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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Bei jedem neuen Blitze starrte er mit vorgeneigtem Oberkörper in dieses geisterhafte Frauengesicht, und seine durchbohrenden Augen schienen ihre Seele ergründen zu wollen.

„Sprich!“

Eine secundenlange Todtenstille! Mein Herz klopfte hörbar.

„Vater! Vater!“

Und wieder nur das unerbittlich harte „Sprich!“

Aus dem weichen Gemüthsmenschen hatten die wenigen Tage einen spartanischen Vater gemacht. Er stieß die flehenden Hände rauh von sich; er hatte auf all’ ihr qualvolles Weinen nur immer dasselbe gebieterische Wort: „Sprich!“ Endlich riß er sie heftig empor.

„Ich gebe Dir fünf Minuten Zeit,“ sagte er eisig, „Du hast zu wählen, ob Du Dich wegen des Mordes Deines Gatten hier vor uns verantworten willst oder morgen vor den Gerichten, denen ich für diesen Fall die Baronin Falkenstein nach zehn Minuten als Gattenmörderin denunciren werde.“

Ihr Aufschrei durchgellte das Gemach. „Ich eine Mörderin?“

„Sprich!“ wiederholte er rauh.

„Papa, Papa, Du kannst es nicht glauben,“ jammerte sie auf. Der nächste Blitzstrahl zeigte sein in unerbittlicher Strenge versteinertes Gesicht. Es war nicht mehr ihr Vater, der, hoch aufgerichtet, in seiner ganzen herrschenden Größe vor ihr stand – es war ein mitleidsloser Richter.

„Eine wahrheitsgetreue Beichte!“ sagte er befehlend, „meine Geduld geht zu Ende.“

„Ich – will – Alles – sagen,“ brachte sie fast unhörbar hervor, und ich führte ein Glas Wein an ihre Lippen, um sie zu kräftigen. Sie schlürfte das Naß, gierig wie ein Verschmachtender, bis auf den letzten Tropfen aus. Dann stützte sie die wankende Gestalt mit dem Rücken an den Kaminmantel und sprach leise:

„Ich habe Bruno Zukits mit der ganzen Schwärmerei eines Mädchenherzens geliebt und mich ihm – was und wer auch immer zwischen uns treten möge – mit heiligen Eiden zugeschworen. Dieses Versprechen forderte er von mir schriftlich, und ich gab es ihm und meine Betheuerungen nie endender Liebe.“ Der Oberst fuhr heftig auf; sie streckte ihm beschwörend ihre Hände entgegen. „Zukits wurde gleich darauf versetzt, und Gerüchte seiner Verlobung mit einem sehr reichen Mädchen in der Residenz drangen zu mir. Du weißt, Papa, wie tief unglücklich ich damals war und wie fest ich mit allen Fasern meines innersten Seins an ihm hing.“ Blanche wankte. Sibylle führte sie zu einem Sessel, und auch der Oberst setzte sich wieder. Er klingelte und ließ Licht bringen.

Die junge Frau hatte den Kopf matt an Sibyllens stützenden Arm gelehnt. Nach einer Weile hob sie unaufgefordet wieder zu sprechen an:

„Ich war damals so hoffnungslos verzweifelt, daß es mir völlig gleichgültig war, was aus mir wurde. Mama beschwor mich unter Thränen, Euch Alle von dem Untergange zu retten, indem ich Falkenstein’s Werbung annahm. Sie rang mir mein Wort ab, ihren überredenden Einfluß auf mich Niemandem, am wenigsten Dir, Papa, zu verrathen. Ich sagte zu Allem Ja. Wie ich mich durch den kurzen Brautstand schleppte oder schleppen ließ, ich weiß es kaum. Mama kannte mich besser, als ich mich selbst; sie wußte den Sinn für Glanz und Luxus am Ende wieder in mir zu wecken. Die trostlose Gleichgültigkeit machte in nicht zu langer Zeit dem fieberhaften Eifer in mir Platz, die eleganteste Salondame zu werden und Alles und Alle durch Schönheit und einen Luxus ohne Grenzen zu überstrahlen. Mein Gemahl setzte dem brennenden Verlangen nichts entgegen. Du weißt, Papa, seine Mittel gestatteten ihm meinen Luxusgelüsten zu willfahren; er fand an meinen Liebhabereien und kindischen Zerstreuungen Wohlgefallen. Ich hätte kein Herz haben müssen, hätte seine stets wache, stets sorgende Liebe mich nicht gerührt. Ich faßte eine Art kindlicher Zuneigung zu diesem edelsten aller Männer, eine Zuneigung, in welcher Hochachtung, Freundschaft und Respect sich so vermischten, daß ich kaum sagen kann, welches Gefühl in meiner Seele die Oberhand gewann.“

„Und diesen Mann konntest Du – –, diesen Mann, dem Du selbst zugestehen mußt, daß er jedes Menschen höchste Achtung und Liebe verdiene?“ sagte der Oberst vorwurfsvoll.

Sie ließ den Kopf trostlos auf die Brust sinken; die Hände fielen ihr schlaff in den Schooß.

