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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nur Abends, in einem schlecht beleuchteten Locale gesehen; damals war er in Uniform, jetzt in ganz anderem Anzuge. Und wenn die Unmöglichkeit, daß er dem Tode entgangen, zur Möglichkeit geworden wäre, weshalb war er dann nicht nach Wilstorp gekommen, sein Recht dort geltend zu machen? Nein, nein, er konnte, er durfte es nicht sein, und mit diesen Gedanken eilte ich heim, um Rath und Zuflucht bei dem Rentmeister zu suchen, dem ich freilich meine innere Angst, daß dieser Mann wirklich Uffeln sein könne, gar nicht anzuvertrauen wagte; er hätte mir dann ja die niederschmetterndsten Vorwürfe gemacht, daß ich, der ihm den Tod Uffeln’s als eine ganz unbestreitbare und felsenfest stehende Thatsache dargestellt, ihn damit hintergangen und ihn durch leichtsinnige Versicherungen in einen betrügerischen Handel verstrickt. Nein, Fäustelmann durfte ich die ganze peinigende Angst, welche mich erfüllte, nicht durchschauen lassen, und so zog er denn aus, um bei Ihnen, Durchlaucht, Ermittelungen anzustellen – er kam mit der festen Ueberzeugung zurück, der Mann, der mit so kühner Stirn sich Uffeln nannte, müsse ein Emissär der Alliirten sein, der sich, um besserer Sicherheit willen, frech jenen Namen beigelegt habe. Auch ich suchte mich bei diesem Gedanken zu beruhigen, und da der Fremde für uns verschollen blieb, da er Tag um Tag vorübergehen ließ, ohne mit Rechtsansprüchen hervorzutreten, die er doch geltend gemacht hätte, wenn er sie irgend gehabt, wiegte ich mich in eine falsche Sicherheit ein, bis endlich gestern die Katastrophe hereinbricht …“

„Gestern bereits? Und was ist da geschehen?“

Gestern, um die Dämmerung – eben wurde meine Verlobung mit Fräulein Adelheid gefeiert – da steht plötzlich, wie aus dem Boden emporgewachsen, dieser Herr von Uffeln vor uns und sagt mit spöttischer Ruhe, daß er bedauere, einen Mißton in den Einklang einer schönen Feststimmung gemüthreicher Menschen werfen zu müssen. Er sei nämlich Ulrich Gerhard von Uffeln, mit Herrn von Mansdorf zu gesammter Hand belehnter Vasall von Haus Wilstorp, und obwohl er auch nicht den geringsten Beweis dafür, nicht den kleinsten Fetzen von einem urkundlichen Papier, um sich zu legitimiren, habe, fordere er doch in größter Gemüthsruhe mich auf, ihm in’s Auge zu blicken und ihm zu sagen: er spreche eine Lüge.“

„Welche Scene!“ rief Prinzessin Elisabeth aus.

„Welche Scene in der That! Ich brauche die Verwirrung, die Ueberraschung, die Rathlosigkeit, das wilde Hin und Her, welches folgte, nicht zu schildern; ich könnte es auch nicht; ich war mehr todt als lebendig. Nur das Eine war mir klar: daß ich wirklich und wahrhaftig Uffeln vor mir hatte. Ich erkannte ihn jetzt; ich erkannte den Ton seiner Stimme, die breiten Lider seiner Augen, die mir schon damals in Spanien aufgefallen waren; ich erkannte ihn, ohne daß ich hinzuhören brauchte auf das, was er über die Art und Weise angab, wie er dem Füsilirtwerden entgangen sei. Ich war ja auch viel zu bestürzt, viel zu sinnberaubt dazu. Ich ließ mich willenlos von dem Rentmeister bei Seite ziehen, der mir zuraunte:

‚Seien Sie ein Mann! Weichen Sie keinen Fingerbreit! Nur um Gotteswillen den Kopf nicht verloren. Er gesteht selbst, keine Spur von einem Ausweise zu haben. Also bieten Sie ihm die Stirn, bis ich ihn unschädlich gemacht habe. Und dafür soll auf der Stelle gesorgt werden.‘

Und danach eilte er davon …“

„Um eine Denunciation anzubringen?“

„Gewiß, dazu …“

„Aber ich bitte Sie,“ unterbrach die Prinzessin Falstner, „was trieb den Rentmeister so, Ihre Sache als die seinige zu betrachten und, ohne zu untersuchen, gegen den echten Uffeln so leidenschaftlich Partei zu ergreifen? Er fürchtete, daß Sie, entlarvt, ihn als Ihren Verführer anklagen würden?“

„Ich weiß nicht, ob das allein. Er hätte dann ja leugnen können. Seine Triebfeder war ja eine andere, glaube ich, eine schon lang gehegte Berechnung des Eigennutzes. Ich war sein Geschöpf, er konnte mich zwingen, ihm um einen Spottpreis meinen Antheil am Gute zu überlassen, und ich zweifle nicht, daß das seine Absicht war, sobald er mich mit Fräulein Adelheid vermählt sah … den Antheil Mansdorf’s hätte er dann auch unter den leichtesten Bedingungen an sich gebracht.“

