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halben Liter enthaltende andere Wassergefäß ausgeleert, hatte sie nach der Mitte des freien Platzes zu gehen und sich dort mit gekreuzten Beinen auf ihre Matte niederzulassen, nach Anleitung ihre Arme vorwärts streckend und die Hände leicht geöffnet mit der Handfläche nach oben haltend; sehr bald ermüdend, stützte sie dieselben auf die Kniee. Die fünf anwesenden Ngangas begannen nun zum ersten Male ihre Künste zu treiben. Verschiedene Fetische wurden herbeigebracht und der Angeklagten gegenüber aufgestellt, lange röhrenförmige Holztrommeln mit Klöppeln und Händen bearbeitet, Antilopenhörner und Pfeifen geblasen und Beschwörungen bald einzeln, bald im Chor gemurmelt oder laut gerufen, wobei dann die Umstehenden oft kräftig mit einfielen. Man verließ sich also doch nicht so ganz unbedingt auf die Unfehlbarkeit der mit der Entscheidung betrauten höheren Macht, sondern hielt es für nöthig, die eigenen guten Zauberkräfte auch noch gegen die schlimmen der Hexe in’s Treffen zu führen, zumal die Tochter der letzteren ebenfalls ihre eigenen Fetische in der Nähe herumtrug und ihre Hülfe anrief.

Trotz alledem hatten die Zuschauer nur geringe Aufmerksamkeit für den Vorgang, der sie doch versammelt hatte. Die Männer kamen und gingen, lagerten sich, schwatzten und rauchten, bei letzterem Vergnügen sich, dem Gebrauche gemäß, vorsichtig unter dem Winde von der Verklagten haltend. Der eisgraue, von Rheumatismus geplagte Dorfherr erschien nur für kurze Zeit, auf seinen langen Stab gelehnt, unter dem Mangobaum vor seinem kleinen Gehöfte. Zwei niedliche, nur wenige Jahre alte Kinder waren nahebei beschäftigt, Palmnüsse zwischen Steinen zu zerschlagen und die Kerne sorgfältig zu sammeln, während eine junge Mutter, ihren Säugling in das Tuch auf dem Rücken eingebunden, dicht neben unseren Sitzen knieend, emsig weiter flocht an einem feinen Körbchen von Palmblattstreifen. Unmittelbar neben den Zauberapparaten hatte sich eine kleine Negerin niedergelassen, uns Weiße ununterbrochen mit ihren großen staunenden Augen musternd; sie sowohl, wie auch der daneben stehende Nganga ließen es ruhig geschehen, daß eine dreiste Ziege neugierig die Fetische beroch. Im Schatten einer Hütte waren junge Mädchen zu einer malerischen Gruppe vereint, fesselnd sowohl durch die schöne Farbenwirkung der bunten Stoffe und der warmen, dunkelbraunen Haut, wie durch eigenartige Anmuth der Stellung. Eine derselben, auf einer Matte hingestreckt, das blaue Gewand nachlässig zurückgeworfen, erinnerte überraschend an Correggio’s „Büßende Magdalena“. Sie plauderten und scherzten; die fröhlichen Augen glänzten, und die Zähne schimmerten herüber, so oft die eine oder die andere in gewohnter Weise irgend welche lustige Bemerkung über uns zum Besten gegeben. Etwas abseits ließ ein Weib ihr Kind auf der Hüfte reiten, und bedeutete es, mit der Hand zeigend: „Nkassa, Nkassa!“ Die Irrsinnige des Dorfes drängte sich mehrere Male heran, unter wilden Gesten, mit kreischender Stimme einen unverständlichen Wortschwall und gellendes Gelächter hervorstoßend; auch sie schleppte einen eingebildeten Talisman, ein Grasbündel, mit sich herum.

Die Angeklagte erhob sich und ging mit festen Schritten zwischen ihrer Matte und den Fetischen auf und ab, mehrere Male, wie ein Recrut, kräftig die Beine streckend und die Arme wie im Faustkampfe vorwärts werfend. Um acht Uhr sechsundfünfzig Minuten erbrach sie zum ersten Male eine ziemliche Menge hellgelben Schleimes. Die Ngangas untersuchten den Auswurf und verkündeten: es sei keine Nkassa. Ein Jeder konnte sich davon überzeugen. Die Schwester der Frau, ein kräftiges, jugendliches Weib, sprang plötzlich herbei, wechselte einige Worte mit der Angeklagten und wandte sich dann in leidenschaftlicher Rede an die Umstehenden, schließlich den Ngangas mit heftigen Geberden auf den Leib rückend und mit hoch erhobenen Armen die Fetische bedrohend. Kein Wort wurde ihr erwidert, und sie stürmte fort, um sich wieder der Tochter der Hexe anzuschließen, welche wehklagend mit Zauberklappern den Platz umlief und ihre Mkissi anrief, die Mutter zu schützen, zu retten. Um neun Uhr dreißig Minuten trat ein abermaliges Erbrechen gelben Schleimes ein. Die Ngangas wandten sich abseits und beriethen. Zuweilen kehrte einer derselben zum Platze zurück, klemmte eine Trommel zwischen die Beine und entlockte ihr mit Klöppel und Fingern weder besonders laute noch schaurige Töne. Wie ein Kind, das schnell ermüdet, legte er dann das Instrument achtlos bei Seite und ging. Ein Anderer näherte sich der Inquisitin, hielt eine Hand über ihren Kopf und umschritt sie, Beschwörungen murmelnd. Zuweilen versammelten sich auch wieder Alle, um vereint unter dem üblichen Lärmen auf Hörnern, Pfeifen und Trommeln ihre Fetische anzurufen. Ihr Treiben machte entschieden auf alle Anwesenden nicht den geringsten Eindruck; ein Nganga, welcher über einen Zauberkasten stolperte, wurde sogar mit schallendem Gelächter und lauten Zurufen verhöhnt; die weibliche Jugend geberdete sich hierbei ganz besonders eifrig und respectwidrig. Ngo, der als Ehemann doch am meisten Betheiligte, ließ sich nur selten blicken und schien sich absichtlich fern zu halten.

