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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

aber dabei Thür und Fenster und bemühen sich dann, das Licht in Säcken aufzufangen und hineinzutragen. Sie versuchen die Sonne mit Stangen vom Himmel zu stoßen oder den Mond aus dem Brunnen oder Fluß zu schneiden. Sie versehen ihre Sonnenuhr mit einem Schutzdache gegen den Regen, sodaß sie nun die Sonne nicht bescheint. Sie messen einen Brunnen dadurch, daß der Bürgermeister eine Stange über die Oeffnung legt und, sich an dieselbe anhaltend, sich in ihn hinabläßt, und daß die Anderen sich, einer immer an die Füße des vorigen, anhängen, bis die Last jenem zu schwer wird, und er den Brunnenrand losläßt, um in die Hände zu spucken, worauf die ganze Gesellschaft natürlich hinabplumpt.

Ebenfalls von mehr als einem Orte wird die Geschichte erzählt, wo das Gras auf der Stadtmauer auf dem erfinderischen Wege entfernt und zugleich nützlich gemacht werden soll, daß man einen Ochsen an einem Stricke um den Hals hinaufwindet. Als er erstickend die Zunge ausstreckt, rufen Alle: „Seht, er leckert schon darnach.“

Ferner gehört hierher die Erzählung, nach welcher die Bauern nach gutem Wetter in die Apotheke schicken. Der Apotheker giebt dem Boten in einer Schachtel eine Hummel oder Horniß mit. Die Schachtel soll bis zur Heimkunft ungeöffnet bleiben, der Bote ist aber neugierig, zu wissen, wie das gute Wetter aussieht; er macht auf dem Wege die Schachtel auf, und als sein gutes Wetter nun fortfliegt, freut er sich, daß es den Flug nach seinem Orte hinnimmt.

Andere, mehreren Städten nachgesagte Pinselstreiche sind folgende. Mann ist in Verlegenheit, wie man einen Balken durch das Stadtthor bringen soll, da man das nur so zu bewerkstelligen meint, daß man ihn quergelegt hineinträgt. Da hilft ein Sperling aus der Noth, indem er mit einem Strohhalm hineinfliegt, den er der Länge nach vor sich hinhält.

Neun Männer haben gebadet. Sie zählen dann einander ab, ob nicht einer fehlt, und da der Zählende sich mitzuzählen vergißt, so sind es richtig nur acht. Einer muß also ertrunken sein, und betrübt wollen sie nach mehrmaliger Zählung nach Hause gehen und das Unglück melden, als ein Fremder ihnen den guten Rath giebt, die Nasen in den Sand zu stecken, worauf die neun Abdrücke sie beruhigen.

Man kauft einem Schwindler einen Kürbiß als Eselsei ab. Der Bürgermeister soll es ausbrüten – nach einer Weile entrollt ihm der Kürbiß in einen Busch, wo er einen Hasen aufscheucht, über den sich die Leute dann als über einen jungen Esel freuen.

Die Bauern wünschen ihre Kirche ein Stück fortzuschieben. Ein Spaßvogel räth ihnen, hinter der Kirche ihre Röcke und Jacken hinzulegen, damit sie sehen können, wie weit sie dieselbe fortgerückt haben. Als sie eine Weile geschoben haben, sind ihre Sachen verschwunden, und der Spaßvogel, der sie bei Seite geschafft hat, weiß sie zu überzeugen, daß sie die Kirche über den mit den Kleidern bezeichneten Punkt hinausgerückt haben.

Endlich heften sich an verschiedene Dörfer humoristische Sagen, nach denen deren Bewohner mit den Vorgängen bei der Feldwirthschaft völlig unbekannt sind, sodaß sie Salzsamen und sogar Kuhsamen säen und die Sense für ein Ungeheuer halten.

Aus dem Histörchen von dem Krebs entwickelten sich ähnliche Erzählungen von unbegreiflicher Unbekanntschaft mit der Thierwelt. Man sagte den Bauern eines und des anderen Dorfes nach, daß sie einen Krebs, einen Aal oder einen Frosch hätten ertränken wollen, und daß, als er lustig im Wasser gezappelt, einer von ihnen ausgerufen: „Seht, wie er sich quält!“ Man berichtet von einem anderen Orte, daß die Leute dort einen Hecht gefangen und, als er nach Wasser geschnappt, ihn für einen Singvogel gehalten und in einen Käfig gesperrt hätten. Man wußte von einer Bauerngemeinde, daß sie einen Müller-Esel für einen Storch angesehen hatte. Man neckte andere Dörfer dann, daß sie mit Wehr und Waffen gegen ein vermeintlich reißendes Thier ausgerückt seien, das sich zuletzt als Katze, Hase oder gar nur als ein im Weiher schwimmender Backtrog erwiesen habe.

