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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Officiere und Unterofficiere. Die heutige rumänische Armee ist eine Schöpfung des Fürsten Cuza, welche von dem Fürsten Karl erweitert und fortgebildet wurde. Sie ist somit noch keine zwanzig, ja, man kann sagen, keine zehn Jahre alt. Dazu kommt, daß in dem rumänischen Volke allerdings kein besonders kriegerischer Geist steckt. Kann und darf man ihm daraus einen Vorwurf machen? Es ist das einfach eine Folge der natürlichen Anlage, eine Folge des Klimas, welches in raschem Wechsel von großer Kälte (Das Thermometer sinkt in Rumänien im Winter häufig bis auf 25 Grad Celsius unter Null) und erdrückender und erschlaffender Hitze (es erreicht im Sommer häufig 40 Grad Celsius im Schatten) die verschiedenartigsten Fieber mit ihren üblen Folgen erzeugt; es ist ferner eine Folge der Nahrungsweise, denn der Rumäne genießt im Vergleiche zu anderen Nationen wenig Fleisch und noch viel weniger starke gegohrene Getränke, obgleich er in einem Weinlande lebt. Zum Ueberflusse schwächen auch noch die vielwöchentlichen strengen Fasten der orthodoxen rumänischen Religion seine von Natur nicht sehr starke Constitution. Dennoch haben die Rumänen in ihren jahrhundertelangen Kämpfen mit den Türken unter Michael dem Tapfern, Stephan dem Großen und vielen anderen Feldherrn gezeigt, daß sie als Männer zu kämpfen und zu siegen oder auch zu sterben wissen. Was die Neuzeit betrifft, so verweise ich auf die Regimenter, welche Oesterreich aus seinen rumänischen Bezirken in der Bukowina, in Siebenbürgen, dem Marmaroscher Comitat und dem Banat rekrutirt, welche wahrlich nicht seine schlechtesten sind und Außergewöhnliches geleistet haben, wenn sie nur einigermaßen gut geführt wurden. Nach dem freilich erst vor wenigen Jahren eingeführten Heeresgesetz muß in Rumänien jeder gesunde Mann zwischen dem zwanzigsten und fünfzigsten Jahre Soldat sein, das heißt: er gehört entweder dem stehenden Heere (oder dessen Reserve), der Territorial-Armee oder der Miliz an, wozu in den Städten für die nicht felddienstfähigen Männer noch eine Bürgerwehr kommt.

Das stehende Heer, wie jede andere Armee aus Infanterie, Cavallerie, Artillerie, Genie-, Sanitätstruppe etc. zusammengesetzt, war in den letzten Friedensjahren zwischen zwanzig- und dreißigtausend Mann stark und kann durch Einziehung der Reserven leicht auf die doppelte Stärke gebracht werden.

Die Territorial-Armee, gleichfalls aus Infanterie (Dorobanzen genannt), Cavallerie (Calaraschi, d. i. Reiter genannt) und Artillerie bestehend, versieht in Friedenszeiten den inneren Sicherheitsdienst und die Bewachung der Grenzen, so zwar, daß der Territorial-Soldat eine Woche im Dienst steht und alsdann zwei Wochen seinen häuslichen Arbeiten, dem Ackerbau u. s. w. obliegt.

Die Miliz ist eine Art Landwehr oder noch richtiger Landsturm (da keineswegs alle Männer mit der Waffe ausgebildet sind), welcher nur zur Vertheidigung des Landes einberufen werden darf. In diesem Augenblick ist die rumänische Armee etwa 50–60,000 Mann stark und könnte um das Doppelte vermehrt werden, wenn es nicht an zeitgemäßen Gewehren, an Hinterladern, mangelte.

Eingetheilt ist die rumänische Armee in zwei Armee-Corps, von welchen das erste zwischen Krajowa und Kalafat concentrirt, das zweite zwischen Oltenitza und Bukarest echelonnirt ist. Das Ober-Commando über die gesammte Armee hat Fürst Karl in Person übernommen. Chef des großen General-Stabes ist der Oberst Slaniceano, bisher Kriegsminister, ein tüchtiger Officier, der seine Studien in Berlin und Brüssel gemacht hat.

Ueberall, wo die rumänische Artillerie bisher am Strande der Donau mit türkischen Monitors oder mit am jenseitigen Ufer gelegenen türkischen Batterien in's Gefecht gekommen ist, hat sie sich unerschrocken, kaltblütig und ruhig gezeigt. Im Zielen und Distanz-Schätzen, sowie in der Qualität der Explosions-Geschosse, die allerdings aus Preußen bezogen worden sind, erwies sie sich der türkischen Artillerie überlegen. Die Infanterie hatte noch keine andere Gelegenheit, sich zu erproben, als daß sie einigemal die Landungsversuche zahlreicher Baschi-Bozuks in Booten zurückwies, eine Aufgabe, welche ihr vollständig gelang.

