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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Ende – eine Andere tritt an meine Stelle.“ Die Zärtlichkeit wich aus ihrer Stimme; sie sprach mit tiefem Ernste, und die sonst so milden Augen hafteten fest, fast streng auf dem schönen Mädchen im Fenster. „Sie mit ihrem reichen Geiste weiß jedenfalls die Heiligkeit, aber auch die oft herben Anfechtungen seines Berufes weit lebendiger zu erfassen, als ich, und wird ihm deshalb gewiß ein Daheim schaffen, das ihm, unabhängig von den äußeren Strömungen, gleichmäßig ein harmonisch-inniges Familienleben bietet.“ Das Betonen des einen Wortes ließ Käthe deutlich erkennen, daß die Tante Flora’s gestriges häßliches Gebahren sehr wohl bemerkt und als Launenhaftigkeit aufgefaßt hatte.

„Das ist Alles recht schön und gut, meine beste Frau Diakonus, und ich zweifle auch keinen Augenblick, daß Flora eine ganz tüchtige Frau Professorin werden wird,“ sagte die Präsidentin kühl – der indirect ermahnende Ton, welchen die simple Pastorswittwe ihrer Enkelin gegenüber anzuschlagen wagte, verdroß sie sichtlich –; „allein zu einem anmuthenden Familienleben gehören heutzutage auch comfortable Räume, und das Beschaffen derselben macht mir augenblicklich große Sorge. Ich komme eben von einer erschöpfenden Berathung mit dem Möbelfabrikanten; er behauptet, nunmehr – Gott weiß aus welchem Grunde – die längst bestellten Boule-Möbel für Flora’s Salon bis zu Pfingsten absolut nicht liefern zu können. Flora hat sich währenddem mit der Wäschelieferantin herumgezankt, die auch so fabelhaft langsam ist und die Vollendung der Ausstattung erst bis Anfang Juli in Aussicht stellt. Was fangen wir an?“

„Wir warten,“ sagte Doctor Bruck in seiner einsilbigen Weise und griff nach Hut und Stock, um Beides fortzutragen.

Die Präsidentin fuhr ein wenig zusammen; sie sah ziemlich perplex aus, und eine gewisse Aengstlichkeit schlich durch ihre Züge, aber sie faßte sich rasch und klopfte ihn leicht auf die Schulter. „Das ist brav, liebster, bester Doctor! Sie helfen uns selbst aus der peinlichsten Verlegenheit, während ich mich auf berechtigten Widerspruch Ihrerseits gefaßt gemacht hatte. Diese Pfingsten waren mir fast zu einem drohenden Gespenst geworden. Sie hielten so fest an dem einmal bestimmten Tage.“

„Gewiß, allein meine Uebersiedelung nach L…..g macht eine Abänderung sogar nothwendig,“ entgegnete er gelassen und ging hinaus.

„Und was meint die Braut?“ fragte die Tante Diakonus mit ungewisser Stimme; sie war augenscheinlich sehr betreten über die geschäftsmäßig kühle Ruhe des Doctors und das plötzliche verlegene Schweigen der Anwesenden.

Flora wandte ihr ein heiter strahlendes Gesicht zu. „Mir ist die gegönnte Frist insofern hochwillkommen, als meine künftige Lebensstellung plötzlich eine so ganz andere werden wird. Da bedarf es der Vorbereitung, der inneren Sammlung und Einkehr. Mein Gott, es ist ja doch ein himmelweiter Unterschied! Von der Frau eines Universitätsprofessors mit großem Namen verlangt die Welt ein ganz anderes Auftreten, ganz andere Capacitäten, als von einer einfachen Doctorsfrau, möge ihr Mann immerhin Hofrath und Leibarzt eines Fürsten sein.“ Ein unbeschreiblicher Hochmuth sprühte förmlich aus der zarten, hoch emporgerichteten Gestalt; in jedem Worte klang innerer Jubel, mühsam unterdrücktes Frohlocken mit – sie stand auf dem Gipfel ihrer glühendsten Wünsche.

Der Commerzienrath rieb sich vergnügt die Hände. Er hätte losplatzen und ihr in das Gesicht lachen mögen; die Präsidentin aber kämpfte sichtlich mit einer ärgerlichen Aufwallung. Jetzt maßte sich wohl gar die Enkelin an, mit ihrer „Partie“ noch um so und so viel Staffeln höher zu steigen, als selbst sie, die hochgestellte fürstliche Beamtenfrau.

„Wohin versteigst Du Dich, Flora!“ rügte sie, in zorniger Mißbilligung den Kopf schüttelnd.

„In meine glänzende Zukunft, Großmama,“ antwortete sie mit einem kleinen, übermüthigen, boshaften Lächeln. Sie drehte der Präsidentin mit einer so ausdrucksvollen Geberde den Rücken, als sei sie nun mit einer unerquicklichen Vergangenheit vollkommen fertig und wolle mit keinem Worte mehr daran erinnert sein.