Mehrere der Knaben, welche in unserem persönlichen Dienste standen, waren unterdessen von der Station herbeigekommen und hielten sich neben uns; zu ihnen gesellten sich andere junge Leute beiderlei Geschlechts, ihre Meinungen austauschend. Ein Mädchen wußte genau, daß man der Frau besonders giftige Nkassa gegeben habe und sie sicher umbringen wolle; ein anderes erzählte, die Frau müsse sterben, denn in letzter Nacht habe die Eule im Dorfe geschrieen; ein junger Mann theilte mit, man warte nur, bis die Weißen gegangen seien, dann würde man die Schuldige auf den Hügel schleppen und dort einander so lange zuwerfen, bis sie todt sei; ein zweiter bestritt dies und behauptete, sie würde lebendig begraben werden, und so fort. Der Einfluß, welchen die abenteuerliche Phantasie des Negers auf sein Denken und Sagen hat, zeigte sich auch hier wieder einmal recht deutlich. Darüber waren Alle einig, daß Jene eine sehr böse Frau, eine schlimme Hexe sei.

Um neun Uhr vierundfünfzig Minuten erfolgte das dritte Erbrechen; der Auswurf war der gleiche wie vorher. Die Inquisitin ging nun wieder eine Zeitlang auf und ab, nahm dann ihre Matte und setzte sich, da die Sonne sehr heiß brannte, ruhig in den Schatten einer Hütte. Die Ngangas remonstrirten dagegen, aber ohne Erfolg, denn die Zuschauer nahmen zum Theil Partei gegen sie. Nach einer längern allgemeinen Berathung begab sich die ganze Gesellschaft nach einem andern Platze, in den Schatten des von den Webervögeln besetzten Bombax und einiger anderer Bäume. Dort erbrach das Weib um zehn Uhr fünfundzwanzig Minuten zum vierten Male, wieder hellgelben Schleim, aber mit Schaum gemischt. Sie erschien zwar etwas matt, aber sonst vollkommen wohl, blickte aufmerksam umher, sprach mit Verschiedenen und hielt sich wahrscheinlich für gerettet.

Ein Nganga theilte uns mit, für heute wäre das Verfahren beendet; morgen würde die Verklagte zum zweiten Male Gift nehmen. Man wollte uns offenbar zum Aufbruche bewegen. Viele der Zuschauer gingen auch wirklich fort, verschwanden in ihren Hütten oder zogen nach den andern Dörfern. Die Ngangas baten uns um ein Geschenk von Rum; wir schlugen es ab. Sie zogen sich zurück, ließen die Inquisitin allein, aßen und tranken und machten es sich unter einem Sonnendach bequem. Als sie endlich einsahen, daß sie unsere Geduld damit nicht erschöpfen konnten, hielten sie, auch mehrere Männer des Dorfes hinzuziehend, eine langdauernde Berathung. Das Resultat derselben war, daß sie zur Hexe zurückkehrten und verkündeten, sie habe, um ihre Unschuld zu beweisen, nochmals Nkassa zu nehmen. Hiermit war das Schicksal der Armen entschieden. Sie gingen auch sofort wieder in der früher beschriebenen Weise an’s Werk, doch nun unter stärkeren eindringlicheren Beschwörungen. Während die Andern auf den Instrumenten immer lauter und wilder lärmten, umliefen zwei Ngangas, zur Erde niedergebeugt und mit den Spitzen der Zeige- und Mittelfinger beider Hände abwechselnd den Boden berührend, die Verklagte, zuweilen vor ihr anhaltend, seltsame Töne ausstoßend, die Fetische anrufend und ihre Körper in wunderlichen Verdrehungen und Zuckungen bewegend; dann ruhten sie sich plötzlich wieder ganz unbekümmert neben ihren Zauberapparaten aus.

Seit dem frühen Morgen hatten wir den Vorgang beobachtet; Mittag war vorüber; und außer uns befanden sich nur noch etwa ein Dutzend Zuschauer am Platze. Der Fall war zweifelhaft geblieben; die Angeklagte hatte die Giftrinde weder nach Vorschrift von sich gegeben, noch war sie derselben erlegen. Wir konnten sie durch irgend welche Verwendung zu ihren Gunsten nicht retten, durch unser längeres Verweilen aber ihr Geschick nur verschlimmern, da unsere Anwesenheit, wie wir hörten, schon zu ihr nachteiligen Deutungen Anlaß gegeben hatte. Wir beschlossen also, vorläufig nach Chinchoxo zu gehen und später zurückzukehren.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_179.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)