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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


in den Armen des herbeigeeilten Sohnes verschieden. Weithin, in zahlreichen Kreisen Deutschlands und Oesterreichs erregte die schnell herüberdringende Trauerkunde eine aufrichtige Theilnahme. Durch Wallner’s Hinscheiden ist eine empfindliche Lücke an allen den Stellen gerissen worden, wo er gestanden und sich bewegt hat.

In der Geschichte des deutschen Theaters wird seine der künstlerisch schönen und effectreichen Herausgestaltung des modernen, volksthümlichen Genres zugewendete Bühnenwirksamkeit einen ehrenvollen Platz behaupten. So lange aber noch alte Freude und Bekannte Franz Wallner’s leben – und er hat deren aller Orten sehr viele gehabt – werden sie ihn schmerzlich vermissen und stets mit Wehmuth dieses begabten Künstlers und Kunstleiters gedenken, dieser eigenartig ausgeprägten und immer anregenden Persönlichkeit, dieses liebenswürdigen Cameraden und wirklich guten Menschen, der gar Manchen in der Welt sich zu herzlichem Danke verpflichtet hat. Auf dem Georgenkirchhofe in Berlin ist er von seinen trauernden Lieben gebettet worden, und bei der feierlichen Bestattung haben zahlreiche Freude erschüttert an seinem Grabe gestanden. Seine zu seltenem Glück und Glanz aufsteigende Laufbahn ist reich gewesen auch an Kampf und Wehe, an inneren und äußeren Stürmen, aber sanft ist sie verklungen, wie jener letzte Vers in Valentin’s wehmüthig-heiterem „Hobellied“, mit dem er früher so unzählige Male ein ergriffenes Publicum zu enthusiastischem Beifalle hingerissen hat:

„Da leg’ ich meinen Hobel hin
Und sag’ der Welt Ade!“

A. Fr.




Bayreuther Festtagebuch.
Nr. 1. Vom 10.–13. August.


Bayreuth, 10. August.     

Nach einer durchrüttelnden Eisenbahnnachtfahrt und einem zweistündigen Aufenthalte auf der Station Neumarken, wo der Kellner chronisch finstere Gesichter schneidet, weil er schon um sechs Uhr Morgens seine reisenden Mitmenschen bedienen muß, langte ich in Bayreuth, der vielgenannten Stadt, an, vielgenannt im vorigen Jahrhunderte wegen ihrer glanzvollen markgräflichen Miniaturtyrannen, vielgenannt heute als Sitz des Kunstreformtyrannen Richard Wagner, als Schauplatz von dessen in’s Leben tretendem Traum eines Theaters der Zukunft. Wahrheit oder Irrthum – wenn nach einem dreißigjährigen Kriege mit dem Leben, mit der Welt und ihren Urtheilen und Vorurtheilen ein Ideal erreicht worden ist, so muß ihm eine culturgeschichtliche Bedeutung zugesprochen werden.

Der blaue Himmel lachte über der mit Festflaggen und Guirlanden geschmückten Stadt, welche zum 12. August den deutschen Kaiser erwartete, der ja auch zugleich „Patronatsherr“ des Wagner-Theaters ist, wie hier mit Wohlbehagen betont wird, und welcher wenigstens den ersten Festabend, die Aufführung des „Rheingold“, mit seiner Anwesenheit beehren wird. Der Hauptprotector des Unternehmens, König Ludwig von Baiern, war am 8. August schon wieder abgereist, nachdem er mit unsichtbarer Theilnahme einer Generalprobe beigewohnt und den „Meister“ als Zeichen der Anerkennung umarmt hatte, wie erzählt wird. Eine Galerie von Kaisern und Fürsten steht zum 13. August bevor, denn auch der Kaiser von Brasilien wird erwartet. Ja, lebte Abdul-Azis noch (ebenfalls Patronatsherr), ließe es die Lage der orientalischen Frage zu, wir würden auch einen türkischen Sultan und einen Khedive von Aegypten (denn auch Letzterer ist Patronatsherr) in Bayreuth sehen. Aber Weimar, Coburg, Meiningen etc. etc. werden dynastisch vertreten sein, wie sie und die ganze Welt artistisch vertreten sind.

Die Scene, welche sich in Bayreuth abspielt, ist wirklich eine Scene aus dem großen Schauspiele des Daseins aller Dinge, welches Culturgeschichte heißt. Wenn die Gemüther sich erst wieder gesammelt haben, wird vielleicht Mancher über die eigene Rolle lächeln, die er in diesem lebenden Stimmungsbilde gespielt hat. Keiner aber möchte die so völlig exceptionellen Eindrücke, die er hier empfangen, nicht erlebt haben. Und so bin ich denn auf den Gedanken gekommen, für diese Mittheilungen aus der Wagnerstadt die Form des Tagebuches zu wählen, weil sie mir im Hinblicke auf das durch die große Auflage der „Gartenlaube“ unvermeidliche späte Erscheinen meiner Berichte als die zwangloseste und anspruchloseste erscheint, um den Lesern ein anschauliches Bild über das Ereigniß zu geben, das hier in’s Leben trat.