Was die russische Armee betrifft, so betritt sie bekanntlich zufolge der zwischen Rumänien und Rußland abgeschlossenen Convention unsere Hauptstadt nicht. Wir haben deshalb bisher nur Bruchstücke derselben zu sehen bekommen, d. h. Officiere und Soldaten, welche aus den russischen Lagern einzeln oder in kleinen beurlaubten Abtheilungen nach Bukarest hereinkamen, um Einkäufe zu machen, sich zu erholen etc. Das Gros der russischen Armee ist übrigens noch gar nicht in Rumänien eingetroffen, sondern rückt erst in einer Woche heran. Es geht dies aus der Anzahl der Züge hervor, welche bei der Direction der rumänischen Eisenbahn bestellt wurden. Bisher wurden vier bis fünf Trains pro Tag befördert. Für die nächste Woche sind sieben bis acht Trains mit von Rußland gelieferten Locomotiven und Wagen bestellt. Als Grundsatz wird festgehalten, daß nur Train und Geschütze mit der Eisenbahn befördert werden, während die Soldaten aller Waffengattungen zu Fuß marschiren.

Gestern Nachmittag passirte eine Colonne von fünfzehntausend Mann Russen die südöstlichen Vorstädte von Bukarest auf dem Wege nach der Donau. Dieselbe lagert heute bei dem Kloster Vacareschti (eine Stunde von der Hauptstadt). Somit ist Bukarest nunmehr, mit Ausnahme der Nordfront, auf allen Seiten von russischen Lagern umgeben. Dieselben liegen in der Entfernung von einer halben zu anderthalb Stunden beim Kloster Vacareschti und den Dörfern Gilava, Comana, Kitila, Baniasse und Colentina.

Wenn die Russen nach Bukarest hineinkommen, so sind sie gern gesehene Gäste, besonders bei Kaufleuten und Gastwirthen. Sie bezahlen Alles baar und ohne viel zu handeln. Ihr Betragen ist ruhig und anständig; sogar ein wenig stolz und zurückhaltend. Wenn sich zufällig an einem Abend im „Grand Hôtel Boulevard“ oder beim französischen Restaurant Hugues (Gügues) eine größere Anzahl von Officieren zusammenfindet, wenn der Wein die Köpfe erhitzt und schließlich die Champagnerpfropfen ungezählt an die Decke fliegen, dann freilich wird die Scene etwas wild und erinnert bei der Mannigfaltigkeit der russischen Uniformen, unter welche sich wohl auch die ebenso glänzenden rumänischen Waffenröcke mischen, lebhaft an Wallenstein's Lager, aber bei Gasbeleuchtung, im tapezirten und bildergeschmückten Salon, zwischen Divans und Billards.

Wie die Regel immer erst durch die Ausnahme in das rechte Licht gerückt wird, so geht es auch mit dem guten Betragen der Russen, welche nach Bukarest hereingekommen sind, und ich darf diese Ausnahme nicht ganz unerwähnt lassen. Sie wurde von den russischen Tscherkessen gebildet, welche zwei Tage lang in hellen Haufen unsere Hauptstadt besuchten. Sie kamen zwar als unsere guten Freunde und wurden als höchst interessante Fremdlinge aufgenommen, aber dennoch hat Mancher bereut, mit ihnen in Berührung gekommen zu sein. In den Gasthäusern vergaßen sie häufig das Bezahlen und verstanden absolut keine Sprache, wenn man sie darauf aufmerksam machen wollte. In den Kaufläden suchten sie dem Mangel an gegenseitigem Verständniß dadurch abzuhelfen, daß sie die gekauften Waaren selber taxirten, ein Stück Geld auf den Tisch warfen, sich auf das ruhig und unangebunden vor der Thür wartende Pferd schwangen und davonritten, als ob sich das Geschäft in der allerschönsten Ordnung abgewickelt hätte. Wenn aber zufällig einer der Kaufleute die tscherkessische Art einzukaufen durchaus nicht begreifen wollte, seinem Kunden nachlief oder wohl gar seinem Pferde in den Zügel fiel, so belehrte ihn ein bedeutungsvoller Griff an den im Gürtel steckenden langen Säbel, daß der Tscherkesse zwar noch eine andere Zahlungsart kenne, daß es aber nicht rathsam sei, mit derselben Bekanntschaft zu machen. Bei den zufällig oder dienstlich in Bukarest anwesenden russischen Officieren liefen zahlreiche Klagen über den „Bruder Tscherkess“ ein. Für den Augenblick waren diese Klagen wirkungslos, nach zwei Tagen aber ließ sich die Wirkung erkennen. In ganz Bukarest war kein Tscherkesse mehr zu sehen. Es war ihm verboten worden die Stadt zu betreten.

In hohem Grade auffallend war es uns, unter den kaiserlich russischen Tscherkessen auch viele Juden zu bemerken. Es ließ sich das nicht allein an ihren Physiognomien deutlich erkennen, sondern auch an der Art, in der sie mit andern Juden verkehrten und mauschelten. Viele der letzteren sind ihnen aus ihrem Vaterlande nachgezogen. Zu ihnen gesellten sich zahlreiche Israeliten aus Kischeneff und Odessa. Ein noch viel stärkeres Judencontingent stellten Jassy und andere Städte der Moldau zu dem Heere, welche der russischen Armee wie eine Schaar hungriger Raben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_388.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)