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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Don Ferdinand, Sohn Karl’s des Vierten und dessen Thronerbe, widersetzte sich aber diesem Vorhaben und suchte die Gelegenheit zu benutzen, den verhaßten Friedensfürsten zu stürzen. Während daher das Volk durch die Anstalten zur Abreise vor das Schloß zu Aranjuez gelockt worden war, begab sich der Prinz zu den die Bedeckung bildenden königlichen Garden und rief ihnen zu: „Der Friedensfürst ist ein Verräther; er will meinen Vater entführen. Hindert ihn an diesem Verbrechen!“ Sofort erklärten die Soldaten ihre Bereitwilligkeit, die Abreise des Königs zu verhindern, und kaum hatte das Volk die Absichten des Militärs erfahren, als es seiner Wuth gegen den Friedensfürsten freien Lauf ließ. Der Palast desselben wurde gestürmt, die innere Einrichtung zertrümmert, und Godoy selbst entging nur mit Mühe der Rache des Volkes, das ihn mit Recht im Verdacht hatte, mit Napoleon in geheimem Einverständniß zu sein. Als Karl der Vierte auf des Letzteren Drängen dem Throne endlich entsagte, folgte Godoy dem Könige nach Rom und kehrte erst im Jahre 1847 nach Spanien zurück, um Besitz von seinen ihm wieder zurückgegebenen Gütern zu ergreifen. Godoy starb am 28. September 1851 zu Paris.

Noch heute, wie vor Jahrhunderten, wälzt der Tajo seine trüben Wogen an den herrlichen Gärten des Lustschlosses vorbei, aber nicht mehr, wie damals, mischt sich in das Rauschen derselben der Klang schmetternder Fanfaren, die zu fröhlichen Festen rufen. Nur selten weilt der Hof noch hier, und dann bleibt es still in den weiten Räumen des Schlosses und Gartens; die Zeiten sind zu ernst für das unglückliche Land, um den Sinn für geräuschvolle Lustbarkeiten zu wecken, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die schönen Tage von Aranjuez für immer vorüber sind.

M. L.




Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.
Das rothe Quartal.
(März–Mai 1871)
Von Johannes Scherr.
12. Facit.


Zweierlei pflegt Erscheinungen, wie wir eine an uns vorübergehen ließen, auf dem Fuße zu folgen: – die Rache der Sieger und die Kostenrechnung.

Das erstere, die Rache der Sieger, hat auch anno 1871 gezeigt, wie weit wir es gebracht haben in der „Religion der Liebe“.

Beispiele von entgegengesetzter Art sind selten und reizen nicht zur Nachahmung. Das erhabene Beispiel von Milde, Schonung und Verzeihung, welches die schweizerische Eidgenossenschaft i. J. 1847 den besiegten Sonderbundssündern gegenüber, und das noch erhabenere, welches die nordamerikanische Union i. J. 1865 den besiegten Secessionsfrevlern gegenüber gegeben – solche republikanische Beispiele sind natürlich für Monarchien nicht nachahmungswürdig.

Indessen wird, wer in den Sentimentalitätskrämern von neumodischen Juristen, welche wohl das Blut von Gemordeten, nicht aber das von Mördern fließen sehen können, keine Orakelgeber, sondern nur phantastische Theorieenspinner erblickt, nicht anstehen, zu bekennen, daß die französischen Sieger vom Mai 1871 denn doch eine ganz andere Berechtigung zur Rache an überwiesenen Mördern und Mordbrennern hatten als die deutschen Sieger vom Juni 1849 an den besiegten Reichsverfassungskämpfern. Der französische Liberalismus machte daher, als er den Wahrsprüchen des Kriegsgerichtes in Versailles zustimmte, immerhin eine weit noblere Figur, als der deutsche, welcher, nachdem er durch seine aus Dummheit und Dünkel, aus Hochmuth und Feigheit, aus Impotenz und Sesselsucht gemischte „Staatsmännischkeit“ anno 1848 alles verdorben hatte, die Standrechtsschüsse von Mannheim, Rastadt und Freiburg mit beifälligem Händereiben und unterthänigem Schmunzeln begleitete. Eine schwere Makel haftet an Herrn Thiers, seinen Ministern und Generalen, daß sie den trikoloren Schrecken, welcher den rothen in Paris abgelös’t hatte, gewähren ließen. Es mochte allerdings schwer sein, die durch alle die Strapazen und Gefahren des sechstägigen Straßenkampfes angestachelte Wuth der Soldaten zu sänftigen, aber es hätte trotzdem versucht werden sollen. Es wurde entweder gar nicht oder doch nicht ernstlich versucht. Daher der Gräuel jener massenhaften Niederschießungen gefangener Kommunekämpfer. Die Ziffer derselben ist nicht aktenmäßig festgestellt, allein die Schätzung auf 20,000, worunter etwa 4000 Weiber und Kinder!!! ist kaum zu hoch, vielleicht eher zu niedrig gegriffen. Auch die Zahl der auf den Barrikaden selbst gefallenen Kommunarden ist nicht amtlich erhärtet, sicherlich aber darf man 10,000 ansetzen, was mit den unmittelbar erschossenen Gefangenen die Summe von 30,000 Todten ergäbe.

