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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 7.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Während dieser Mittheilungen glitt die Frau Diaconus immer noch ordnend, aber so geräuschlosen, behutsamen Trittes umher, als säße der Doctor bereits dort am Schreibtisch über seinem neuen Werke, zu dessen ungestörter Vollendung er sich eben „das Zimmer im Grünen“ vorbehalten hatte. Und dann schloß sie ein Wandschränkchen neben dem Büchergestell auf und nahm einen Teller mit Prophetenkuchen heraus. Mit einer anmuthigen Geberde hielt sie dem jungen Mädchen das einfache Gebäck hin. „Es ist ganz frisch – ich habe es heute, trotz aller Umzugsarbeit, gebacken. Der Doctor braucht immer dergleichen für kleine widerhaarige Patienten … Wein aber kann ich Ihnen nicht anbieten; die wenigen Flaschen, auf die wir halten, habe ich in der Stadt gelassen; sie gehören den Schwerkranken.“

Käthe dachte an die vielen Papiere in ihrem Geldschrank, die „bienenfleißig arbeiten“, um immer neue Geldströme aus der Welt herbeizuziehen, an den reichausgestatteten Weinkeller im Thurm, an ihre übermüthige cigarrenrauchende Schwester zwischen den purpurfarbenen Polstern des Ruhebettes – welch ein ungeheurer Contrast zu diesem einfachen Genügen und Entsagen! Und wie wurde sie hier an ihr Dresdner Heim erinnert! Das Herz ging ihr auf; sie erzählte von ihrer Pflegemutter und der weisen, festen und doch so wohlthuenden Art, wie sie wirke und Andere beeinflusse, wie sie die fleißigen Hände rege und von der Pflegetochter dasselbe verlange.

„Was aber sagt die Frau Präsidentin zu diesem Erziehungssystem?“ fragte die Tante fein lächelnd, während ihr Blick in geheimem Wohlgefallen an der blühenden Jugendgestalt hing.

„Ich weiß es nicht,“ versetzte Käthe achselzuckend, mit muthwillig aufblitzenden Augen, „aber ich glaube, meine Bewegungen sind ihr zu rasch, meine Stimme klingt ihr zu laut, ich bin ihr zu robust und nicht blaß genug. Gott mag wissen, wie viel Noth man mit mir hat! – Ist dies das Portrait Ihrer Frau Schwester?“ fragte sie plötzlich ablenkend und zeigte nach dem Oelbild einer hübschen Frau, das an der Wand lehnte.

Die alte Dame bejahte die Frage. „Es macht mir Angst, bis ich es wieder an seinem sicheren Platze sehe; der Rahmen ist ein wenig hinfällig,“ sagte sie. „Aber ich leide an Schwindel und darf mich nicht auf die Leiter wagen … Vor einigen Wochen habe ich das Dienstmädchen abgeschafft,“ – eine zarte Röthe stieg ihr in das Gesicht – „und nun muß ich warten, bis die Aufwärterin kommt und mir die letzten Bilder und meine Bettgardinen aufhängt.“

Schon bei den ersten Worten dieser Auseinandersetzung war Käthe an den Schreibtisch getreten; sie legte den Sonnenschirm auf die Platte desselben und steckte unbedenklich den kleinen Strauß von Weidenkätzchen und Leberblümchen in ein zierliches milchweißes Trinkglas, das neben dem Schreibzeuge stand. Dann zog sie mit einem kräftigen Rucke den Arbeitstisch tiefer in das Zimmer und stellte einen Rohrstuhl an die Wand. „Darf ich?“ fragte sie zutraulich und griff nach Hammer und Nägeln, die auf dem Fenstersimse bereit lagen.

Dankbar lächelnd brachte die Tante das Bild herbei, und nach wenigen Augenblicken hing es an der Wand. Käthe bebte unwillkürlich zurück, als ihr die alte Dame nun auch Flora’s Photographie hinhielt. Sie sollte mit eigener Hand dem verrathenen Manne das Bild vor die Augen führen, das schon nicht mehr sein Eigenthum war – binnen Kurzem wurde es zurückgefordert, so gut wie der Ring, den er noch am Finger trug. Welche peinvolle Lage! Und jetzt ließ die Tante auch noch liebkosend die Hand über das Portrait hingleiten. „Sie ist so wunderschön,“ sagte sie zärtlich. „Ich kenne sie im Grunde wenig; sie besucht mich sehr selten; wie könnte ich alte Frau denn auch verlangen, daß sie sich bei mir langweilen soll, aber ich habe sie doch von Herzen lieb; sie liebt ihn ja und wird ihn glücklich machen.“

Diese unbegreifliche Ahnungslosigkeit! Dem jungen Mädchen war es, als brenne der Stuhl unter ihren Füßen – sie hatte zu kopflos gehandelt. Nach Allem, was sie eben noch drüben im Thurme mit angehört, durfte sie hier nicht eintreten. Sie kam sich falsch und heuchlerisch vor, weil sie nicht der Frau sofort das Bild aus der Hand stieß und ihr die Schlange enthüllte, die nach ihrem Herzen zischte. Und doch durfte ihr kein Wort entschlüpfen. Sie schlug so heftig auf den Nagel, daß die Wand dröhnte, dann hing sie mit spitzen Fingern die Photographie hin und sprang vom Stuhle. Wie ein schöner, böser, triumphirender Dämon lächelte das verführerische Gesicht der Schwester auf den Schreibtisch nieder.

Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme, um schleunigst das Zimmer zu verlassen. Ueber die Schwelle schreitend, sah sie durch die nächste, weitoffene Thür direct auf das Bett der alten Dame – die Treppenleiter stand daneben. „Das hätte ich fast vergessen,“ rief sie entschuldigend; sie huschte hinüber, und den buntgeblümten Vorhang vom Bette nehmend, stieg sie die Leiter hinauf. Seitwärts in der dunklen Fensterecke stand sie so hoch oben, daß sie die herabhängenden Füßchen der Engelsgestalten in der Deckenverzierung berühren konnte. Mit fliegender Hast

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_109.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)