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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Die christlichen Auguren überboten dann ihre heidnischen Kollegen und verstanden es auch noch besser als diese, das Lachen zu verhalten, wenn sie einander begegneten. Mit der ernsthaftesten, ja mit der erhabensten Miene von der Welt verkündigten sie die plattesten Orakel. Und sie wirkten damit wirklich Wunder, gar keine Frage. Unter vielen anderen dieses, daß dem Windei der faulen Fabel, Petrus wäre Bischof zu Rom gewesen, der weltgeschichtliche Koloß des Papstthums entkroch.

Was die Menschen glauben, das ist. Die Menschen des Mittelalters mußten, so, wie sie waren, an das Papstthum als an eine, nein, als an die Weltmacht glauben, und darum war es eine solche. In den Augen der Millionen und wieder Millionen, die noch heute daran glauben, ist es noch jetzt eine, nein, die oberste Weltmacht. Nicht das Sein der Dinge, sondern das Scheinen bedingt ja ihren Werth und ihre Wirkung. Spottet nicht über den „Fels Petri“! Der ist dauerhafter als Granit. Nur ein ebenbürtiger, nur ein gleich riesenhafter Wahn wird ihn zerschlagen können. Noch aber ragt er steil und stolz und an dem Schatten, welchen er über die Gegenwart hinwirft, läßt sich die Wolkenhöhe messen, in welcher er sich vor achthundert Jahren den Menschen dargestellt hat.

Ein unserem Vaterlande mißgünstiger Stern stand über der Stunde, wo der Bischof von Rom, von den Umständen gedrängt, den Entschluß faßte, die Tradition vom römischen „Imperium“ dem Germanenthum aufzupfropfen. Karl der Große gab sich zum Imperator her, weil er vom Größenwahn der Weltherrschaft besessen war, wie vor ihm der makedonische Alexander und wie nach ihm der korsische Napoleon. Nun hob jener Kampf zwischen Kaiserthum und Papstthum an, welcher das ganze Mittelalter hindurch in wechselnder Gestalt getobt hat. Anfangs freilich, etliche Jahrhunderte lang sogar, mußte sich das „geistliche Schwert“ demüthig unter das „weltliche Schwert“ ducken. Noch war ja das Schutzbedürfniß des Papstthums ein zu gebieterisches, als daß ihm hätte beikommen können, sich dem Kaiserthum gleichstellen oder gar über dasselbe sich erheben zu wollen. Thatsächlich waren die deutschen Kaiser die Herren und Gebieter der römischen Päpste. Otto der Große stellte dieses Verhältniß auch staatsrechtlich fest, indem er durchsetzte, daß zwar Klerus und Volk der Stadt Rom das Recht, die Päpste zu wählen, haben sollten, aber das Recht der Bestätigung oder Verwerfung dieser Wahl beim Kaiser sein sollte, welchem neugewählte und bestätigte Päpste einen förmlichen Treueid schwören mußten.

Diese kaiserliche Oberherrlichkeit über den römischen Stuhl ist zur deutlichsten und glänzendsten Erscheinung gekommen unter der Reichsherrschaft Kaiser Heinrichs des Dritten (1039-1056), welcher geniale und erlauchte Mann überhaupt dem „Imperium“ deutscher Nation die höchste Machtfülle und den hellsten Glanz verliehen hat. Und der große Kaiser war auch ein im besten Sinne frommer Mann, welcher seine Pflicht, der Kirche Schirmherr zu sein, sehr ernst und strenge nahm. In den schrecklichen Nöthen jener eisernen Zeit war wieder einmal in der sogenannten Christenheit der Wunsch und Wille kundgeworden, mit dem Christenthum Ernst zu machen und namentlich auch die Geistlichkeit aus ihrer sittlichen Versunkenheit herauszuheben. Der Mittelpunkt dieser Reformströmung war das Kloster Kluny in Burgund, und Heinrich der Dritte förderte und unterstützte von ganzem Herzen die kluniacensische Richtung, insbesondere durch sein Vorgehen gegen den verderblichen Mißbrauch des Schachers mit geistlichen Aemtern („Simonie“). Wo es sich um Beseitigung von Schäden handelte, welche als für die Kirche geradezu lebensgefährliche erscheinen mußten, griff seine Herrscherhand energisch durch. So, als es galt, dem Skandal einer päpstlichen Dreifaltigkeit oder vielmehr Dreispaltigkeit ein Ende zu machen. Denn es gab ja zu seiner Zeit drei Päpste zugleich und diese, Benedikt der Neunte, Sylvester der Dritte und Gregor der Sechste, ja, diese „Statthalter“ des Stifters der „Religion der Liebe“ bannten und verfluchten einander gegenseitig, wie das unter gleichen oder ähnlichen Umständen die „Nachfolger Petri“ ad majorem dei gloriam immer zu thun pflegten. Auf seiner Romfahrt i. J. 1046 versammelte der Kaiser eine Synode von Bischöfen zu Sutri, ließ durch dieselbe die drei Unfehlbaren absetzen und machte den frommen Bischof von Bamberg, Suidger, zum rechtmäßigen Papst. Einem der degradirten Tiaraträger, Gregor, war das Urtheil gesprochen, nach Deutschland in's Exil zu gehen, und dorthin begleitete ihn sein Kaplan Hildebrand.