„Ich habe auf den Knieen gelegen und zu Gott gebetet – umsonst! Wie ein Wirbelwind, gegen den ich vergeblich meine schwachen Kräfte anstemmte, fühlte ich mich fortgerissen, fortgerissen bis – bis – sie bedeckte stöhnend ihre Augen.

„Bis in’s Verbrechen. Die sündige Leidenschaft hat Alles in Deiner Brust niedergetreten, was meine Hände der jungen Seele einst eingeimpft. Pfui über diese Erbärmlichkeit, die sich hinter den Sophismus der unzulangenden Kraft flüchten möchte! Pfui, pfui, Elende! – Ich habe keine Tochter mehr.“

„Halt ein, Vater! Erbarmen! Laß mich vollenden, ehe Du mich verdammst! Was klagst Du mich der sündigen Leidenschaft an? Beschuldige mich lieber der feigen, erbärmlichen Furcht! Sie hat mich fortgerissen, bis ich mich selbst nicht mehr kannte. Statt mich dem besten der Männer zu Füßen zu werfen und ihn um seinen Schutz gegen den Fürchterlichen anzuflehen, griff ich zur Selbsthülfe, die uns nun Alle in’s Verderben stürzt. Bald nach meiner Verheirathung erfuhr ich, daß Zukits’s Verlöbniß sich wieder gelöst. Der Frau entschleierten ‚gute Freunde‘ die Lebensweise Zukits’s, eine Lebensweise, deren Schilderung man dem keuschen Ohre des Mädchens vorenthalten. Verachtung verscheuchte den letzten Rest der Trauer um Den, der in meiner Erinnerung als theurer Todter gelebt hatte. Vollständige Gleichgültigkeit löschte in den letzten Jahren ganz sein Bild in mir aus. Da stand er vor ein paar Tagen hier im Parke vor mir – er lag zu meinen Füßen.“

„Der Unverschämte!“ brauste der Oberst auf.

„Ich weiß nicht,“ sagte sie sanft, „war ich mehr empört oder zu Tode erschrocken, als ich den Mann in der verwahrlosten Kleidung, wie dem Erdboden entstiegen, auf einmal vor mir sah. Ich gebot ihm aufzustehen. Er gehorchte nicht. Er wollte vor mir liegen, bis ich versprochen, das gegebene Wort zu lösen. Dies zu fordern sei er da.

‚Welches Wort?‘ fragte ich verwundert. Das Wort: ihm zu folgen, antwortete er mir, zu folgen bis an das Ende der Welt, sein zu werden gegen alle Satzungen und Gebote, gegen die heiligsten selbst und trotz der Rechte, die man an mich geltend machen könne, mit ihm zu fliehen in die weite Welt vor den Menschen und ihren Gesetzen.

Ich lachte ihm in’s Gesicht und sagte ihm, daß seine Untreue den Pact null und nichtig gemacht, daß überdem die albernen Schwüre, von Blanche Waldow geschrieben, keine Gültigkeit mehr hätten, da deren Erfüllung sich bei der Baronin Falkenstein ja selbstverständlich verböte. Er stand plötzlich drohend auf seinen Füßen. Sein böses, leidenschaftliches Gesicht sah verzweifelt entschlossen aus; sein heißer Athem wehte mich an.

‚Die Briefe tragen kein Datum,‘ sagte er frech. ‚Die gewohnte Mädchennachlässigkeit trägt mir den Vortheil ein, daß ich vorgeben könnte, die Baronin Falkenstein habe sie mir – nehmen wir an: vorige Woche – geschrieben.‘

Ich stand wie versteinert vor so unerhörter Frechheit.

‚Ich werde den Commandanten rufen,‘ brachte ich endlich fassungslos heraus.

‚Thun Sie das, meine Gnädigste! Der Herr Gemahl wird das Geschenk dieser werthvollen Episteln ohne Zweifel hocherfreut entgegen nehmen.‘

‚Er wird seinem Weibe mehr Glauben schenken, als –‘

‚Diesen überzeugenden Worten schwarz auf weiß,‘ meinte er spöttisch. ‚Sie haben mir vor Jahren liebenswürdiger Weise Blanco Vollmacht gelassen. Ich habe mir die Erlaubniß genommen, Datum und Unterschrift zu vervollständigen. Sehen Sie her, meine Gnädigste, und gestehen Sie ein, daß das Facsimile mir doch ziemlich gut gelungen ist!‘

Sprachlos starrte ich auf den offenen Brief, den er mir hinhielt. Ich selbst hätte geschworen, daß das Datum, 25. Juli 18– und das F. F. neben dem B., von meiner eigenen Hand waren. Ich war wie von Sinnen vor Schreck. Ich glaube, ich legte mich auf's Bitten. Er hörte mich noch eine ganze Weile geduldig an. Dann sagte er mit frivoler Bewunderung:

‚Wie schön Sie geworden sind, Blanche! So viel entzückende Reize an einen Greis fortgeworfen! Das darf ich nicht zugeben.‘ Als ich mich mit einer Geberde des Abscheues von ihm abwandte, fügte er hinzu:

‚Nur nicht so spröde, tugendsam schöne Frau! Wir kennen die Frauen. Ich liebe Sie noch, oder sagen wir besser: wieder,

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