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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Kniffe abgeguckt – es gelang ihm glücklich, die Häscher auf eine falsche Fährte zu bringen. Prinz Karl versah in auffallender Weise seinen Dienst bei den Dragonern in Potsdam, bis er eines Tages plötzlich verschwunden war, ohne selbst dem Regimentsobersten von seiner Abreise Meldung zu erstatten. Das preußische Dienstreglement kennt keine Ausnahme – so wurde denn nach Ablauf der gesetzlichen Frist der Regent Rumäniens als Deserteur eingetragen. Ein junger Mann von elegantem Aussehen, der sich um diese Zeit im „Weißen Roß“ in Wien als „Kaufmann Lehmann aus Berlin“ in das Register für Reisende einschreiben ließ, hätte wohl den Obersten des zweiten Dragonerregiments am besten über seinen vermißten Lieutenant informiren können. Unter diesem höchst bürgerlichen Namen hielt sich der Prinz achtundvierzig Stunden in Wien auf und reiste dann im nämlichen Incognito über Pest seinem Bestimmungsorte zu. Turn-Severin heißt die erste rumänische Hafenstadt an der Donau. Es ist eine ziemlich behäbig aussehende Provinzstadt mit einer Promenade, einem deutschen Brauhause, einem Grand Hôtel und einem Zollamte, dessen Beamte das Gepäck der Reisenden auf offener Straße durchwühlen. In jüngster Zeit gesellte sich zu diesen Vorzügen auch ein Bahngebäude (Linie Bukarest-Orsova) und ein Café Chautant.

Hier setzte der „Kaufmann Lehmann aus Berlin“, der sich als Fürst Karl der Erste entpuppte, am 20. Mai 1866 Fuß auf’s rumänische Festland. Kanonendonner, Glockengeläute und enthusiastische Vivats begrüßten ihn. Die Reise im sechsspännigen Wagen von Turn-Severin bis Bukarest war ein langer Triumphzug mit ganz besonderen Ovationen in Krajova, Pitesti und all den größeren Ortschaften auf der Strecke. Ueberall wurde mit Pomp und Feierlichkeit dem Neuangekommenen Brod und Salz geboten, überall begrüßte man ihn als den Hort der Unabhängigkeit Rumäniens. In Bukarest war die ganze Bevölkerung, die metropolitanischc Geistlichkeit und sämmtliche Behörden an der Spitze, auf den Beinen – nur die Consuln der Mächte waren zu Hause geblieben. Der preußische Consul allein wagte es, seinem Landsmanne entgegenzureisen. Aber er hütete sich wohl, die Gala-Uniform anzuziehen und die bei festlichen Gelegenheiten gebräuchliche Equipage aus dem Stalle zu beordern. Er fuhr in einfacher Droschke und im schwarzen Fracke zum Thore hinaus. Da er aber keine Legitimation bei sich hatte, wollten ihn die Polizisten nicht fahren lassen.

Waren die Bukarester froh, den Prinzen, der ihnen als Schutzwall gegen die Angriffe von außen galt, in ihrer Mitte zu fühlen, so freuten sie sich doppelt, daß dieser Prinz von so gewinnendem und liebenswürdigem Aeußern war. Prinz und Volk verlebten glückliche Honigmonde; jeder Anlaß war für Ovationen gut, die Loyalität für den Hohenzoller war Modesache, und in dem Palaste des Bojaren wie in der Hütte des Bauern, in den feinsten Ressourcen wie im letzten Branntweindebit, nirgends durfte das Bildniß des Herrschers fehlen, hier prunkvoll in Oel und goldumrahmt, dort hinter Glas und Rahmen in Gestalt bescheidener Lithographie. Die internationalen Schwierigkeiten wurden nach und nach beseitigt. Das Uebergewicht der preußischen Waffen kam auch dem Sprößlinge der Dynastie an der Donau zu Gute. Napoleon der Dritte blieb auch seinem Schützlinge treu. Oesterreich war ohnmächtig, Rußland gezwungen, die Unabhängigkeit Rumäniens endlich anzuerkennen, und der Großtürke durch die Huldigungsreise Karl’s nach Constantinopel beschwichtigt.




Zehn Jahre sind nun verflossen. Und wie haben sich die Dinge geändert, wie anders ist das Verhältniß zwischen Fürst und Volk! Fürst Carol wohnt noch immer in dem Konak der großen Mogodoschai-Straße, der Hauptader Bukarest’s. Das Palais sieht von außen sehr bescheiden aus. Es ist ziemlich niedrig gebaut, nur ein Stockwerk hoch und bildet ein offenes Viereck. Vor dem Haupteingang stehen als Schildwachen zwei Jäger in Uniformen nach österreichischem Schnitt, den Federhut auf dem Kopfe. Zuerst gelangt man durch einen breiten Corridor, der zugleich als Wartesaal dient, in den großen Audienzsalon. Hinter demselben finden wir den Speisesaal, wo hundert Gedecke bequem Platz finden, und eine Reihe von Empfangssalons. Diese sind sämmtlich im feinsten – ich möchte sagen verschwenderischen pariser Styl möblirt. Man findet hier den Luxus der Bojaren wieder, welcher für diese unentbehrlich ist. Seltene exotische Pflanzen in porcellanenen Blumenkästen und einige Gemälde meistens deutscher oder französisch-schweizerischer Künstler vervollständigen die decorative Wirkung dieser Prachtgemächer, die sich jedoch nur ein paar Mal im Winter öffnen.