Nachdem diese meine Wenigkeit, welche „Ich“ heißt, also den Waggon verlassen hatte, trat ich mit der vollen Zuversicht eines routinirten Touristen mein erstes allerwichtigstes Amt, das des Selbstquartiermachens, an, obschon meine Nachbarn im Coupé, darunter der Referent der „Vossischen Zeitung“, Professor Engel, mir große Schwierigkeiten prophezeiten, ein Quartier zu finden, welches rationellen Ansprüchen genügen würde. Die Jägerstraße entlang schlendernd, dann die Maximilianstraße bis zum Markte verfolgend, klopfte ich unterwegs wohl an ein halbes Dutzend Thüren, und überall waren noch Zimmer frei. Die Bayreuther hatten auf eine kleine Völkerwanderung gerechnet und vergessen, daß ein ganzer Patronatsherr dreihundert Thaler wiegt, ein Drittel desselben hundert Thaler, und daß fünfundzwanzig Thaler dazu gehören, um nur einen Abend im Theater zubringen zu können. Im „Bayreuther Tageblatt“ las ich wenigstens ein Dutzend Offerten von Eintrittskarten zur ersten Vorstellung, die wahrscheinlich von speculativen Billetverkäufern angekauft waren. Allerdings waren die Miethforderungen im Anfange meiner Wanderung etwas naiv geschraubt, allein die Statistik der vacanten Quartiere, die ich den Herren Quartiergebern darlegen konnte, stimmte ihre Forderungen herab, und für einen Thaler pro Tag ward ein allerliebstes Parterre-Zimmer in der Nähe des Marktes mein, und zwar inclusive Frühstück und Bedienung. Ich hatte also das Glück, schon am ersten Tage von meinen Bekannten beneidet zu sein, die sich durch Zeitungsreclamen zu Gunsten der Hauswirthe hatten einschüchtern lassen und doppelte und dreifache Preise zahlen mußten.

Weniger gut ging’s mit dem Essen. Die Küche in Bayreuth ist herzlich billig und herzlich schlecht. Weshalb sollte es auch anders sein? Die Bayreuther hatten die Illusion einer Völkerwanderung gehegt, keine Umstände gemacht für Leute, die ja unter allen Bedingungen kommen mußten, und vergessen, daß das Hauptcontingent aus Künstler- und Schriftstellerkreisen, oder den Gesellschaftssphären, welche diesen nahe stehen, sich bildete. Und in Wahrheit, es klimperte; es fiedelte; es trompetete aus unzähligen offen stehenden Fenstern. Mir gegenüber wohnt gottlob keine Posaune, sondern eine Harfe, und ich kam davon mit den Sätzen dieses Instruments bei „Brunhildens Erwachen“ im „Siegfried“, welche der Künstler gar eifrig repetirte. Es waren ja Erholungstage, die Generalproben vorüber. Aber noch vor acht Tagen soll die Stadt ein wahres Mosaikbild von Tönen des Gesanges und der Instrumente abgegeben haben. Jetzt schonen Sänger und Musiker ihre Kräfte für die vier großen Schlachttage vom 13. bis 16., denen man allseitig mit einer Spannung entgegensieht, die auch auf den Phlegmatischen ansteckend wirken muß, die aber auch die größten Wagner-Enthusiasten aus dem Zustand der Ueberschwänglichkeit herausgebracht hat. Ich habe mich gewundert, mit welcher Ruhe über die Sache discutirt wird, mit welcher Herzlichkeit hier Bekanntschaften geschlossen werden, wo ich sicher glaubte, daß man einander gegenseitig erst scharf auf den Zahn fühlen würde, ob der Glaube an Richard Wagner auch jeder Feuer- und Wasserprobe gewachsen wäre, ehe man mit einem neuen Bekannten eine Wein- und Bierprobe riskirte.

Meine armen Collegen von den großen Zeitungen, namentlich die Engländer und Amerikaner, haben es herzlich sauer, denn sie telegraphiren oft stündlich den Inhalt des Bayreuther Tageblättchens, so weit derselbe nur entfernt mit dem Wagner-Theater in Beziehung steht.

Der „Meister“ – diesen Titel führt Wagner hier jetzt officiell, officiös und im gewöhnlichen Leben – ist für die profane Welt unsichtbar, denn er hat alle Hände voll zu thun, und die Arbeitskraft des dreiundsechszigjährigen Mannes ist wahrhaft staunenerregend. Auch soll er einige nicht allzu angenehme Erfahrungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_568.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)