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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


jetzt von einander Abschied zu nehmen. Es sind noch Wochen bis dahin. Aber versprich mir, inzwischen nicht nach Rakowicz zu kommen, nicht wieder so auf mich einzustürmen, wie Du es heute thatest! Ich brauche meinen ganzen Muth zur Trennungsstunde, und Du nimmst ihn mir mit Deiner Verzweiflung. Wir sehen uns ja noch einmal wieder; bis dahin – lebe wohl!“

„Lebe wohl!“ sagte er kurz, beinahe rauh, ohne sie anzusehen, ohne die Hand zu nehmen, die sie ihm reichte.

„Waldemar!“ es lag ein ergreifender Vorwurf in ihrem Ton, aber er blieb machtlos gegen die wilde Gereiztheit des jungen Mannes. Zorn und Angst, die Geliebte zu verlieren, überwogen bei ihm jedes Gerechtigkeitsgefühl.

„Du magst ja Recht haben,“ sagte er in seinem herbsten Tone, „aber ich kann mich nun einmal in diese erhabene Aufopferung nicht finden, und am allerwenigsten vermag ich sie zu theilen. Meine ganze Natur sträubt sich dagegen. Da Du aber darauf bestehst, da Du die Trennung unwiderruflich über uns verhängst, so muß ich zusehen, wie ich allein mit meinem Schicksal fertig werde. Klagen kann ich nicht – das weißt Du. Meine Bitterkeit verletzt Dich höchstens; also ist es besser, ich schweige ganz. Leb’ wohl, Wanda!“

Wanda schien mit sich selber zu kämpfen. Sie wußte, daß es nur einer Bitte aus ihrem Munde bedurfte, um seinen Trotz in Weichheit umzuwandeln, aber das hieß nur den eben bestandenen Kampf wieder erneuern, den so schwer errungenen Sieg wieder in Frage stellen. Sie schwieg, neigte nach einem secundenlangen Zögern nur leise das Haupt gegen ihn und verließ das Zimmer.

Waldemar ließ es geschehen, daß sie ging. Er stand abgewendet am Fenster. In seinem Gesichte kämpften alle möglichen bitteren Empfindungen mit einander, nur die Entsagung, welche die Geliebte von ihm forderte, war dort nicht zu lesen. Die Stirn gegen die Scheiben gedrückt, verharrte er lange in dieser Stellung und sah erst auf, als sein[WS 1] Name genannt wurde.

Es war die Fürstin, die unbemerkt eingetreten war. Was hatte das letzte Jahr mit seinen Schicksalsschlägen aus dieser Frau gemacht! Als der Sohn sie damals in C. wiedersah, zum ersten Male nach langen Jahren, hatte sie gleichfalls einen schweren Verlust erlitten, auch damals trug sie die Trauerkleidung wie jetzt. Aber der Tod des Gemahls hatte es nicht vermocht, diese energische Natur zu beugen; sie war sich klar der Pflichten bewußt, welche die Wittwe wie die Mutter zu erfüllen hatte; sie entwarf und vollführte mit fester Hand den neuen Lebensplan, der sie auf eine Zeit lang zur gebietenden Herrin von Wilicza machte. Der Schmerz um den Gatten wurde überwunden, weil es nothwendig war, weil andere Aufgaben an seine Wittwe herantraten, als nur die, ihn zu betrauern, und Fürstin Jadwiga hatte von jeher die beneidenswerthe Fähigkeit besessen, selbst ihre Gefühle der Nothwendigkeit unterzuordnen.

Jetzt war das anders geworden. Zwar die Haltung der Trauernden war noch aufrecht, und der erste flüchtige Eindruck ihrer Erscheinung zeigte kaum eine auffallende Veränderung, wer aber nur einen tieferen Blick in ihr Antlitz that, der wußte, was Leo Baratowski’s Tod seiner Mutter gekostet hatte. Es lag eine starre, todte Ruhe in diesen Zügen, aber es war nicht die der Fassung und Ergebung, nur die Todesruhe dessen, der nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu verlieren hat, den das Leben mit seinen Interessen nicht ferner berührt. Die einst so gebietenden Augen blickten matt und umflort; in die Stirn, vor einem Jahre noch so klar und stolz, gruben sich tiefe, gramvolle Furchen, und das dunkle Haar zeigte sich an einzelnen Stellen ergraut. Man sah es, der Schlag, der das Herz wie den Stolz der Mutter gleich tödtlich getroffen, war ihr bis an’s innerste Leben gegangen, und die Niederlage ihres Volkes, das Schicksal des Bruders, den sie nach Leo am meisten auf der Welt liebte, hatten das Uebrige gethan, um diese einst so unbeugsame und unerschütterliche Kraft zu brechen.