Am liebsten verweilt der Prinz oben in seinen nach deutscher Art eingerichteten Familienzimmern, die das ganze erste Stockwerk einnehmen. Seit fünf Jahren ist Fürst Carol mit einer Prinzessin von Neuwied vermählt und lebt mit derselben in glücklicher, wenn auch kinderloser Ehe. Dieser Punkt droht eben für das eheliche Glück des fürstlichen Paars eine Klippe zu werden. Die rumänischen Staatsmänner, welche einen fremden Fürsten auf den Thron berufen haben, glaubten, diese heikle Frage wäre ein für alle Mal erledigt. Sie freuten sich, durch die Proklamation des Erbrechtes statt des Wahlrechtes, welches bisher galt, alles Mißliche beseitigt zu haben. Was nützt aber der Grundsatz in der Theorie, wenn die praktische Handhabung desselben unmöglich wird! Es sind schon mehrmals und zwar in Gegenwart des Prinzen über diesen Punkt Andeutungen gemacht worden – man hat so zart wie möglich auf die Leichtigkeit hingewiesen, mit welcher die Eingeborenen von dem Rechte, Ehen, die nicht den gegenseitigen Erwartungen entsprechen, zu lösen, Gebrauch machen. Aber Fürst Carol ist bis jetzt bei seinen schlichten deutschen Anschauungen über die Heiligkeit ehelicher Bande geblieben – und fürwahr, wenn man das fürstliche Paar am Nachmittag, Beide zu Pferd, die königl. Hoheit in der schmucken Uniform eines Dorobanzenofficiers, die Dame in schwarzer Amazone, durch die Alleen der Kisseleff-Avenue reiten sieht, so stellt man unwillkürlich – nicht ohne Entrüstung – die Frage, was die Staatsraison diesem Einverständnisse anhaben kann.

Ja, die Staatsraison! Herr Bratiano und seine Collegen verstehen es, aus diesem Klumpen lauteres Gold und Silber für den eigenen Bedarf zu münzen. Die Staatsraison erforderte es wahrscheinlich, daß die Herren Bratiano oder Catargis, je nachdem die Temperatur im Parlamente roth oder blau-conservativ ist, die wahren und alleinigen Beherrscher des Landes sein müssen. Die loyale Maske von Anno 1866 war bald bei Seite gelegt, und der wirkliche Grund der Revolution vom 23. Februar hörte auf ein Geheimniß zu sein. Man hatte Conza gestürzt, weil Conza ein wenig Anspruch auf den Ausspruch Ludwig’s des Vierzehnten „L'État c'est moi“ erhob, weil er nicht blos eine Puppe in den Händen seiner Minister sein wollte. Als Herr Bratiano seine Argonautenfahrt unternahm, da dachte er sich unter dem zukünftigen Fürsten ein frommes, duldsames Geschöpf, das Alles gut finden müsse, was er, Bratiano, ihm vorschreiben würde. Mit einem einheimischen Fürsten, der das Getriebe der Parteien kennt, der mit den persönlichen Verhältnissen vertraut ist, wäre dieses Ideal von einem ultra-constitutionellen Souverain schwerlich durchzusetzen gewesen. Dem ehemaligen preußischen Lieutenant aber, der wildfremd in ein Land kam, dessen Sprache ihm wohl so gut wie unbekannt war und von dessen gesellschaftlichen Verhältnissen er keine tief gehende Kenntniß hatte, durfte man, so oft er mit einem Acte der eigenen Initiative herausrücken wollte, begreiflich machen, daß er – aus Unkenntniß und mit den besten Absichten – die ihm fremden Gefühle oder Wünsche zu verletzen auf dem Sprunge wäre. Darauf speculirten sowohl der rothe wie der reactionäre Parteichef, und unter solchen Vorwänden beuteten sie die ganze Machtstellung des Staatsoberhauptes zu ihren Gunsten aus. Da sich nun Fürst Carol diesen Verhältnissen gegenüber sehr nachgiebig zeigte, so sollte man doch denken, daß er sich die Zuneigung der Rumänen erworben habe. Durchaus nicht – im Gegentheil! Man muß es offen heraussagen: der Fürst ist als Deutscher und als Hohenzoller in gewissen Kreisen geradezu verhaßt.

Bei Beginn des deutsch-französischen Krieges antwortete der damalige Minister des Aeußern auf die Interpellation eines Deputirten, daß „dort, wo Frankreichs Fahne wehen wird, die Wünsche und die Sympathien Rumäniens sein würden“. Dieser französelnde Rathgeber eines Prinzen der preußischen Dynastie hatte damit seinen Landsleuten aus dem Herzen gesprochen. Der Cultus für Frankreich zeigte sich auch bei jedem Sieg der deutschen Heere. Nach den Schilderungen von unparteiischen Augenzeugen gab es bei jeder für die deutschen Waffen günstigen Nachricht Wuthausbrüche, wie man sie gewiß kaum in Frankreich erlebt hat. Meistens weigerte man sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_030.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)