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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


im siebenten Capitel ist selbst ein Gedicht, der Stil überall von tadelloser Schönheit und wechselnder charakteristischer Färbung. Gewiß hat sich Lindau mit diesem Buche eine „neue Position“ in der deutschen Literatur errungen, die unerschütterlich bleiben wird, und sollte er jemals eine Sünde begangen haben, oder noch zu begehen gedenken, im Namen Alfred de Musset's sei sie ihm vergeben!

Auf einem Boden von noch viel gefährlicherer Schlüpfrigkeit hat er bereits seit Jahren festen Fuß gefaßt: auf der Bühne. Seine ganze Veranlagung, Neigung und Beruf für unmittelbare Wirkung mußten ihn gebieterisch dem Theater zuführen. Schon sein erstes Drama „Marion“, eine höchst interessante Verwerthung französischer Erinnerungen und Vorbilder, erregte Aufsehen, wegen des wenig anmuthenden Halbwelt-Stoffes aber überwiegendes Bedenken. Auch das kleine Lustspiel „In diplomatischer Sendung“, von Laube mit dem Preise des Wiener Stadttheaters gekrönt, war nur eine liebenswürdige Plänkelei, eine versuchsweise Vorbereitung zum ernsthaften Angriff. Er erfolgte bald darauf und mit einem so vollständigen Siege, wie er seit langen Jahren auf deutschen Brettern nicht erfochten ward. „Maria und Magdalena“, ein Schauspiel in vier Aufzügen, kam im Winter 1872 zuerst in Wien, abermals bei Laube, alsdann im Berliner Hoftheater zur Aufführung, ging in einem Jahre über einhundertzwölf deutsche Theater, erlebte überall zahlreiche Wiederholungen, in Berlin allein sehr schnell fünfzig, hat heute noch nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt, seinem Autor grüne und goldene Lorbeeren in reichster Fülle eingebracht und neulich, in italienischer Uebersetzung, auch die Römer entzückt. Das Publicum war hingerissen; die Kritik konnte den Sturm der Aufregung nicht beschwören, sie mußte den ungetheilten Erfolg besiegeln. Und wiederum war es der Reiz der Neuheit, der so widerstandslos packte.

Das Theater war verschwunden; man sah, man hörte, man fühlte sich selbst; man befand sich unter lauter guten Bekannten, denn auch die Angehörigen der schlechten Gesellschaft hatte man nur allzu häufig gestreift. Was halfen dagegen alle nachträglichen Nörgeleien: daß die ganze Geschichte auf einer Unwahrscheinlichkeit beruhe – was ist unwahrscheinlicher als das Leben? – daß die Handlung manchmal Sprünge mache – geht denn Alles schnurgerade vor sich? – daß mancher Witz doch zu verwegen – ist die Verwegenheit nicht die Würze des Witzes? Lindau, dessen Name auf Aller Lippen, durfte kühnen Muthes weiter streben. Die allgemeine Erwartung hob ihn schon zu den höchsten Zielen empor. Und doch schien er bei dem nächsten Schritte zu straucheln. „Diana“, das neue Drama, das im folgenden Jahre erschien, stimmte etwas herab; seine Aufnahme und Verbreitung würde bei jedem andern Schriftsteller ungemein befriedigt haben, für den Dichter von „Maria und Magdalena“ aber genügten sie nicht. Die Begeisterung versagte; der Triumphzug stockte; aus den Reihen traten die Tadler hervor, und die Kritik der beiden deutschen Hauptstädte vereinte sich zu einem abfälligen Urtheile, dessen absichtliche Schärfe den Rache-Act deutlich verrieth: man holte nach, was man das vorige Mal nicht hatte wagen dürfen. Dem verwöhnten Sieger war die erste Verwarnung ertheilt – es kam noch schlimmer. Sehr bald verbreitete sich das Gerücht, daß er, unbußfertig und unentmuthigt, an einem Stücke schreibe, dessen Stoff die Geschichte des vorigen mit pikanten Zuthaten von persönlicher Portraitirung und anderem Gräuel. So war eine künstliche Aufregung hervorgerufen und diese sichtlich in dem Publicum verkörpert, das am 7. November 1874 im königlichen Schauspielhause zu Berlin der ersten Aufführung von Lindau’s „Erfolg“, Lustspiel in vier Acten, entgegen harrte. Einen solchen Abend hatte die vornehme Stätte noch nicht erlebt. Die zügellosesten Ausbrüche der Leidenschaftlichkeit begleiteten und störten die Vorstellung; der Kampf kam dem Handgemenge immer näher, und der schließlich durchgesetzte Hervorruf des Dichters glich einer Vorladung zur Schlachtbank. Aber mit der Schleunigkeit einer Bühnenverwandlung ward aus der scheinbaren Niederlage ein wirklicher Sieg. Schon der zweite Abend brachte einen Erfolg, der dem von „Maria und Magdalena“ nichts nachgab und mit dem Stücke ständig sich erhalten hat, welches auch das Hofburgtheater in Wien für Lindau eroberte und siegreich behauptete.

Und die Kritik? Die Berliner zerfleischte Dichtung und Dichter und hallte von dem Tone des ersten Abends wieder; die Wiener folgte, mit völliger Nichtbeachtung der ihr vorliegenden Thatsachen, dem nordischen Beispiele.

