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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


saß der Doctor Urban am Fenster in der Putzstube der Wirthin. Er hatte das ihm angewiesene Bett in der anstoßenden Kammer verlassen, und sein blasses Gesicht mit der Binde über der Stirn sah finster, doch ohne den sonstigen Ausdruck von Energie, durch die Scheiben hinaus, wo hinter Sommerblumen und Gemüse die Pappeln der Chaussee sich hinzogen. Seine Hand knitterte mechanisch an dem Briefe Harro's, und seine Gedanken wühlten in dem Schutte, zu dem das mißgünstige Geschick den babylonischen Thurmbau seiner Revolution dicht vor der Vollendung so schnöde zertrümmert hatte. Wer war denn jener Karl Hornemann, daß man ihm allen Trumpf in die Hände gab, während man seinen eigenen Rath wie das Erzeugniß einer unreifen Knabenphantasie bei Seite geschoben und die kühne Schöpfung eines großen geistigen Kraftaufwandes mit feindseliger Hand durchstrichen hatte, weil der Pascha vom Wiedenhofe es so gewollt? Die Eifersucht, der gekränkte Ehrgeiz im Herzen des einsam brütenden Mannes ringelten sich wie Schlangen um die Gestalt des frühern Freundes und sahen ihr drohend in die Augen. Und neben den Pascha stellte sich plötzlich das schöne Mädchen, das er tiefer geliebt hatte, als er selber geglaubt, und sein Herz kochte auf in Groll und – Scham über den mißlungenen Theatercoup, den er aufgeführt hatte und der ihm jetzt, da er mit dem Leben davongekommen war, unendlich lächerlich vorkam. Seine Faust ballte den Unglücksbrief einen Augenblick fester zusammen, und er dachte heimlich den Wunsch, daß er lieber als stiller, lebloser Menschenrest irgendwo im Ufergestrüpp hängen möchte, als daß er erwarten mußte, ihr wieder zu begegnen. Jener Ausgang hätte wenigstens etwas Tragisches gehabt.

Pah! – Sein Stolz bäumte sich auf, und sein mattes, schwerfälliges Ich versuchte mit gewaltsamer Anstrengung die Fittiche zu rühren, um alle die Widerwärtigkeiten zu überfliegen.

„Es giebt mehr begehrenswerthe Weiber. Warum gerade dieses unbeugsame, unberechenbare Mädchen? Warum nicht ein lustiges, blühendes, reiches – Was ist das?“

Sein Auge spähte durch den rieselnden Nebel zwischen das Gitter der Pappelstämme, und er glaubte an ein paar eilfertig die Chaussee herabkommenden Gestalten das Roth von Polizei- oder Militäruniformen zu erkennen. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: suchte man hier Jemanden, so war es ohne Zweifel der Friese. Wie, wenn der Wirth nicht gewarnt war und harmlos die nächtliche Anwesenheit desselben zugestand?

Der eifersüchtige Verdacht, der im Kahne wegen der unvermutheten Erscheinung Harro’s in ihm aufgeglommen, war erloschen; er sah in diesem nur den Verbündeten, dessen Flucht er sichern helfen mußte. Er erhob sich und stieg, so schnell ihm das möglich war, die Treppe hinunter. Der Wirth war in der Scheune, wo man Strohseile wand, und begrüßte mit Verwunderung den Anblick des Reconvalescenten, der ihm hastig winkte.

„Es kommt wahrscheinlich Polizei,“ empfing ihn Urban; „um’s Himmels willen verleugnen Sie, daß Herr Harro seit gestern Morgen einen Fuß in das Haus gesetzt hat, und schärfen Sie Ihrer Frau und den Leuten ein, dasselbe zu thun!“

Der Wirth besann sich einen Moment, wer den Friesen am Morgen gesehen haben könnte, lief dann, während Urban in’s Haus zurückkehrte, in die Scheune und holte Jenen in dem Moment auf dem Hausflure ein, wo die Thür sich öffnete und – Donner in Person mit zweien seiner Leute eintrat.

„Uff!“ schnaufte dieser, prallte aber plötzlich vor der Erscheinung Urban's zurück und blickte ihn mit scharfen Polizeiaugen an; „wie – der Geier! – was ist denn mit Ihnen geschehen? Haben Sie ein Duell gehabt?“

Urban lächelte schwach. „Die Mondschein-Romantik plagte mich vorgestern Abend, hier einen Kahn zu besteigen; ich kam dem Falle zu nahe und – die Folgen sehen Sie. Es ist zum Glück alles leidlich abgelaufen.“

Er begleitete den Ueberraschten in die Wirthsstube.

„Und auf welcher Fährte laufen Sie denn bei dem Wetter umher?“

„Ja so – einen Augenblick Geduld!“ entgegnete Donner rasch und verließ das Zimmer. Draußen hörte man ihn mit dem Wirth sprechen.

„Suchen Sie Jemand?“ fragte Urban die Sergeanten. Diese sahen einander an und verzogen die Gesichter wie in einer lustigen Erinnerung.

