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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 24.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Im Himmelmoos.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Der Befreite sprang auf und brach in wüstes schallendes Gelächter aus. „Du bist es,“ sprach er, „der Wildling vom Himmelmoos? Hab’ schon gehört, daß Du wieder daheim bist, aber daß Du gleich in der ersten Nacht auf’s Wildpretschießen ausgehn thätst und in der Finsterniß einem alten Cameraden schier die Gurgel eindrückst, das hätt’ ich mir nicht im Traum einfallen lassen.“

„Ich geh’ nicht auf's Wildpretschießen, Fazi,“ unterbrach ihn Wildel unwillig, „und die Cameradschaft von uns Zweien ist so gering, daß sie ein Spatz auf dem Schweif wegtragen kann.“

„Geht’s aus dem Ton?“ erwiderte der Maurer, indem er seine verschobene Kleidung ordnete, welche ebenfalls in einer Lodenjacke bestand. „Hätt’ mir’s einbilden können, willst nichts mehr davon wissen, daß wir mit einander auf der Schulbank gesessen sind. Hätt’ mir’s einbilden können, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fallen wird. Meinetwegen, schaut zu, Du und Dein Vater, alle Zwei mit einander, wie weit Ihr kommt mit Eurem Stolze, ich will’s aber nicht vergelten, und wenn etwa eine Frag’ an mich käm’, wo Du in der ersten Nacht gewesen bist, der Fazi verrath’ Dich nicht – ich hab’ Dich nit gesehn; auf das kannst Du Gift und Opperment nehmen.“

„Ich brauch’ Dich nicht,“ erwiderte Wildel, „wie und wann ich heut’ da hergekommen bin, das kann ich jedem Menschen sagen, wenn ich will; vielleicht hast Du’s nöthiger, wenn ich nicht sag’, daß ich Dir begegnet bin.“

„Meinst?“ rief Fazi giftig. „So will ich Dir gerade heraus sagen, wegen was ich Nachts unterwegs bin wie ein Vagabund – Dein übermüthiger Vater ist daran schuld. Er hat mich mir nichts Dir nichts aus der Arbeit gejagt und mich noch obendrein verschwärzt, daß mir der Meister Feierabend gegeben hat und ich brodlos geworden bin. Ich muß fort und schau’n, wo ich auswärts was verdienen kann; jetzt komm’ ich von meinem alten Vetter drinnen am Fall; ich hab’ ein Reisgeld von ihm haben wollen, aber das alte Mannl hat selber nichts als Noth und Elend. So werd’ ich halt schauen müssen, wer sonst mir ein Reisgeld borgt auf Nimmer-wieder-zahlen. Jetzt weißt Du, wie Du mit mir daran bist,“ fuhr er fort und kletterte zur Fensteröffnung empor, „jetzt will ich Dir die kalte Herberg’ allein überlassen; wir werden wohl einmal wieder zusammenkommen, wie dazumal auf der Schulbank.“

Im Augenblicke war er in’s Freie gesprungen, und sein Schritt verhallte auf dem weichen Wiesengrunde, aber als ob er zeigen wollte, daß er nichts scheue und zu scheuen habe, fing er zu singen an, und das Lied vom klugen Vogel Kukuk, der seine Eier in’s fremde Nest legt, klang lustig über Matten und Berge, die eben im ersten schwachen Morgengrauen aufzuwachen begannen.

Nachdenklich streckte sich Wildel auf das duftende Lager. Es währte geraume Zeit, bis der unangenehme Eindruck, den das plötzliche Begegnen mit Fazi auf ihn gemacht hatte, in ihm zu verschwinden begann; dann zog allmählich eine andere Gedankenreihe durch seine Seele. Er fühlte nach dem Silberringe an seinem Finger, und als trotz Betrübniß und Aufregung die ermüdete Natur ihr Recht zu fordern begann, war die Heuhütte und der Himmelmooserhof vergessen, und er saß träumend unterm Gebüsche einer schattigen Waldspitze und die Ringspenderin neben ihm.

Das Bild schwebte noch vor ihm, als er nach ein paar Stunden aus dem Schlafe auffuhr. Draußen leuchtete die Morgenfrühe in aller Klarheit. Er lachte in sich hinein, als er, die Hütte verlassend, um sich blickte und nun erst genau erkannte, welche Richtung trotz Finsterniß und Unmuth sein fliehender Fuß unwillkürlich und unwissentlich eingeschlagen hatte. Sah nicht über die Felsmauer, von der die Matte eingeschlossen war, ein steiler Grat wie das Haupt eines riesigen Wächters herein, der nach dem jungen Bergwanderer aussah, den er so oft auf der Almfahrt belauscht? Zu den Füßen desselben hinter der Mauer lag die Brünnleinsalm, von der man so weit und wunderbar in’s ganze Land hinaussah wie über eine ausgebreitete Landkarte. Dort, meinte er, wäre der richtige Platz, sich auch seine eigene Zukunft zu überschauen – die Sorgen der Nacht begannen zu verschwinden wie die Nebel, welche zerflatternd noch hier und da um die Bergkuppen hingen.

Noch hatte der Tag nicht die volle Herrschaft erlangt, als Wildel schon zu der Brünnl’-Alm hinanstieg; dieselbe bestand aus zwei stattlichen Sennhütten, zwischen welchen eine ungewöhnlich starke und klare Quelle sich aus einem Baumstamme, der als Brunnenröhre diente, in einen weiten Trog ergoß; von dort sprang und rauschte sie über den Abhang hinunter. Es war noch so früh, daß das Almvieh der kalten Nächte wegen nicht auf die Weide gelassen war; die Hütten waren noch geschlossen, und auch über denselben zeigte nirgends eine aufsteigende Rauchsäule, daß die Sennerin drinnen ihr Tagewerk bereits begonnen.

Der Bursche kam näher und klopfte an das Fenster der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_395.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)