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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sich zuerst einer Feder von Rohr, das man im Rauche trocknete und in derselben Weise wie die früher gebräuchlichen Gänsekiele mit dem Messer schnitt; mit dem Bimssteine glättete man die Spitze noch nach. Die Schreibfedern werden zuerst von dem oben genannten Isidor am Anfange des siebenten Jahrhunderts erwähnt. Große Buchstaben, deren man sich zu Titeln, zu Ueberschriften im Anfange bediente, wurden oft mit dem Pinsel sehr kunstvoll ausgemalt. Man findet vollständig ausgeführte kleinere und größere Gemälde in den alten Manuscripten. Abgesehen von dem zuweilen nicht geringen Kunstwerthe derselben sind diese bunten Bilder oft wichtig zur Bestimmung der Trachten und der Gewohnheiten ihrer Zeit.

Die gewöhnliche Schreibtinte war schwarz, doch von anderer Zusammensetzung, als die heute gebräuchliche, denn sie war nicht mit Vitriol versetzt. Man bereitete sie aus Ruß, Kohlenpulver, gebrannten Knochen u. dergl. mit einem Klebstoffe, Leim, Gummi, auch Honig. Die Buchstaben, welche mit dieser Tinte hergestellt wurden, bildeten gleichsam eine Kruste, bei manchen sehr alten Manuscripten liegen sie merklich erhaben auf, auch ist wohl der eine oder der andere abgesprungen. Seit dem zehnten Jahrhunderte lernte man den Gebrauch des Vitriols kennen.

Sehr häufig kommt in den Handschriften auch die rothe Tinte vor, die man aus verschiedenen Farbstoffen, Mennige, Zinnober u. dergl. bereitete. Bisweilen sind ganze Seiten, einzelne wichtige Stellen, fast immer die Anfangsbuchstaben und die Ueberschriften damit geschrieben. Unsere Ausdrücke „Rubrik“, „rubriciren“ finden daher ihre Erklärung. Der, welcher das Rothe schrieb, war von dem Abschreiber des Textes unterschieden und hieß Rubrikator. Der erste Schreiber zeichnete ihm die Buchstaben, welche roth ausgeführt werden sollten, mit leisen Strichen vor. In seltenen Fällen wechselt mit der rothen Tinte eine blaue, grüne oder gelbe.

Auch in Gold und Silber stellte man prächtige Manuscripte her, gewöhnlich auf Purpurpergament. Doch gehören ganz in Gold geschriebene Bücher zu den größten Seltenheiten. Die kaiserliche Bibliothek in Wien, das Stift St. Emeran in Regensburg besitzen einige dergleichen. Meist sind es kirchliche Bücher, an welche wohlmeinende Frömmelei diese Pracht verschwendete, denn nach dem Glauben der alten Zeit sicherte sowohl der Abschreiber als auch der, welcher die Mittel zur Herstellung der Handschriften lieferte, sich die besondere Fürsprache der Heiligen.

Häufiger sind Manuscripte, in denen einzelne Zeilen, einzelne Wörter oder einzelne Buchstaben mit Gold und Silber geschrieben sind. Die Goldtinte wurde als Farbe mit dem Pinsel aufgetragen, oder man grundirte die Buchstaben, legte seine Goldblättchen auf und glättete sie mit einem heißen Eisen.

Pergament und Papier, welches beschrieben werden sollte, versah man stets mit Linien, die man dem Schreibmateriale mit einem besondern Instrumente eindrückte. Jedes Jahrhundert pflegte in seinen Manuscripten diese Linien auf eine besondere Weise zu ziehen, und sie bilden eines der Kennzeichen, durch welche man das Alter einer Handschrift bestimmt.

Da die deutschen Völkerschaften die Schreibkunst von den überwundenen Römern erlernten, so nahmen sie natürlich auch die lateinischen Buchstaben an, doch veränderte jedes Volk sie allmählich in seiner Weise, sodaß sich die Schrift der Merovinger, der Angelsachsen, der Westgothen, der Longobarden selbst in den geringen Bruchstücken, die von ihren Manuscripten erhalten sind, deutlich unterscheiden läßt. Durch die Bemühungen Karl’s des Großen kam ein einheitlicher Charakter in die Züge der lateinischen Schrift, die vom neunten Jahrhunderte an im Großen und Ganzen überall dieselben Gestalten der Buchstaben zeigt. Unsere gewöhnliche deutsche Cursivschrift bildete sich seit Kaiser Friedrich dem Zweiten; allgemein verbreitet war sie erst seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts. Daß ihr die Charaktere des römischen Alphabets zu Grunde liegen, ist leicht zu erkennen.

