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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

mit edlen Frauen nicht entbehren und beklage nur, daß die besten und würdigsten sich so schwer herbeilassen, mit mir armem verpfuschtem Menschen Geduld zu haben. Werden Sie mir gestatten, wieder Gast in Ihrem Hause sein zu dürfen, wenn ich für meine Unarten feierlich Abbitte leiste?“

Die kluge alte Frau hielt seinen schmeichelnden Blick ruhig aus und sah so abweisend aus ihrer schwarzen Kappe, deren Bänder das Gesicht einrahmten, auf den neben ihr Sitzenden, wie zuvor. „Machen Sie sich keine vergebliche Mühe, Herr Doctor Urban!“ fuhr sie rauh heraus. „Ich kenne Ihre Absichten und habe nicht Lust, sie zu unterstützen. Ich kann Sie nicht hindern, meiner Tochter außerhalb meines Hauses zu begegnen – ich müßte ihr sonst das Ausgehen verbieten, aber in meinem Hause möchte ich Ihnen wenigstens keine Gelegenheit geben, das Herz einer Tochter gegen ihre Mutter einzunehmen.“

Eine zornige Röthe zog sich über die weiße Stirn des jungen Mannes, aber er bezwang sich. Wußte die alte Frau etwas von seinem heimlichen Verkehr mit Emilie, oder wollte sie nur auf den Strauch klopfen? „Ich verstehe einen Theil dessen nicht, meine verehrteste Frau, was Sie sagen,“ meinte er endlich ausweichend, „den anderen aber verstehe ich, nämlich daß ich Ihnen als Schwiegersohn nicht willkommen sein würde. Ich würde Ihre Gründe unbefangen würdigen, wenn Sie die Güte hätten, mir diese mitzutheilen.“

„Es wird genügen, wenn ich Ihnen sage, daß meiner Tochter Bräutigam dort steht,“ entgegnete Frau Hornemann heftig. „Karl, stelle doch gefälligst die beiden Herren einander vor!“ Sie machte eine rasche Handbewegung und stand dann auf, um in den Laden zu gehen, wohin keine Schelle sie rief.

Der Doctor warf seinen Stuhl zurück und trat ihr in den Weg. „Einen Moment noch, meine Gnädige!“ sagte er. Seine Augen blitzten und er biß die Zähne zusammen. Mit gedämpfter Stimme setzte er hinzu: „Ist es Ihre unwiderrufliche Absicht, mir den Weg zu Emilie abzuschneiden und mich zum Aeußersten zu treiben?“

„Ich bin eine schlichte Bürgersfrau und keine Gnädige, wenigstens nicht für Sie, Herr Doctor, und ich verstehe nicht, was Sie mit Ihrem 'zum Aeußersten treiben' sagen wollen. Ich hoffe, eine Mutter wird noch das Recht haben, zu bestimmen, was sie im Interesse ihrer Kinder für richtig hält. Und damit Gott befohlen! Karl, ich wünsche, daß Du mir Aufregungen ersparst, welche Du vorhersehen mußt.“

Der Doctor trat einen Schritt zurück und ließ sie passiren. Karl Hornemann kam zu dem Freunde, aus dessen Antlitz alle Farbe gewichen war und dessen Blicke Erbitterung sprühten. „Ich habe Aehnliches vermuthet, Heinrich, aber nicht, daß es so schlimm kommen würde. Was sie zu einem solchen Grade der Rücksichtslosigkeit gereizt hat, vermag ich nicht zu begreifen.“

„Bah!“ entgegnete der Arzt mit gewaltsamem Lachen, „zärtlicher konnte sie doch nicht sein. Vergelt's Gott!“ Aber nur einen Moment war er bügellos geworden, dann ließ die heftige Spannung seiner Züge nach; sein Gesicht hatte den röthlichen Ton von sonst, und er beherrschte sich wieder. Nur in seinem Auge war etwas Wirres, Flimmerndes zurückgeblieben, als er Karl Hornemann bat, den Herrn Franz Zehren zu fragen, ob er sich seiner noch erinnere, oder ihm anderen Falles seinen Namen zu nennen.

Dieser hatte während des ganzen Vorganges bei Seite gestanden und scheinbar mit schärfster Aufmerksamkeit zugehört, und er war froh zu bemerken, daß eine flüchtige Bewegung des Doctors ihm galt. Er trat hinzu und reichte diesem die Hand, der sie etwas erstaunt annahm. „Ich erneuere gern eine Bekanntschaft, welche mein unglücklicher Gehörmangel mich leider verhindern wird, recht zu genießen,“ sagte Zehren höflich, indem er ein Täfelchen und einen Stift aus der Tasche zog und beides dem Arzt hinreichte.

Ein diabolisches Lächeln glitt über dessen Gesicht, und der Blitz eines überraschenden Einfalls leuchtete ihm aus den Augen. Er ergriff Tafel und Stift und schrieb auf erstere die wenigen Worte: „Hüten Sie sich vor dem Polizeicommissar Donner! Bouche close! Ein Freund.“ Dann überreichte er sie mit leisem Nicken dem Fabrikanten und griff zu seinem Hut.

