche Bäurin zu werden, ist, warum ich so sag’. Ich kann Dich nit loben und nit schänden wegen dem, was Du gethan hast, aber verzagen mußt’ nit. Vielleicht laßt sich Dein Vater etwan doch noch berichten und wenn’s nit so ist, dann wird’s uns wohl so aufgesetzt sein, dann wollen wir erst recht fest zusammenhalten – nachher wird uns unser Herrgott auch nit verlassen.“

Sie konnte nicht weiter, denn unwillkürlich fanden sich die Lippen zum ersten Kusse, und von der Capelle her töne feierlich das erste Glockenzeichen wie ein Ruf des Segens und der Weihe.

Vom Waldwege wurden zugleich die Stimmen von herankommenden Wallfahrern laut und scheuchten das Paar auseinander; kaum hatten sie noch Zeit einander auf das Fest zu vertrösten, bei dem sich wohl eine Gelegenheit bieten möchte, sich wieder zu begegnen. Sie wollten thun, als hätten sie sich noch nicht gesehen, der Tanz gab ja den besten Anlaß, sich zu sprechen und zu besprechen, was weiter geschehen sollte.

Bald war der Gottesdienst in der Capelle zu Ende. Das ländliche Fest begann und verlief, wie es Jahr für Jahr verlaufen war, so lange die ältesten Leute sich zu erinnern vermochten; die Kinder schmausten Obst und Süßigkeiten und balgten sich im Grünen. Die sich wieder der zweiten Kindheit näherten, die Alten, drängten sich um den Ort, wo die Wurstkessel brodelten und dumpfe Schläge auf den Spund das Anzapfen der Bierquelle verkündeten: die glückliche Mitte zwischen beiden Lebensstufen aber, die reife Jugend, zögerte nicht, ihre Ueberkraft im Drehen, Ländern und Schuhplatteln auszutoben.

Bei den Alten hatte auch der Bauer vom Himmelmoos sich einen Platz gesucht und saß wortkarg hinter seinem steinernen Maßkruge, kaum hinhörend auf das laute Gespräch seiner Umgebung und vollauf mit den eigenen Gedanken beschäftigt – sie hingen wie Wetterwolken über den schwarzen Brauen; die Ereignisse seiner Nacht waren auf einen engern Kreis beschränkt gewesen als die seines Sohnes, aber sie waren nicht minder unruhig und hatten nicht mit einem so rosigen Morgentraume abgeschlossen. Er hatte lange in die Nacht hinein gewacht, aber was er befürchtete oder in seinem Grolle vielleicht sogar herbeiwünschte, erfolgte nicht: Alles im Hause blieb todtenstill, und zuletzt behauptete die Natur auch bei ihm ihr Recht. Er tauchte die Finger in das Weihwasserkesselchen an der Thür, bekreuzte sich und legte sich, einen Fluch zwischen den Zähnen, auf sein Lager. Manchmal regte sich allerdings etwas in ihm, was ihn mahnte, von seiner Härte nachzulassen; manchmal fand er es ganz natürlich und angenehm, daß er sich in die obere Stube zurückzöge und daß der Sohn ihm eine Schwiegertochter in’s Haus brächte, aber die Rinde um sein Herz war zu starr geworden, als daß sie solch’ sanftem Pochen gewichen wäre: um sie zu sprengen bedurfte es eines gewaltigeren Schlages. Bald fiel er daher immer wieder in den Groll und Unwillen zurück. Der Stolz seines Lebens war es, Herr zu sein auf seinem Hofe und in seinem Hause und immer bei dem zu bleiben, was er einmal ausgesprochen hatte – wenn er hinterher sich selber zugestehen mußte, daß er geirrt oder sich übereilt habe, er nahm das Gesagte nie zurück: sein Wort mußte gelten und gehalten werden, und wäre es hundertmal zu seinem Schaden gewesen. Darum ging ihm auch Judika’s letzte Rede nicht aus dem Sinne – dieselbe hatte ein altes Ereigniß wieder aufgedeckt, über dem längst Gras gewachsen war: sie hatte ihn an ein Versprechen erinnert, das er gegeben und seither vergessen hatte. Er mußte zu seiner Kränkung gestehen, bei der Kindtaufe, an welche sie ihn gemahnt, hatte er sein Wort gegeben, weil aber Niemand war, der auf die Erfüllung drang, war es unerfüllt geblieben.