„Hast Du wieder einmal auf Wanda eingestürmt?“ sagte sie – auch die Stimme war verändert; sie hatte einen matten gebrochenen Klang. „Du weißt doch, daß es vergebens ist.“

Waldemar wandte sich um. Sein Gesicht hatte sich noch nicht aufgehellt; die ganze frühere Gereiztheit lag noch darauf, als er finster erwiderte:

„Ja wohl, es war vergebens.“

„Ich sagte es Dir vorher. Wanda ist keine von den Frauen, die sich heute versagen und morgen in Deine Arme werfen. Als sie den Entschluß erst einmal gefaßt hatte, war er auch unwiderruflich. Du solltest das doch endlich einsehen – statt dessen reißest Du sie immer wieder zurück in die nutzlosen Kämpfe. Du bist es, der schonungslos gegen sie verfährt, Du allein.“

„Ich?“ fragte Waldemar in beinahe drohendem Tone. „Und wer war es denn, der ihr den Entschluß eingegeben hat?“

Das Auge der Fürstin begegnete fest und ernst dem ihres Sohnes. „Niemand!“ entgegnete sie. „Ich, das weißt Du, habe es längst aufgegeben zwischen Euch Beide zu treten; ich habe meine Machtlosigkeit Eurer Leidenschaft gegenüber zu bitter empfinden müssen, als daß ich das noch ferner versuchen sollte. Aber ich kann und will Wanda auch nicht zurückhalten. Mein Bruder hat nichts mehr auf der Welt als sie allein. Sie thut nur ihre Pflicht, wenn sie ihm folgt.“

„Um zu sterben!“ ergänzte Waldemar.

Die Fürstin hatte sich niedergelassen und stützte den Kopf in die Hand.

„Der Tod ist uns in dieser letzten Zeit zu oft nahe getreten, als daß ihn noch Einer von uns fürchten sollte. Wen das Schicksal so Schlag auf Schlag trifft, wie es uns getroffen, der lernt sich selbst mit dem Schlimmsten vertraut machen, und auch Wanda hat das gelernt. Wir haben Nichts mehr zu verlieren – darum fürchten wir auch Nichts mehr. Dieses unselige Jahr hat mehr Hoffnungen vernichtet, als nur die Deinigen, es hat so unendlich viele in Blut und Thränen zu Grabe getragen – da wirst Du es wohl ertragen müssen, wenn es auch Dein Lebensglück in Trümmer schlägt.“

„Ihr würdet es mir auch nicht verzeihen, wenn ich mir mein Glück aus den Trümmern Eurer Hoffnungen rettete,“ sagte Waldemar bitter. „Nun, Ihr könnt unbesorgt sein! Ich habe es heute eingesehen, daß Wanda nicht zu bewegen ist; sie bleibt unwiderruflich bei ihrem Nein.“

„Und Du?“

„Nun, ich füge mich.“

Die Fürstin sah ihn einige Secunden prüfend an.

„Was hast Du vor?“ fragte sie plötzlich.

„Nichts. Du hörst es ja, ich gebe die Hoffnung auf und füge mich dem Unvermeidlichen.“

Das Auge der Mutter ruhte noch immer auf seinem Gesichte. „Du fügst Dich nicht – oder ich müßte meinen Sohn nicht kennen. Ist das etwa Entsagung, die da auf Deiner Stirn geschrieben steht? Du hast etwas vor, irgend etwas Unsinniges, Gefährliches. Nimm Dich in Acht! Es ist Wanda’s eigener Wille, der Dir entgegen steht – sie läßt sich nicht zwingen, auch von Dir nicht.“

„Das werden wir sehen,“ versetzte der junge Mann kalt; er gab das Leugnen auf, als er sich durchschaut sah. „Uebrigens darfst Du ganz ruhig sein. Es mag ja unsinnig sein, was ich vorhabe, aber wenn eine Gefahr dabei ist, so trifft sie mich allein, und es ist höchstens mein Leben, das auf dem Spiele steht.“

„Höchstens Dein Leben?“ wiederholte die Fürstin. „Und das sagst Du Deiner Mutter zum Troste?“

„Verzeih, aber ich meine, das kann für Dich doch jetzt nicht mehr in Betracht kommen, seitdem Du Deinen Leo verloren hast.“

Das Auge der Fürstin heftete sich auf den Boden. „Seit jener Stunde hast Du es mich empfinden lassen, daß ich kinderlos bin,“ sagte sie leise.

„Ich?“ fuhr Waldemar auf. „Hätte ich Dich vielleicht halten sollen, als Du Wilicza verließest? Ich wußte ja, daß Du nur meine Nähe flohest, daß mein Anblick der Stachel war, den Du nicht ertragen konntest. – Mutter – er trat ihr unwillkürlich näher und mitten durch die Schonungslosigkeit seiner Worte wehte etwas wie herber Schmerz – „als Du damals so fassungslos an der Leiche meines Bruders zusammenbrachest, habe ich es nicht gewagt, Dir ein Wort des Trostes zu sagen, und wage es noch heute nicht, ich war ja stets ein Fremder, ein Ausgestoßener in Deinem Herzen, für mich war ja niemals Raum darin. Ich bin nach Rakowicz gekommen, weil ich nicht leben konnte, ohne Wanda zu sehen. Dich suchte ich nicht, so wenig wie Du mich gesucht hast in dieser Zeit der Trauer, aber ich trage wahrlich nicht die Schuld der Entfremdung zwischen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: seine
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_820.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)