Die Erfindung, die solche Thorheitsproben von den Nachbarn ersann, reichte nicht aus, der Necksucht dem nöthigen Stoff zu liefern, und so hat diese zu anderen Bezichtigungen ihre Zuflucht genommen, die geeignet waren, dem betreffenden Orte einen Makel anzuheften. Beinahe jedes Städtchen hat seinen Spitznamen. Ich denke dabei an die Eselsfresser, Räpplesfresser und Herrgottsbader süddeutscher Landschaften, an die „Muffrikaner“, welche die Perle von Meppen im Reichstage vertritt, an die „wendische Türkei“, an komische Deutungen gewisser Städtenamen, z. B. an die des Fleckens Wyk auf der Insel Föhr, das nach dem Gequiek eines Ferkels benannt sein soll, an Bezeichnungen von Orten nach den dort vorzüglich betriebenen Gewerben, z. B. „Kuhpege“ (Pegau in Sachsen) und „Pantoffelgroitzsch“ bei Leipzig, an solche Spitznamen ferner, die von eigenthümlichen Speisen hergenommen sind, wie derjenige der Diedenheimer im Elsaß, welche Mehldesch (von Mehlsuppe), derjenige der Augsburger, welche (nach einem Gebäck mit Aepfeln und Zwetschen) Datschen, und diejenigen der Bewohner einer Anzahl von Orten im Aargau, welche Krautstirzel, Kabisköpfe oder Schnitze heißen, endlich an die Rede, die von mehreren norddeutschen Städten geht, daß in ihnen „Füchse und Wölfe sich gute Nacht sagen“ oder daß dort „die Hunde mit den Schwänzen bellen“, was unter anderen von Buxtehude behauptet wird, aber, wie ich bezeugen kann, erlogen ist.

In einem zweiten Capitel werde ich nun die einzelnen mit solchen und ähnlichen Spöttereien bedachten Orte Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz anführen und dabei noch eine Fülle mehr oder minder hübscher Erfindungen des Volkshumors nachholen.




Ein riesiger Wohlthäter.


Als im Frühjahre 1792 der französische Botaniker de la Labillardière die Insel Vandiemensland besuchte, erregten vor Allem die riesenhaften Gummibäume, aus dem edeln Geschlechte der Myrthengewächse, welche dort Buchten und Schluchten mit ihrem herculischen Wuchse und ihrem aromatischen Dufte füllen, sein Interesse, und da er bei dem gemäßigten Klima ihrer Heimath annehmen durfte, daß sie die französische Luft vertragen würden, rieth er seiner Regierung, einen Anpflanzungsversuch zu machen, weil es ein schneller wachsendes und besseres Nutzholz auf der ganzen Welt nicht gäbe. Sein Vorschlag verhallte in den Revolutionswirren, und erst um die Mitte unseres Jahrhunderts richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit Südeuropas ernstlich auf die australischen Gummibäume, die, ihrer höchst schätzenswerthen Eigenschaften wegen seit zehn Jahren in allen Mittelmeerländern cultivirt, nach hundert Jahren vielleicht deren Landschaftsphysiognomie ebenso verändert haben werden, wie es im Alterthume Pinien und Platanen, seit Beginn der christlichen Aera die Orangenbäume, in der Neuzeit Agaven und Cactus gethan haben, sodaß auf jenen glücklichen Gestaden die Charakterpflanzen nicht weniger oft gewechselt haben, wie die Menschenstämme, unter denen Phönicier, Römer, Gothen und Mauren einander folgten.

Es war, wie gesagt, um die Mitte unseres Jahrhunderts, als der englische Botaniker Dr. Hooker und der Director des botanischen Gartens in Melbourne, Dr. Fr. Müller (ein Schleswig-Holsteiner), die Welt mit der Kunde überraschten, daß die australischen Gummibäume die hochragendsten Größen der Pflanzenwelt seien und ihre Wipfel sogar noch über die berühmten californischen Riesencedern erhöben. Lange galt ein Exemplar des jetzt im Südeuropa und Nordafrika vorzugsweise angepflanzten blauen Gummibaumes, welches Pemperton Walkott in einer reizenden Schlucht Westaustraliens entdeckt hatte, für den höchsten Baum dieses Welttheils. Derselbe besaß eine Höhe von vierhundert Fuß und bildete die ersten Seitenäste in einer Erhöhung von dreihundert Fuß über dem Boden, sodaß die meisten Kirchthürme Europas, ohne ihre Fahnen und Hähne zu beschädigen, darunter hinwegspazieren könnten; der hohle Stamm hatte am Fuße einen solchen Durchmesser, daß drei Reiter nebst Packpferden neben einander in demselben umwenden konnten. Dieser Gigant wurde aber bald durch neuentdeckte Stämme einer nahe verwandten Art, des sogenannten Pfefferminzbaumes, überholt, welche fünfhundert Fuß erreichten, mithin die Spitzen der höchsten Bauwerke der Menschenhand, die große Pyramide von Gizeh und das Straßburger Münster, beschatten könnten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_086.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)