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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Der junge Mann beachtete den Einwurf nicht; er beugte sich zu ihr nieder; seine Stimme bebte, wie in leidenschaftlicher Unruhe.

„Ich frage aber Sie, Wanda, Sie allein – darf ich nach Wilicza kommen?“

„Ja!“ fiel es wie unwillkürlich von Wanda’s Lippen, aber in demselben Augenblick erschrak sie auch darüber, denn Waldemar hatte mit einer stürmischen Bewegung ihre Hand ergriffen und hielt sie so fest, als sei es für die Ewigkeit. Die junge Gräfin fühlte, was er in dieses „Ja“ hinein legte, und das machte sie bestürzt. Es überkam sie auf einmal wie eine heiße Angst. Waldemar bemerkte ihr Zurückweichen.

„Bin ich Ihnen wieder zu ungestüm?“ fragte er leise. „Sie dürfen mir darüber nicht böse sein, Wanda, heute nicht. Ich konnte nur den Gedanken an Ihre Entfernung nicht ertragen. Jetzt weiß ich’s ja, daß ich Sie wiedersehen darf – jetzt will ich geduldig warten, bis wir in Wilicza sind.“

Sie gab keine Antwort. Schweigend gingen beide nach dem Boote hinunter. Waldemar richtete die Segel und legte die Ruder ein, und einige mächtige Stöße trieben das kleine Fahrzeug weit hinaus in die See. Noch lag ein leichter Rosenschimmer auf den Wellen, als das Boot darüber hinglitt. Niemand sprach auf der Fahrt, nur das Meer rauschte eintönig, während das letzte flüchtige Roth am Himmel verblaßte und die ersten Schatten der Dämmerung sich über den Buchenholm legten, der weit und weiter zurückwich. Der Traum beim Sonnenuntergang war zu Ende, aber die alte Sage, die ihn gesponnen, erzählt auch, daß, wer einmal das versunkene Vineta geschaut, einmal seinen Glockenklängen gelauscht habe, den lasse die Sehnsucht danach nicht ruhen sein Lebelang, bis die alte Wunderstadt wieder zu ihm emporsteigt – oder bis sie ihn hinabzieht in die Tiefe.


Die diplomatische Mission, zu der Herr Witold den Doctor Fabian auserlesen hatte, schien dem Ersteren in ihrer Ausführung nicht halb so schwierig, wie in ihrer Einleitung. Um genauen Bericht darüber zu erstatten, „was eigentlich da drüben in C. passirte“, mußte der Doctor natürlich Zutritt bei der Fürstin Baratowska haben, und das konnte nur durch Waldemar geschehen. Witold zerbrach sich den Kopf darüber, wie er seinem starrsinnigen Pflegesohne die Sache beibringen könne, ohne gleich von vorn herein auf ein entschiedenes Nein zu stoßen. Da kam ihm unerwartet der Zufall zu Hülfe. Die Fürstin hatte bei dem letzten Zusammensein den Wunsch ausgedrückt, den Lehrer ihres Sohnes persönlich kennen zu lernen. Waldemar sprach davon nach seiner Rückkehr, und der Gutsherr ergriff mit beiden Händen die willkommene Gelegenheit. Er war zum ersten Male in seinem Leben in der Lage, einen Wunsch der Fürstin Jadwiga vernünftig zu finden; er hielt den Doctor unerbittlich beim Worte, und dieser, der noch immer gehofft hatte, die Sache werde an dem Eigensinne seines Zöglings scheitern, mußte schon am zweiten Tage mit Waldemar zu der gewünschten Vorstellung nach C.

Waldemar war auch heute zu Pferde. Er war ein leidenschaftlicher Reiter und verabscheute das Fahren auf den sandigen oder steinigen Landwegen, über die er im Galopp hinsprengte. Es fiel ihm nicht ein, Rücksicht auf seinen Lehrer zu nehmen und sich zu ihm in den Wagen zu setzen. Doctor Fabian war an dergleichen Rücksichtslosigkeiten gewöhnt, und von Natur schüchtern und nachgiebig, hatte er nicht den Muth, sich dagegen zu erheben oder deswegen seine Stellung zu opfern. Er besaß kein Vermögen; eine Stellung war überhaupt für ihn eine Lebensfrage. Das Leben in Altenhof sagte ihm wenig zu, aber er nahm im Ganzen ja auch nur wenig Theil daran. Er erschien nur bei Tische und hin und wieder Abends auf eine Stunde, um dem Gutsherrn Gesellschaft zu leisten; sein Zögling nahm ihn wenig genug in Anspruch. Waldemar war stets froh, wenn er die Unterrichtsstunden hinter sich hatte, und sein Lehrer war es noch mehr. Die ganze übrige Zeit stand diesem zur freien Verfügung; er konnte sich ungestört seinem Steckenpferde, den germanischen Studien, hingeben. Diesen geliebten Studien verdankte Herr Witold es allein, daß der jetzige Erzieher seines Pflegesohnes nicht dem Beispiele der sechs Vorgänger folgte und gleichfalls davonlief, denn er sagte sich ganz richtig, daß in einer anderen Stellung, wo eine stete Beaufsichtigung der Zöglinge verlangt werde, es mit dem Studiren vorbei sei. Freilich gehörte ein so geduldiger Charakter, wie der des Doctors dazu, unter solchen Verhältnissen auszuhalten; er ertrug es auch heute schweigend, daß Waldemar wirklich vorausritt und ihn erst am Eingange von C. erwartete, wo sie gegen Mittag anlangten.

