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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

geben gelobt hast; ein solches Opfer solltest Du mir gar nicht zumuthen. Liegt es in meiner Macht, etwas an der Sachlage zu ändern? Ganz und gar nicht – wozu dann die nutzlose Aufregung, in die Du mich geflissentlich stürzest? Soll ich durchaus das Vergnügen haben, auch ein Gegenstand des öffentlichen Mitleids zu sein? Eher[WS 1] gehe ich stehenden Fußes von hier fort – ich will nicht, daß man mit den Fingern auf mich zeige.“

Sie durchmaß aufgeregt das Zimmer. „Du hast mir gegenüber für Dein Bleiben hier nicht die leiseste Entschuldigung,“ hob sie, fern von ihm stehen bleibend, mit finster zusammengezogenen Brauen wieder an, nachdem sie vergeblich auf einen Laut von seinen Lippen gewartet hatte. „Nicht einmal auf die Kranken in der Beletage kannst Du Dich berufen. Henriette hättest Du so wie so ihrem Schicksale überlassen müssen, und was Käthe betrifft, so wirst Du mich nicht überzeugen, daß die Stirnschramme, die Du selbst für vollkommen ungefährlich erklärt hast, Deine ganze Ärztliche Kunst und Hülfe erheische. Ehrlich gestanden, ich habe in dieser Nacht das Lachen verbeißen müssen über Dein und der Tante Gebahren. Wenn Henriette über die paar vergossenen Blutstropfen kindische Thränen weint, so mag das hingehen –, sie ist krank und nervengereizt –, aber daß Du Dich geberdetest, als sei unsere Jüngste, dieser derbe, urgesunde Holzhackersproß, aus Duft und Schnee zusammengesetzt –“ unwillkürlich verstummte sie vor Leo’s Aussehen. Er hatte sich ihr zugewendet mit drohend gehobenem Finger, mit einer nicht mehr zu bezwingenden Aufregung in den Zügen.

Sie lachte zornig auf. „Glaubst Du, ich fürchte mich? Ich habe Deiner sehr unpassenden Handbewegung eine ganz andere Drohung entgegenzusetzen: Hüte Dich – noch ist das ‚Ja‘ am Altare nicht gesprochen; noch liegt es in meiner Hand, eine Wendung herbeizuführen, die Dir schwerlich gefallen dürfte. Und nun gerade wiederhole ich, daß mich Dein gestriges ärztliches Thun und Treiben um Käthe schließlich angewidert hat. Soll ich nicht spöttisch werden, wenn Du sie pflegst und verziehst, wie eine Prinzessin –“

„Nein, nicht wie eine Prinzessin – wie eine Geliebte des Herzens, wie eine erste und einzige Liebe, Flora,“ fiel er mit seiner tiefen, klangvollen Stimme in sichtlicher Bewegung ein.

Ein Schrecken durchfuhr sie, als habe ein Blitzschlag die Erde vor ihren Füßen gespalten; unwillkürlich hoben sich ihre Arme gen Himmel, und so stürzte sie auf den Sprechenden zu.

Er streckte ihr abwehrend die Hände entgegen; sonst stand er in unerschütterter Haltung. „Was ich bisher, unter unbeschreiblichen Kämpfen mit mir selbst, in meiner Brust verschlossen habe – aus Scham und von einem Grundsatze ausgehend, der sich als falsch, ja, als unmoralisch erwiesen hat –, ich muß es Dir jetzt bekennen. Ich sehe ab von jeder Vertheidigung, von jedem beschönigenden Worte“ – die Stimme sank ihm – „ich bin treulos gewesen von dem Augenblicke an, wo ich Käthe zum ersten Male gesehen habe.“

Flora ließ langsam ihre Hände sinken. So unumwunden und zweifellos auch das Geständniß lautete, es war dennoch das Unglaubwürdigste, das sie je gehört. Bah, wie hatte sie sich hinreißen lassen können, ein so kopfloses Erschrecken zu zeigen! Es war wohl oft genug geschehen, daß die gefeierte Flora Mangold Männerherzen unwiderstehlich an sich gezogen, und sie dann in Momenten, wo es am wenigsten erwartet wurde, launenhaft und unbarmherzig von sich gestoßen hatte – ach ja, das war zu ihrer innersten Genugthuung so oft geschehen, wie sie Ballsaisons mitgemacht, aber daß ein Mann ihr die Treue brechen könne – lächerlich! Das war zu absurd; das glaubte Niemand in der Residenz, und sie selbst am wenigsten. Da lag es doch weit näher, zu denken, daß Doctor Bruck endlich auch einmal den Muth finde, sich zu revanchiren. Sie hatte eben „ihre Feuerprobe“ bis an die äußerste Grenze geführt; sie hatte in ihrem wohlbegründeten Verdrusse gedreht, noch wenige Schritte vom Altar ihr „Ja“ zurückzuhalten, und das hatte ihn gereizt, hatte seine Langmuth erschöpft; er wollte sie strafen, indem er sie eifersüchtig machte. Ihre bodenlose Eitelkeit und Frivolität halfen ihr noch für wenige Augenblicke über die bitterste Täuschung ihres ganzen Lebens hinweg.