Die deutschen Handschriften aus der ältesten Zeit weisen eine nur sehr spärliche Interpunction auf, zuweilen fehlt sie ganz. Es ist ebenfalls ein Verdienst Karl’s des Großen, in diesem anscheinend so geringfügigen Punkte feste Regeln aufgestellt und ihre Durchführung bewirkt zu haben. Die beiden Diakonen Warnefried und Alkuin werden als Urheber der karolingischen Interpunctionszeichen genannt, die ursprünglich sehr verschiedene Gestalten zeigen, doch verleugnen sie fast nie die Grundformen des Punktes und des Striches oder des Kreuzes. Das erste Erscheinen unserer heutigen Interpunction knüpft sich an den Gebrauch der deutschen Cursivschrift.

Die Anfänge der jetzt so ausgebildeten stenographischen Kunst führen bis zu den Römern zurück. Schon Cicero nennt Geschwindschreiber. Auch die Schreiber des deutschen Mittelalters bedienten sich gewisser Abkürzungen, von denen manche den heutigen Stolze’schen Sigeln nahe verwandt sind. Einige Klöster, in denen viel geschrieben wurde, hatten besondere, stets festgehaltene Abkürzungen.

In den Klöstern der Benedictiner finden sich oft sehr wohl eingerichtete Schreibstuben. Die Regel des Stifters schon schrieb die Vereinzelung der verschiedenen Verrichtungen bei Anfertigung der Handschriften vor. Einer der Brüder besorgte die Tinte; der andere lieferte die geschnittenen Federn; der dritte glättete das Pergament, welches ein Anderer zu Tafeln zerschnitt; diese versah ein neuer Bruder mit Linien und trug sie den eigentlichen Schreibern zu, aus deren Händen sie zu dem Corrector, dann zu dem Rubrikator kamen; nun wanderten sie zu denen, deren Amt es war, den Einband zu besorgen, und wenn die nunmehr fertigen Bücher schließlich noch die Censur des Abtes passirt waren, konnten sie in die Welt hinausgehen, oder ihren Ruheort in dem Bücherzimmer des Klosters finden.

Die Größe der alten Codices übertraf die der heutigen Bücher um ein Bedeutendes. Die Universitätsbibliothek in Erlangen bewahrt einen Codex, der siebenundzwanzig Zoll hoch und achtzehn Zoll breit ist.

Die äußeren Einbände der Bücher bestanden aus Holzdeckeln, die mit Pergament, Tuch und ähnlichen Stoffen überzogen waren. Man schmückte sie mit Figuren in Gold, Silber und Schmelz, versah sie mit Buckeln, metallenen Ecken, wohl auch mit Edelsteinen und schloß sie mit einem Gesperre, wie ein modernes Album. Um die Motten abzuhalten, bestrich man sie mit Cedernöl.

In den Bibliotheken stellte man die Bände nicht nebeneinander, wie wir gewohnt sind, sondern man legte sie auf den unteren Einbanddeckel, oder hing sie an kleinen Ketten von Eisen oder von Silber an den Wänden auf. Besonders werthvolle Bücher schloß man auch wohl an, ja es finden sich Beispiele von Bänden, die angeschmiedet waren und nur, so lang ihre Kette reichte, von dem Orte ihrer Aufbewahrung entfernt werden konnten. Es läßt sich leicht einsehen, daß bei dieser Einrichtung das Gesperre an jedem Buche nothwendig war.

Außerhalb der Klöster gab es im Mittelalter keine Bibliotheken, höchstens besaßen einzelne Gelehrte eine Anzahl von Büchern. Denn unter den Laien war selten Jemand des Lesens und des Schreibens kundig, und noch seltener besaß ein Einzelner die Mittel, Bücher zu kaufen, die damals den hundertfachen Preis kosteten, den wir heute dafür entrichten. In den Klöstern aber gab es viele müßige Hände, denen das Abschreiben eine wohlthätige Beschäftigung war. Eine wohlgeordnete und zahlreiche Büchersammlung bildete den Stolz eines jeden Klosters; man lieh sich gegenseitig werthvolle Werke, Abschriften davon zu nehmen. Gelehrte Mönche verfaßten bekanntlich selber Schriften. Besonders die sogenannten Annalen oder Chroniken sind fast sämmtlich von Geistlichen geschrieben, und in ihnen sind uns äußerst werthvolle Schätze zur Bestimmung der vaterländischen Geschichte erhalten.

Auch Spuren von städtischen Büchersammlungen finden sich schon früh, aber immer sind Geistliche die ersten Begründer und die ausdauernden Pfleger derselben, und die Bibliotheken selber nehmen oft eine Capelle einer großen Kirche ein. Nach der Reformation gingen diese Büchersammlungen dann in städtische Verwaltung über, und gerade sie bildeten die werthvollsten Unterlagen für die großen Bibliotheken, wie manche deutsche Städte sie jetzt in so ruhmwürdiger Vollständigkeit besitzen.

So entwickelte sich aus unscheinbaren Anfängen das großartige Bücherwesen unserer Zeit. In tiefer Verborgenheit, in klösterlicher Stille zwischen Berg und Wald, in enger Zelle beginnt der Stammbaum der siebenten Großmacht.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_336.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2019)