Das Publicum, das inzwischen sein selbstständiges Urtheil abgegeben, schüttelte die Köpfe, diesseits wie jenseits des Oceans, denn ehe der „Erfolg“ seine Rundreise durch Deutschland angetreten, hatte er bereits in New-York zwölf Mal hinter einander die herzlichste Freude erregt. Daß Lindau, dem alle bei solchen Gelegenheiten unvermeidlichen bitteren Erfahrungen nicht erspart blieben, auf das Tiefste ergriffen war, läßt sich leicht nachfühlen, daß er aber alle Verbitterung überwand und die Gegnerschaft durch eine neue That zu widerlegen suchte, zeugt für seine Schaffensfreudigkeit und den Glauben an den eigenen Beruf. Und abermals war am 21. December 1875 das königliche Schauspielhaus zu Berlin bis auf den letzten Platz gefüllt, und, verborgen in einer Loge des zweiten Ranges, folgte mit athemloser Spannung und hochklopfendem Herzen eine junge Frau dem Verlaufe und telegraphirte von Act zu Act dem Gatten, der zu derselben Zeit in Wien eine Vorlesung zum Besten des Schriftstellervereins „Concordia“ hielt. Die letzte Depesche blieb ihr erspart, denn an Stelle des herausgejubelten Dichters erschien der Regisseur mit der Verkündigung, daß dem leider Abwesenden der Dank und die Anerkennung „des Hauses“ sofort durch den Draht übermittelt werden sollte.

Die Abende kehren wieder, aber sie gleichen sich nicht. Eine so freundliche erste Aufführung hat dieses „Haus“ selten zu verzeichnen gehabt; die Theilnahme, die Begeisterung war eine verständnißinnige, hingebende, fast zärtliche, überall die Stimmung getreu in Einklang und Wechselwirkung mit der auf den Brettern. Und dieses erste Urtheil ward aller Orten bestätigt, auch von der Kritik, die, bis auf ein verschwindendes Häuflein Verbissener, eine neue Schraube einsetzte und ihr Instrument wieder nach der Seite der Anerkennung hin drehte, wenn auch hier und da mit etwas zweifelhaft gedämpften Tönen.

„Tante Therese“, Schauspiel in vier Acten ist die beste und gereifteste dramatische Schöpfung Lindau's. Mit allen Vorzügen seiner früheren, der fesselnden Handlung, der sicheren Zeichnung der Verhältnisse und Figuren, der photographisch treuen Wiedergabe der heutigen Gesellschaft, der geistreichen und doch überall angemessenen Sprache, verbinden sich innerliche Vertiefung und äußere Abrundung, die bei Lindau bisher zuweilen vermißt wurden; auf dem Ganzen ruht der Zauber echter Poesie. Das Stück, welches mehr gefangen nimmt, als blendet, ist ein bürgerliches Schauspiel im edelsten Sinne und eine Zierde dieser bei uns leider so vernachlässigten Gattung. Für den gegenwärtigen Winter hat Lindau nur eine mustergültige Bearbeitung der hochinteressanten „Fremden“ des jüngeren Dumas geliefert, die ihm unter anderem einen vierzehnseitigen Brief und das Portrait des einlenkenden Deutschenhassers eingetragen. Eine Originalarbeit wird indessen nicht allzu lange auf sich warten lassen.

Paul Lindau, am 3. Juni 1839 zu Magdeburg geboren, hat die Lehrjahre längst hinter sich, auch die Sturm- und Drangperiode überwunden, und ist in voller Jugendblüthe ein reifer Mann mit erfolgreicher Vergangenheit und gewiß auch ein Mann von bedeutender Zukunft. Was er bisher geleistet, würde genügen, ein Menschenleben auszufüllen, und heute schon läßt sich seine Bedeutung nicht mehr bestreiten. Sie erhellt am klarsten aus dem Streite, der um ihn entbrannt ist und noch nicht gänzlich ruht. Kein Name wird vielleicht häufiger genannt, sicherlich keiner mit so unbedingter Anerkennung auf der einen, solch ingrimmigem Haß auf der andern Seite. Es giebt eine ganze Literatur für und wider ihn. Offenherzig und rückhaltslos, mitunter etwas hastig und ungeduldig, ist er doch ein treuer Geselle und guter Cumpan im Leben wie im Schreiben, und gerade jene ersten Eigenschaften werden so häufig mißverstanden, oder gar absichtlich mißdeutet.

Welche Schmähungen sind schon auf den Kritiker Lindau gehäuft! Und doch ist Keiner ehrlicher bei der Sache, anerkennt und fördert Keiner mit größerer Freudigkeit das wahrhaft Gute; ist es seine Schuld, wenn er ihm nicht allzu häufig begegnet, und hat Unerbittlichkeit gegen breitspurige Mittelmäßigkeit oder wirklich Schlechtes jemals für ein Verbrechen gegolten? Lindau ist nicht nach und nach fertig, nicht begünstigt und großgezogen worden; wie eine Ueberraschung stieg er plötzlich aus der Versenkung empor, und seine ersten Erfolge sind maßgebend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)