Sie verzog ironisch die Lippen und schlug die Arme unter. „Ah, also gleich beim ersten Erblicken!“ sagte sie. „War das gleich draußen im Corridor, wo sie nach Handwerksbrauch, den Reisestaub auf den Schuhen, mit dem poetischen Taschentuch-Bündelchen in der Hand, hier ankam?“

Man sah, wie ihr spielender Hohn jeden Blutstropfen in dem Manne empörte; angesichts der furchtbaren Entscheidung, die endlich nach namenlosen Leiden und Kämpfen, durch seine wahre „erste und einzige“ Liebe herbeigeführt worden, wurde er lächelnd und frivol in’s Gebet genommen, wie ein Schulknabe. Er bezwang sich mühsam; die Lösung dieser Lebensfrage mußte noch in dieser Stunde erfolgen, aber daß es nicht in würdeloser Weise geschehe, das war seine Aufgabe.

„Da war ich schon ihr Führer und Begleiter gewesen; in der Mühle habe ich Käthe zuerst gesehen,“ versetzte er nach einem momentanen Ringen mit sich selbst, ziemlich gelassen.

Eine dunkle Röthe der Ueberraschung überflog Flora’s Wangen. Es begann in ihren Augen zu glimmen; sie biß sich auf die Lippen. „Ei, davon erfährt man ja das erste Wort. Und auch die Duckmäuserin mit dem ‚reinen‘ Herzen hat Grund gehabt, diese interessante Begegnung zu verschweigen.“ Sie lachte kurz und hart auf. „Nun, und weiter, Bruck?“ Die Arme noch fester unter dem Busen kreuzend, stemmte sie den Fuß sichtlich herausfordernd auf den Teppich.

„Wenn Du in dem Tone verharrst, dann bleibt mir kein Weg zur Verständigung, als der schriftliche.“ Er wollte mit allen Zeichen der Entrüstung an ihr vorübergehen.

Sie vertrat ihm den Weg. „Mein Gott, wie Du das tragisch nimmst! Ich bemühe mich ja nur, auf Deine kleine Komödie einzugehen. Also in einen Federkrieg willst Du Dich mit mir einlassen? Lieber Leo, da ziehst Du den Kürzeren – darauf verlasse Dich! – magst Du auch noch so viel epochemachende medicinische Broschüren in die Welt geschickt haben.“

Das übermüthige Lächeln, das ihre Versicherung begleitete, erstarb ihr auf den Lippen; ein so eisig finsterer, zurückweisender Blick begegnete dem ihren. Jetzt dämmerte allmählich die Ahnung in ihr auf, es könne ihm doch wohl Ernst, bitterer Ernst sein – nicht mit seiner fingirten Liebe für „die Jüngste“; die war nun einmal nicht denkbar – wohl aber mit dem Entschlusse, bei aller Leidenschaft für sie, doch lieber in der letzten Stunde noch mit der capriciösen Braut zu brechen, als sich zeitlebens der „Feuerprobe“ zu unterwerfen. Sie bereute ihr Vorgehen, und dennoch siegte der wilde Trotz, der beispiellose Uebermuth in ihr.

„So gehe!“ sagte sie rasch zur Seite tretend. „Solche Blicke, wie Du mir eben zugeworfen hast, vertrage ich nicht. Gehe – ich rühre nicht einen Finger, Dich zu halten.“ Sie brach in ein schneidendes Hohngelächter aus. „O Männercharakter, viel berühmter und besungener! Es hat eine Zeit gegeben, wo ich fast auf den Knieen um meine Freiheit gebettelt habe; man war würdelos genug, die widerstrebende Braut um so fester in Ketten zu legen. Da sieh, und lerne von mir, was in solchen Momenten selbst für ‚die schwache, eitle Frauenseele‘ einzig und allein maßgebend ist: der Stolz –“

„Es war auch Stolz, der mich damals unerbittlich bleiben ließ, unbändiger Stolz, wenn auch ein ganz anderer, als das Gemisch von Trotz und Grimm, das Du als solchen bezeichnest,“ unterbrach er sie mit maßvoller Ruhe, obgleich die letzte Spur von Farbe aus seinen Wangen gewichen war. „Ich bekenne mich ja dazu, schwer gefehlt zu haben; ich werde Dich, wie bereits gesagt, mit keiner Vertheidigung behelligen, die Andere auch nur entfernt der Mitschuld bezichtigen könnte. … Der Impuls meiner damaligen Handlungsweise war das Pochen auf die eigene Kraft, auf den Manneswillen, der mit allen Gefühlsausschreitungen der Seele fertig werden müsse, wie ich wähnte. Ich gab Dir Dein Wort nicht zurück, weil ich gewohnt war, das meine, einmal gegeben, in allen Lebenslagen als unverbrüchlich bis in alle Ewigkeit anzusehen; von dem Standpunkte aus erschien mir unser Verlöbniß so unlösbar, wie dem Katholiken die Ehe. … Ich leugne nicht, daß auch der Rest studentischer Ehrbegriffe in mir nachwirkte. An jenem Abende habe ich Dir diesen einen Beweggrund ausgesprochen, und ich muß ihn auch jetzt noch einmal betonen: Ich wollte nicht in die Schaar Derer zurücktreten, die an Deinem Siegeswagen gezogen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ehe
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_360.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)