Ein im November 1875 durch den General Appert an die Nationalversammlung erstatteter Bericht über die Thätigkeit der Kriegsgerichte von 1871 stellte amtlich fest, daß nach vollendeter Einnahme von Paris ungefähr 38,000 Gefangene sich in den Händen der Armee befanden. Darunter waren 7460 rückfällige Kriminalverbrecher, 5000 fahnenflüchtige Soldaten und 850 Weiber. Ueberhaupt in Untersuchung gezogen wurden 30,000 Personen. Davon sind 18,930 nach der Voruntersuchung freigelassen und 11,070 vor die Kriegsgerichte gestellt worden, darunter auch 80 Kinder. Mehrere Todesurtheile fällten die Kriegsgerichte gegen zur Kommune übergelaufene Militärpersonen, so gegen Rossel. Im Ganzen fielen 110 Todessprüche, wovon 24 zur Vollstreckung kamen. Von den gefangenen Mitgliedern der Kommune wurden zwei zum Tode verurtheilt, Ferré und Lullier, aber nur jener hingerichtet. Andere, wie Urbain, Trinquet, Assi, Billioray, Champy, Lisbonne, Regère, Ferrat, Grousset, Verdure, Jourde und Rastoul erhielten in nicht ganz gerechter Abstufung lebenslängliche Zwangsarbeit, Deportation in Festungen oder einfache Deportation (nach Neukaledonien) zugemessen. Die processirten wilden Klubbgänse und Amazonen kamen ziemlich gelinde weg. Nur über 6 überführte Petroleusen verhängte das Kriegsgericht die Strafe lebenslänglicher Zwangsarbeit. Auch der alte Blanqui und der weiland Laterne-Rochefort wurden nachträglich zur Deportation verurtheilt.

Das Gebaren der Kommunarden war wohl in einzelnen Exemplaren, z. B. in Ferré und Lullier, komödiantisch-frech, aber nichts weniger als heldisch und erhaben. Die meisten legten sich wie ganz gemeine Halunken auf’s leugnen und lügen. Nur sehr wenige hatten den Muth, zu ihren Thaten zu stehen. Zu diesen wenigen gehörte der Belleviller Schuster Trinquet, ein sonst unbedeutender Halbnarr, der aber jetzt mannhaft Farbe bekannte und, von der Feigheit seiner Schicksalsgenossen angewidert, ausrief: „Als mich meine Mitbürger in die Kommune gewählt hatten, glaubte ich nicht, sie hätten mich mit dieser Wahl beehrt, damit ich am Tage der Gefahr die Kommune verleugnete. Ich habe mich bis zur letzten Stunde geschlagen, mein Rock und mein Käppi wurden von Kugeln durchlöchert und ich beklage nur eins, nämlich nicht gefallen zu sein, damit ich nicht heute mitansehen müßte, wie meine Kameraden sich ihrer Verantwortlichkeit entziehen wollen.“ …

Am 2. August von 1871 gab der Marschall Mac Mahon seinen Rapport über die Verluste aus, welche die Armee in der Niederkämpfung der Kommune vor und in Paris erlitten hatte. Sie bezifferten sich auf 83 todte und 430 verwundete Offiziere, auf 794 todte, 6024 verwundete und 183 vermißte Soldaten.

Der Feuerschaden war kolossal. Die Ruinen der Tuilerien und des Stadthauses allein repräsentirten eine Einbuße von 60 Millionen, die des Finanzministeriums eine solche von 15 Millionen, die der „Docks“ von Belleville und Villette eine von 27 Millionen, die des Staatsraths- und Rechnungshofgebäudes eine von 10 Millionen, die des Justizpalastes, der Conciergerie und der Polizeipräfektur mitsammen eine von 6 Millionen. Der Gesammtschaden, die zerstörten Staatsgebäude, Kirchen, Paläste, Theater, Fabriken, Speicher und Privathäuser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_399.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)