„Es ist diese Nacht Einer entsprungen, ein Hauptdemokrat, den wir gestern gefangen hatten, und der Herr Commissar meint, er wäre von hier gekommen und wäre wahrscheinlich auch wieder hierher zurückgegangen.“

„Hm, dann wäre er dumm genug gewesen.“

„Schadet nichts. Die Gegend wird untersucht,“ sagte die Stimme Donner’s vor der Thür. welche sich öffnete, um diesen und den etwas Getränk bringenden Wirth einzulassen.

„Ich höre, Sie haben Unglück gehabt,“ meinte der Arzt.

Der Commissar überlegte einen Augenblick. „Kommen Sie mit hinüber in die Wohnstube, Doctor! Ich habe Ihnen allerlei zu sagen. Der Wirth kann mein Bier ebendahin schaffen.“

„Es ist um toll zu werden, sage ich Ihnen,“ fuhr er erregt heraus, als sie in der Bauernstube allein waren. „Ich bin verrathen und verkauft und im Grunde ganz überflüssig. Beiläufig: wissen Sie schon, daß der ganze Empfang zu Wasser geworden ist?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Richtig. Nun: es ist Alles verregnet und der Hornemann mit seiner Gesellschaft –

„Karl Hornemann?“

„Natürlich – der ist die Hauptperson, wie ich mir halb und halb vorher gedacht; eine herrliche Liste habe ich – das kann ich Sie versichern. Kurzum die Rädelsführer mit ihrem Abgeordneten sind jämmerlich bei Nacht und Nebel in die Stadt gefahren. Nun aber die Hauptsache: die Demokraten in der Stadt durfte ich ja nicht anrühren, auf höheren Befehl; Sie wissen schon. Wie ich aber die Gesellschaft am Triumphbogen, die sich wie ein Hühnervolk im Regen zusammenduckte, durch ein Fernrohr beobachten lasse, erfahre ich, daß sich mit einem Male ein berüchtigtes Subject, ein gewisser Harro, dazwischen befindet, der schon einmal heimlich in der Stadt gewesen ist. Woher er so unerwartet angelangt, habe ich glücklich herausbekommen. Der Mensch hat die Dreistigkeit, mit Bandmüller, dem Factotum von Seyboldt und Compagnie, seelenruhig in die Stadt zu gehen; ich locke ihn in eine Falle und schaffe ihn gegen Abend ohne Aufsehen in das Fuchseisen. Er sitzt fest eingeschlossen und eingeriegelt und – heute früh ist er verschwunden. Keine Spur von Gewalt; die Schlösser, alles in Ordnung. – Ich versichere Sie,“ schloß er heimlich und mit aufeinander gebissenen Zähnen, „ohne allerhöchste Mitwirkung kann er nicht entwischt sein. Es ist nicht möglich.“

„Weiß denn der Schließer nichts?“

„Der alte Taugenichts behauptet es wenigstens. – Sehen Sie dorthin, Doctor – sehen Sie dorthin – –“

Donner sprang vom Stuhle auf und zeigte nach dem Fenster. „Zehren, so wahr ich lebe!“

Das Auge Urban's flammte vor Haß und sein Gesicht wurde noch blasser, als es ohnehin schon war. Der Fabrikant schritt langsam, einen Mantel um und den zugeklappten Regenschirm in der Hand, neben einem Bauer her, „einem Wegweiser – zu ihr,“ dachte Urban.

„Das bringt mich gleich auf ein zweites Capitel,“ fuhr Donner fort und schlug zornig mit der Faust auf eine Stuhllehne. „Denken Sie denn, daß mir die Briefe etwas genützt haben, die ich Ihnen neulich zeigte? Ich rapportire der Vorsicht halber darüber an maßgebender Stelle; was geschieht? Zwei Tage nachher bekomme ich die Antwort: die Briefe wären jedenfalls gefälscht und würden zu den Acten genommen; statt mich um Zehren zu kümmern, sollte ich lieber zu erfahren suchen, wer der Fälscher sein könnte, um nach dieser Richtung hin Weiteres zu veranlassen. Das alles ist – offenbarer Landesverrath; ich spreche es ruhig aus, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie es dem Herrn Oberbürgermeister wiedersagen.“

Ein lauernder Blick des Commissars fiel auf seinen Zuhörer.

„Sie sind nicht klug,“ erwiderte Urban, der nur mit halbem Ohre zugehört hatte und Zehren mit den Augen gefolgt war, bis die Gärten ihn verbargen. „Ich dächte, ich hätte schon mehr Gefährliches aus Ihrem Munde gehört.“ Mit einem Male schlug er dem Commissar auf die Schulter. „Donner, haben Sie nie daran gedacht, daß auch ein Oberbürgermeister-Sessel wackelige Beine hat?“

„Wie – – was? stammelte dieser; „ist das Ihr Ernst?“

„Die Politik ist mir bisher gleichgültig gewesen, aber was ich von Ihnen gehört habe, regt den loyalen Unterthanen in mir auf. Warum thun Sie nicht dem Staate und sich selber den

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