„Und nun ergebe ich mich Ihnen auf Gnade und Ungnade, lieb Tantchen,“ sagte sie zu der alten Frau, die jeder Bewegung der schönen Braut mit klugem, prüfendem Blicke gefolgt war. „Machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich unterwerfe mich Allem; nur zeigen Sie mir den Weg, auf welchem ich Leo glücklich machen kann! Ich will nähen, kochen“ – bei den letzten Worten streifte sie flink die Handschuhe ab, als wolle sie sofort Ernst machen und an den Kochherd treten. „Ah!“ stieß sie erschrocken heraus und fuhr mit der Hand, wie fangend, durch die leere Luft – der „einfache Goldreif“ war ihr beim Abziehen des Handschuhs vom Finger geglitten. Niemand hatte ihn zu Boden fallen hören; man suchte, allein es war, als habe ihn die Luft aufgesogen.

„Er wird zwischen Deine Kissen gefallen sein, Henriette,“ klagte Flora. Sie war ganz bleich geworden „Erlaube, daß wir Dich für einen Moment emporheben und nachsehen –“

„Das kann ich nicht zugeben,“ erklärte die Tante entschieden. „Henriette darf nicht beunruhigt, nicht unnöthig aus ihrer bequemen Lage gebracht werden –“

„Unnöthig!“ wiederholte Flora vorwurfsvoll und schmollend wie ein Kind. „Es ist ja mein Verlobungsring, Tantchen.“

Käthe schauderte in sich zusammen bei diesen Worten. War Flora wirklich ein solches Kind des Glückes, daß eine Art Wunder ihr den Ring wieder in die Hände zurückgespielt hatte, oder log und trog sie mit dreister Stirn so entsetzlich? Sie suchte vergebens in den ängstlich umherforschenden Augen dieser Sphinx zu lesen.

„Das ist ein fataler Zufall,“ sagte die Tante Diakonus, „aber verloren kann ja der Ring nicht sein. Wir werden ihn heute noch bei Henriettens Umbetten finden, dann soll ihn mein Dienstmädchen sofort in die Villa tragen.“

„Ich werde es ihr fürstlich vergelten; ich will ihr die Hand mit Gold füllen, wenn sie ihn mir heute Abend noch bringt,“ versicherte Flora; eine peinliche Unruhe war über sie gekommen; es kostete ihr offenbar Mühe, sich geduldig zu fügen.

Die Präsidentin und der Commerzienrath schoben sich jetzt Stühle an das Bett und nahmen Platz neben der Kranken, die sich mit keinem Worte mehr an den Verhandlungen betheiligt hatte. Nur einmal war der blonde Kopf jäh emporgetaucht, und ein bitter höhnischer Zug hatte die zum Sprechen geöffneten Lippen umzuckt. Bei der Versicherung der Großmama, daß sie nicht begreife, aus welchem Grunde der Möbelfabrikant die Ablieferung der Möbel verzögere, hatte sie hinüberrufen wollen: „Weil sie bereits halb und halb abbestellt gewesen sind.“ Aber noch zur rechten Zeit wurde sie sich bewußt, daß nun mit keinem Worte mehr an das Vergangene gerührt werden dürfe.




17.


Die Tante ging hinaus, um einige Erfrischungen zu besorgen, und Käthe folgte ihr. Ekel und Widerwillen trieben sie aus dem Zimmer, in welchem sich eben die empörendste Komödie abgespielt hatte. Sie bat die Tante, ihr das kleine Geschäft der Bewirthung zu überlassen, und die alte Frau legte willig den Schlüsselbund in ihre Hand. „Hier, mein liebes, liebes Kind, meine treue, ehrliche Käthe,“ sagte sie weich und in so bebenden Lauten, als kämpfe sie mit einem tiefen Aufseufzen.

Sie legte den Arm um den Leib des jungen Mädchens und schmiegte sich in zärtlicher Zuneigung an die schöne Gestalt. „Mich überkömmt es wie süßes Ausruhen, wenn ich in Ihr offenes, frisches Gesicht sehen darf. Ich muß immer an Luther’s vielliebe Käthe denken, an die tapfere Frau, die stark und muthig an die Seite des streitbaren Mannes getreten ist.“ Jetzt schlüpfte in der That ein beklommener, sorgenvoller Seufzer über ihre Lippen; sie entließ das hocherröthende Mädchen aus ihren Armen und kehrte in das Krankenzimmer zurück.

Käthe holte die Kaffeebüchse und den zu Ehren des Tages gebackenen Napfkuchen aus der Speisekammer, und während die dicke, freundliche Magd frisches Holz unter den Wasserkessel legte, füllte sie die hübsche, blaue Glasschale, die schon gestern beim Thee figurirt hatte, mit Zucker und rieb den krystallenen Confectteller blank. Sie schnitt eben den Kuchen in Stücke, als sie Jemand aus dem Krankenzimmer kommen hörte. Die Küchenthür war so angelehnt, daß ein breiter Spalt blieb, und durch diese Oeffnung sah sie Flora in den Hausflur treten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_245.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)