Nach langem Sinnen und Brüten dünkte ihm das Beste, vor Allem jeden Anlaß zu vermeiden, der ein Gespräch über das Vorgefallene herbeiführen konnte; dazu war es das Klügste, wenn er so bald wie möglich das Haus verließ und vor Abend nicht wiederkehrte. Dadurch gewann er nicht nur Zeit, Alles nochmal zu überlegen, er konnte auch den Bräumeister noch einmal besuchen, der von der großen Eiche nichts hatte wissen wollen, weil er den Landrichter fürchtete, und war auch im Stande, gleich noch die Erkundigungen einzuziehen, deren er bedurfte, um zu einem bestimmten Entschlusse zu kommen.

Als es hell geworden und er an’s Fenster trat, gewahrte er auf den Feldwegen verschiedene Leute, die in festtäglichem Gewande thalauswärts gingen. Das Fest in der Rundcapelle fiel ihm ein und damit ein erwünschter Vorwand, seinen Vorsatz auszuführen. Bald war er angekleidet und stieg mit schweren polternden Tritten die Stiege herab – er beachtete Judika nicht, die mit einer Pfanne unter die Küchenthür trat, und blieb auf der Hausschwelle stehen. Ein gellender Pfiff auf den Fingern rief den Knecht herbei, der unfern im Stalle beschäftigt war. „Ich will ausfahren,“ sagte er zu dem näher Kommenden, „schirr’ mir den Eisenschimmel an’s Schweizerwägel an und fahr’ mir damit nach in’s Dorf hinunter! Ich geh’ voran. Schau mir darauf, daß die Arbeit geschieht, wie ich Dir’s gestern schon angeschafft hab’! Auf den Abend komm’ ich heim.“

Der Knecht entfernte sich eilig und ohne Erwiderung; Judika hatte schon lang’ auf das Erscheinen des Bauern gewartet und sich klüglich ausgedacht, wie sie die Zwiesprach mit ihm zu beginnen und den Hausfrieden wieder einzuleiten vermöge; seine rasche Entfernung vereitelte all ihre Pläne und war nur dazu angethan, die Sache zu verschlimmern. Sie trat der Thür zu, aber ehe sie ihre Anrede zu beginnen vermochte, schnitt ihr der Alte vollends den Faden ab. „Ich komm’ auf Mittag nicht heim, daß Sie’s weiß,“ polterte er sie an, „ich hab’ gar ein wichtiges Geschäft – ich muß machen, daß Sie mich nicht mehr an’s Worthalten mahnen kann und an die Kindstauf’.“

Damit war er aus dem Hause und Judika außer Stande, ihm nachzueilen; die Ueberraschung war ihr in Arme und Beine gefahren, daß Pfanne und Kochlöffel beinahe ihren Händen entfielen. „Ich muß wieder meinen Fluß in den Ohren haben,“ rief sie nach einer Weile, „oder ich hab’ mich so verhört. Das wär’ ja doch, daß man an der Wand hinauflaufen müßt’! Der Alte wird doch nicht …“

Sie vollendete nicht und rannte eilig der Küche zu. Sie mußte vor Allem versuchen, mit sich in’s Reine zu kommen, was zu thun sei, wenn die in ihr aufgeblitzte Vermuthung sich bestätigen sollte, aber nach ein paar Stunden war sie noch so weit wie zu Anfang, und die Ehhalten konnten sich nicht genug verwundern, daß das Mittagsmahl beinahe eine ganze Viertelstunde zu spät auf den Tisch kam.

Der Bauer vor seinem Kruge war in der gleichen Lage;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_398.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)