„Karl, um aller Heiligen willen, komm mit!“ sagte er dann rasch. „Ich muß auf die Straße, und ich muß einen Menschen bei mir haben; Du wirst mich begreifen.“

Karl Hornemann reichte Zehren die Hand und schüttelte sie kräftig, während dieser, der soeben die aufgeschriebenen Räthselworte gelesen hatte, mit ziemlich verdutztem Gesicht die Beiden anblickte. Der Doctor verneigte sich und ging zur Thür hinaus, während der Andere mit dem Finger in der Richtung des Wiedenhofes zeigte und den Namen des Hôtels mit den Lippen aussprach. Der Fabrikant nickte, indem er mechanisch die Tafel in die Brusttasche steckte, während bereits die Schritte der Fortgehenden im Hausflur erklangen. Der Bruder der schönen Emilie hatte nicht nöthig gehabt, zum Hute zu greifen; der Sonderling war wie verwachsen mit seinem Käppchen. Auf der Straße fiel er nur Fremden noch auf, denn die Einheimischen waren an seine Erscheinung gewöhnt; nicht einmal die Straßenbuben behelligten ihn, wohl aber gab es mehr als einen zerlumpten Jungen, der ihm aus freien Stücken die Hand reichte.

Karl Hornemann war ein Kinderfreund und einer jener Menschen, welche ihre linke Hand nicht wissen lassen, was die rechte thut.

„Ich will Dich zerstreuen helfen, Heinrich!“ sagte er draußen zu seinem Begleiter. „Ich habe ein paar ganz excellente Mittel probirt, um den Stoffwechsel zu beschleunigen, und Du sollst mir die Symptome deuten helfen, damit ich vorwärts komme mit dem Recept der Universalmedicin. Aloë nehme ich doch nicht hinein; ich habe mich jetzt entschieden, aber Angelica sicher und Safran auch.“




4.


Emilie Hornemann hatte inzwischen auf ihrer Stube droben gesessen und pochenden Herzens auf irgend ein Zeichen gewartet, das ihr Aufschluß geben würde über den Verlauf der Dinge drunten. Aber alles blieb still. Das Geräusch schwerer Güterwagen, grelle Töne einer Drehorgel und die Stimmen von Leuten, welche in den sommerlichen Straßen lustwandelten, all das drang durch einander schwirrend zum offenen Fenster herein. Sie hatte sich in das harte, massive Sopha geworfen, das Gesicht in eine Ecke gedrückt; sie empfand den Trieb, sich zu verbergen; am liebsten wäre sie tausend Meilen von dem Orte entfernt gewesen, in einer Einöde, wo nichts Lebendiges sich regte und kein Geräusch sie berührte.

„Ich liebe ihn doch,“ murmelte sie, „trotz allem und allem.“ Weiter hatte sie keinen Gedanken, und hätte sie etwas anderes denken wollen, es wäre vergebene Mühe gewesen.

So saß sie, und sie hatte die Hausthür endlich wohl gehen hören, aber es kaum beachtet. Nachträglich erregte dieser Umstand doch noch ihre Aufmerksamkeit; sie sprang auf und ging an's Fenster, und sie kam noch rechtzeitig, um den Doctor mit ihrem Bruder über die Kaiserbrücke schreiten zu sehen. Fort waren sie beide, und Niemand hatte sich um sie gekümmert. Ein bitteres Gefühl der Vereinsamung und eine jähe Ahnung des Geschehenen kam über sie. Die Stille des Zimmers war ihr plötzlich tödtlich peinlich, und sie eilte wie ein Kind, das im Dunkeln Gespenster hinter sich wähnt, die alte finstere Eichentreppe hinab.

In der Ladenstube stand wieder Herr Franz Zehren am Fenster und blickte sich um, als sie eintrat. Sie sah ihn mit ihren aufgeregten, verstörten Augen an, um in seinem Gesichte etwas lesen zu können, was sie erfahren wollte, aber sein Gesicht verrieth nichts; es war der alte melancholische Blick wieder, mit dem er sie empfing, den sie kannte und der ihr unerträglich war. Auch an der Mutter, welche gleich nachher aus dem Laden trat, war nichts Ungewöhnliches zu bemerken, nur wollte es die Tochter bedünken, als bewege sie sich hastiger als sonst wohl. Sie sprach kein Wort mit Emilie, sondern setzte sich mit Franz Zehren an das Fenster und unterhielt sich mit ihm in der heiseren Lippensprache, die man Tauben gegenüber anzunehmen pflegt.

Das junge Mädchen kämpfte mit Thränen und legte sich zu dem anderen Fenster hinaus. Auf der Gasse drunten spielten Kinder, und die grellen Laute kindlicher Lust hatten jetzt etwas Betäubendes für sie. Sie hörte kaum, daß die Mutter wieder hinausgerufen wurde; sie merkte nicht, daß Zehren sich erhob und in der Stube auf und nieder ging, bis er plötzlich hinter ihr stand, daß sie erschrak.

„Was wollen Sie?“ fragte sie feindlich und sah ihn mit ihren gerötheten Augen herausfordernd an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_042.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)