„Der abgefeimte Schleicher!“ rief die Prinzessin empört aus. „Und was wurde weiter?“

„Fragen Sie mich nicht! Ich weiß nur, daß ich zunächst Rettung vor den Augen, vor den Fragen der mich bestürmenden Menschen suchte, daß ich mich flüchtete, daß ich mich stundenlang im Walde umhertrieb und dann heimschlich, um in der frühesten Frühe mit den wenigen Habseligkeiten, an denen mein Herz hing, von Haus Wilstorp zu verschwinden, bevor noch eine Menschenseele dort erwacht sei und meinen Abzug beobachten könne. Ich führte dies in der Morgenfrühe glücklich aus. Kaum aber hatte ich das Haus verlassen und schlug eben den nach Idar führenden Weg ein, als ich zwei Gensd’armen in die Hände fiel, die mir entgegengeritten kamen und mich anhielten.

‚Wohin – wer sind Sie? Wir haben einen Verhaftsbefehl gegen Sie. Wie heißen Sie?‘ wurde ich angefahren.

Ich antwortete, indem ich meinen wahren Namen Falstner angab; daß ich mich Uffeln genannt, daß ich Officier in Spanien gewesen, gab ich dann zu, und darauf wurde ich verhaftet und nach Idar gebracht, und von da zurück zu dem geheimen Waffendepôt, bei dessen Erhebung ich zugegen sein sollte –“

„Und Sie protestirten nicht dagegen, daß Sie mit diesem Depôt etwas zu schaffen haben, daß Sie ein Emissär seien?“

Nein, ich protestirte nicht. Indem ich schwieg und mich als den Schuldigen behandeln ließ, schützte ich Uffeln vor der Verfolgung und Verhaftung. Es war das Einzige, was ich thun konnte, um den Betrug zu sühnen, zu dem ich mich hatte verführen lassen.“

„O, das ist edel von Ihnen,“ rief die Prinzessin aus. „Das ist edel und groß und versöhnt mich mit Ihnen. Aber wissen Sie, welchem Schicksale Sie sich dadurch aussetzen?“

„Freilich – dem Tode. Und ich will nicht unwahr sein, mir nicht die Miene geben, als fürchte ich den Tod nicht. Nein, ich fürchte ihn, und deshalb werde ich Alles aufbieten, ihm zu entgehen, sobald ich annehmen darf, daß Herr von Uffeln volle Zeit gehabt hat, sich zu retten. Man wird mich in die nächste Festung senden und dort vor eine Commission stellen; ich werde dort die Wahrheit sagen und mich vertheidigen, so gut ich kann und bis auf’s Aeußerste. Und jetzt, Durchlaucht, wissen Sie Alles – wollen Sie zu Fräulein Adelheid von mir reden?“

„Ich will es. Sie soll erfahren, was Sie entschuldigt, und auch das, was Sie wieder zu Ehren bringt – Alles, sie soll versöhnt an Sie denken. Wenn ich Ihnen zum Abschiede meine Hand gebe, zum Zeichen, daß ich Sie nur noch bemitleide, so mögen Sie darin im Geiste auch die Hand Adelheid’s erblicken, die Ihnen verzeiht.“

„Ich danke Ihnen aus voller Seele,“ antwortete Falstner, indem er die Hand der Prinzessin an die Lippen führte. –

„Ich glaube,“ sagte hier die Stimme des Präfecten, der herantrat, „es kommt die lange Unterredung der Herrschaften endlich zu einem Schlusse; ich müßte wenigstens darum bitten, Durchlaucht.“

Die Prinzessin wandte sich mit einer leichten Kopfneigung rasch von Falstner ab und schritt zu ihrem Vater zurück. Der Präfect gab dem Gensd’armen einen Wink, und Falstner kam diesem entgegen, um sich von ihm abführen zu lassen.

„Sie sind so rücksichtsvoll und milde, wie es Ihnen die Pflicht erlaubt, gegen den Unglücklichen, nicht wahr, Herr Präfect?“ sagte Prinzeß Elisabeth dann zu den Beamten.

„Da er das Glück hat, eine solche Fürsprecherin zu besitzen, so zweifeln Sie nicht daran!“ versetzte lächelnd der Präfect.

„Dann,“ fiel der Fürst ein, „trüben wir diese Ihre gute Stimmung nicht, indem wir Ihre kostbare Zeit noch länger in Anspruch nehmen.“

„Als ob ich nicht ganz und völlig zu Ihren Diensten stände, mein Fürst!“ sagte der Präfect mit einer Verbeugung und setzte dann hinzu: „Bevor Sie gehen, lassen Sie mich eine Bitte an Sie richten!“

„Verfügen Sie über mich!“

„Falls Sie in Ihrer Gegend – Sie wohnen ja, denke ich, schon so viel weiter östlich – falls Sie dort irgend eine sichere Kunde erhielten, daß sich diesseits der Weser Kosaken gezeigt, so lassen Sie es mich sofort wissen – sofort – senden Sie mir eine Estafette! Wollen Sie?“

„Wenn Sie es wünschen – gewiß.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_051.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)