Das war ein kleiner, schmächtiger, unansehnlicher Mann, welcher die Mönchskutte der Kongregation von Kluny trug. Sprach er, so that er es mit einer schwachen, unangenehm heiseren Stimme. Gewiß haben nur wenige Menschen, ja vielleicht hat niemand auf der Reise über die Alpen und später am deutschen Kaiserhofe des unscheinbaren Mönches sonderlich geachtet. Und doch trug derselbe das Schicksal Deutschlands in sich, und doch sollte diese heisere Stimme dereinst Worte sprechen, welche mit der schütternden Gewalt des Donners durch Europa rollten. Der Mönch Hildebrand ist eben einer jener weltgeschichtlichen Charaktere gewesen, von welchen die Natur etwa von Jahrtausend zu Jahrtausend einen schafft, einer jener Herrscher-Menschen, welche wie den besten so auch den bösesten Hang und Drang einer Zeit in sich zusammenfassen und mit souveräner Genialität ihrer Zeit einen Stämpel aufprägen, welcher Jahrhunderte lang dauert und wirkt.

Unser Land hat niemals einen gefährlicheren Feind und Hasser gehabt, als dieser Mönch von germanisch-langobardischer Herkunft und mit dem urdeutschen Namen Hildebrand einer gewesen ist. Aber diese Feindschaft und dieser Haß ist nicht etwa klein-persönlichen Motiven, sondern vielmehr einem großen Princip entsprungen: – Deutschland besaß das Imperium, und dieses sollte der Theokratie unterworfen, das Kaiserthum zum Fußschemel des Papstthums gemacht werden.

Hildebrands Geburtsjahr ist nicht mit zweifelloser Bestimmtheit nachzuweisen. Sein Vater war ein Bäuerlein Namens Bonizo und bewirthschaftete den Meierhof Roavakum, unweit der Stadt Soana in Tuscien (Toskana) gelegen. Später hat man die Legende aufgebracht, Hildebrand sei der Sohn eines Zimmermannes in Rom gewesen, augenscheinlich in der Absicht, an die Herkunft Jesu zu erinnern. Er selbst hat echtmönchisch nie von seinen Eltern gesprochen, wie um durch solches Schweigen anzudeuten, daß er das, was er mit unerbittlicher Folgerichtigkeit der ganzen Klerisei auferlegte, die Loslösung von Familienbanden, zuvor an sich selber vollzogen habe. Die Gunst des Geschickes wollte, daß das Genie des Bauernjungen von Roavakum nicht in der Stallatmosphäre verkümmerte. Ein Bruder seines Vaters war Abt des hochangesehenen Santa-Maria-Klosters auf dem Aventin zu Rom. Hier fand der junge Hildebrand Aufnahme als Novize und nicht allein eine mönchische Erziehung, sondern auch seine Ausbildung zum klerikalen Politiker und Diplomaten. Die spärlichen Bildungsmittel des 11. Jahrhunderts befanden sich ja ausschließlich im Besitze der Kirche. Dieser eignete auch bis zur Zeit, wo sie der Schablonewirthschaft des Jesuitismus verfiel, der demokratische Zug, dem Talente freie Bahn zu schaffen. Darum finden wir unsern Bauernsohn von Roavakum als Fünfundzwanzigjährigen schon als Kaplan Gregors des Sechsten. Auf deutschem Boden mag ihm zuerst Sinn und Bedeutung von Machtfülle und Weltherrschaft aufgegangen sein, wie er ja in den kaiserlichen, fürstlichen und bischöflichen Pfalzen unseres Landes Gelegenheit hatte, die Stärke und die Schwäche des Reiches auszuspähen. Unschwer mag er erkannt haben, daß nur eine Herrenhand wie die des dritten Heinrichs die ewige deutsche Adelsanarchie niederzuhalten und welche Vortheile sein Gedanke aus dem unseligen Centrifugalgeiste der Deutschen zu ziehen vermöchte. Der Mönch kam rasch empor. Unter dem Pontifikat Leo’s des Neunten hatte er am päpstlichen Hofe bereits einen großen Stand. Vom Subdiakon stieg er dann zum Erzdiakon, war Mitglied des Kollegiums der Kardinäle, verwaltete die städtischen Angelegenheiten Roms und zugleich die päpstlichen Finanzen. Als Finanzminister der Kurie trat er in Kompagnonschaft mit einem getauften jüdischen Bankherrn und diese Verbindung war sowohl für die päpstliche Kasse wie für die hildebrandische sehr gewinnreich. Es ist zweifelhaft, ob das polnische Sprüchwort: „Spricht das Geld, schweigt die Welt“ – damals schon erfunden war, aber unzweifelhaft ist, daß der Gesellschafter des getauften Juden sehr wohl wußte, was alles man der Welt zu beweisen vermöchte, so man Säcke voll Gold und Silber als Beweisgründe vorführen könnte. Unter den Päpsten Viktor dem Zweiten, Nikolaus dem Zweiten und Alexander dem Zweiten leitete der Premierminister Hildebrand die Politik des „heiligen Stuhls“ mit ebenso kluger wie kühner Hand und brachte sie Schritt vor Schritt dem Ziele

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_009.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)