Sie fanden bei ihrer Ankunft nur Gräfin Wanda im Salon und Doctor Fabian machte die erste Vorstellung zwar in großer Befangenheit, aber doch in leidlicher Haltung durch. Leider reizte seine sichtbare und ein wenig komische Aengstlichkeit die junge Gräfin sogleich, ihren Muthwillen an ihm zu üben.

„Also Sie, Herr Doctor, sind der Erzieher meines Vetters Waldemar,“ begann sie. „Ich spreche Ihnen mein aufrichtiges Beileid aus und beklage Sie von ganzem Herzen.“

Fabian sah erschrocken in die Höhe und dann nicht minder erschrocken auf seinen Zögling, aber dieser schien die Aeußerung gar nicht gehört zu haben, denn seine Miene verrieth nicht die geringste Entrüstung.

„Wie meinen Sie, gnädige Gräfin?“ stammelte der Doctor.

„Nun, ich meine, daß es ein sehr schwieriges Amt ist, Herrn Waldemar Nordeck zu erziehen,“ fuhr Wanda unbekümmert fort und ergötzte sich unendlich an der grenzenlosen Verlegenheit, die ihre Worte hervorriefen.

Doctor Fabian blickte in einer wahren Todesangst zu Waldemar hinüber; er wußte, wie empfindlich dieser war, auch gegen bloße Neckereien. Oft genug hatten weit harmlosere Aeußerungen des Herrn Witold einen wahren Sturm hervorgerufen, aber merkwürdiger Weise zeigte sich heute nicht das kleinste Anzeichen davon. Der junge Mann stützte sich ruhig auf den Sessel der Gräfin Morynska, ja, es schwebte sogar ein Lächeln um seine Lippen, als er, zu ihr herabgebeugt, fragte:

„Glauben Sie, daß ich so schlimm bin?“

„Jawohl, das glaube ich,“ erklärte Wanda. „Hatte ich doch erst vorgestern bei dem Streite um das Steuer das Vergnügen, Sie in vollem Zorne zu sehen.“

„Aber doch nicht gegen Sie,“ sagte Waldemar vorwurfsvoll.

Der Doctor ließ den Hut sinken, den er bisher mit beiden Händen festgehalten hatte. Was war das für ein Ton, der so weich und mild von den Lippen seines wilden Zöglings kam, und was sollte der Blick bedeuten, der ihn begleitete? Das Gespräch ging in dieser Art weiter. Wanda neckte den jungen Mann mit ihrem gewöhnlichen Uebermuthe, und Waldemar ließ sich das Spiel mit einer unendlichen Geduld gefallen. Hier schien ihn nichts reizen, nichts verletzen zu können; für Alles, hatte er nur ein Lächeln: er war überhaupt wie ausgetauscht, seit er sich in der Nähe der jungen Gräfin befand.

„Herr Doctor Fabian hört uns ganz andächtig zu,“ spottete diese. „Sie freuen sich wohl über unsere muntere Laune?“

(Fortsetzung folgt.)




Hirschjagden im Hochgebirge.


Die Mühseligkeiten und Gefahren, mit denen der passionirte Gemsenjäger unter Umständen zu kämpfen hat, umgeben diesen Zweig der waidmännischen Beschäftigung mit einem Nimbus der Romantik und des Heldenthums, der zwar in manchen Fällen seine Berechtigung hat, aber im Allgemeinen fast zu viel Aufmerksamkeit für sich beansprucht und dadurch verschiedenen anderen Vorgängen auf dem Gebiete der Bergjagd, die äußerst interessant sind, den Platz in der Chronik des alpinen Lebens verkümmert, den sie verdienen.

In den Bergen des baierischen Hochlandes nimmt neben der Gemse ein anderes edles Thier, der Hirsch, eine hervorragende Stelle ein, und das Herz des Jägers fühlt sich zur Jagd auf diesen königlichen Recken vielleicht mehr angezogen, als zum Pürschgang auf die Gemse.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_516.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)