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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 3.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.


Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Die junge Dame trat in das offene Hofthor der Schloßmühle. Eine Schaar Hühner, die, einer Spur verstreuter Getreidekörner nachgehend, eben auf den Fahrweg hinausspazieren wollte, stob gackernd vor ihr auseinander, und die Hofhunde fuhren mit wüthendem Gebelle aus ihrem trägen Halbschlummer empor. Wie floß das neue Frühlingssonnenlicht goldglänzend über die Mauern des alten, prächtigen Hauses, deren gewaltige Quadern vor alten Zeiten unter den Augen des fürstlichen Erbauers aufeinander gethürmt worden waren! Vorgestern erst war die letzte dicke Eiszacke klingend von dem aufgesperrten Löwenrachen der blechernen Dachrinne gefallen, und heute zitterte und flimmerte die Luft über dem sonnenerhitzten Schiefer des Daches. Aus den dicken, braunen Knospen der Kastanien quoll das Harz und ließ sie glitzern, als seien sie mit Diamantenstaub bestreut; ein paar Töpfe mit halbverkümmerten Stubenpflanzen standen, zum ersten Male wieder in die laue freie Luft gerückt, vor dem einen Fenster der Knappenstube, und auf dem hölzernen, ausgetretenen Freitreppchen, das von dieser Stube direct in den Hof führte, saß ein weißbestäubter Müller und schnitt sich tüchtige Brocken von Brod und Käse.

„Mohr! Wächter!“ rief die junge Dame mit schmeichelnder Stimme über den Hof hinüber. Die Hunde geberdeten sich wie toll und rissen winselnd an der Kette.

„Was wünschen Sie?“ fragte der Müller, sich schwerfällig erhebend.

Sie lachte leise in sich hinein. „Ich wünsche gar nichts, Franz, als Ihnen und Suse guten Tag zu sagen.“

Im Nu flogen Brod, Käse und Messer hinter das Treppengeländer. Der Mann war nicht groß. Er war kleiner als das junge Mädchen – er sah sprachlos in das blühende Gesicht, das er zum letzten Male gesehen, wie es, noch nicht einmal in der Höhe seiner breiten Schultern, auf einem schmächtigen Kindeskörper gesessen; sie hatte „das Müllermäuschen“ geheißen und war ihm in der Mühle und auf dem Kornboden, in der That quecksilbern wie eine Maus, auf Schritt und Tritt nachgehuscht – und jetzt war sie die Herrin hier, und er, der ehemalige Obermüller, ihr Pächter. „Curios,“ sagte er, in unbeholfener Verlegenheit den Kopf schüttelnd, „die Grübchen in den Backen und die Augen sind’s noch, aber, aber das unmenschliche Wachsthum!“ Er ließ seine Augen scheu und ungläubig messend an der hohen Gestalt emporgleiten. „Na ja, da hat eben der Trieb von der Sommers-Großmutter her dahinter gesteckt; die war auch so wie Milch und Blut und – „wollt ihr wohl still sein, ihr Racker!“ unterbrach er sich scheltend und drohte mit der Faust nach den unaufhörlich bellenden Hunden. „Die Schlingel kennen Sie wirklich noch, gnädiges Fräulein –“

„Besser als Sie; das ‚unmenschliche Wachsthum‘ hat sie nicht irre gemacht,“ versetzte sie, zu den Hunden tretend und die hoch an ihr aufspringenden Thiere streichelnd. „Sie tituliren mich ja wunderlich, Franz. Ich bin nicht avancirt in Dresden, das kann ich Ihnen versichern.“

„Aber die Fräuleins drüben in der Villa lassen sich ja auch so benennen,“ sagte er mit steifem Nacken und starrköpfig.

„Ah so!“

„Und Sie sind doch zehnmal mehr. So jung und schon so reich, so unmenschlich reich! Die Mühle da, die schönste weit und breit – Sapperment, das will was heißen! Herrje – nur ein Mädchen, und kaum achtzehn Jahre alt, und das Commando über eine solche Mühle!“

Sie lachte. „Das steht mir allerdings zu, und ich will Ihnen das Leben schon sauer machen, alter Franz. … Wo steckt denn Suse?“

„Die hat Stubenarrest, hat’s wieder einmal in der rechten Seite, das arme, alte Frauenzimmer. Die Hausmittel wollen nicht mehr recht verfangen. Doctor Bruck ist eben bei ihr.“

Die junge Dame reichte ihm die Hand und trat sofort in das Haus. Die schwere Bohlenthür fiel rasselnd, mit gellendem Geklingel hinter ihr zu, und der Lärm hallte von allen vier Wänden des weiten Flurs zurück. … Unter den Füßen der Eingetretenen schütterte der Boden sehr stark. Das Tosen und Stampfen des Mahlwerkes dröhnte dumpf durch die kleine, klaffende Thür im gewölbten Steinbogen, und der Duft des frisch zermalmten Kornes füllte kräftig durchdringend die Luft. In tiefen Zügen sog ihn das junge Mädchen ein – eine ganze Fluth von Erinnerungen überwältigte sie; sie wurde blaß vor innerer Bewegung und blieb mit gefalteten Händen einen Augenblick stehen. Ja, sie war um Alles gern in der alten Mühle „herumgekrochen“, wie die Präsidentin von ihr sagte, und der Papa hatte ihr oft genug den Mehlstaub von Zöpfen und Kleidern geklopft – er hatte sie lächelnd „sein weißes Müllermäuschen“ genannt. Der finstere Mann, ihr Großvater, der meist von dort oben, über das Treppengeländer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_041.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)