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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Zu heiß im Saale!
Aus dem Album „Der erste Ball“ von K. Koegler.


habe Reporter gesehen, die sich kaltblütig ihre Bleifedern spitzten, als in ihrer Gegenwart von erregten Männern der Vorschlag gemacht wurde, sie jämmerlich durchzuprügeln, weil ein von ihnen verfaßter Bericht Mißfallen erregt hatte. Und der echte Reporter ist gewandt. Nicht nur daß er Berichte über Reden in französischer, italienischer, deutscher und skandinavischer Sprache ziemlich getreu anfertigt, obwohl er selbst meisthin nur Englisch versteht, er beschreibt Morgens eine Dampfmaschine, Mittags die Blumenausstellung, berichtet Nachmittags über eine politische Versammlung und kritisirt Abends die italienische Oper. Tief geht sein Wissen natürlich nicht, aber so wenig er auch von dem einen oder andern Dinge versteht, er besitzt doch die Fähigkeit, sich über Alles schnell und leichthin zu informiren.

Der amerikanische Reporter steht mit Jedermann auf gutem Fuße. Er drückt dem Polizeipräsidenten und wenige Minuten darauf dem Spielhöllenbesitzer die Hand. Er wandert direct von der Hinrichtung eines Mörders zur Prüfung in einer höheren Mädchenschule. Er hat ein Herz, sogar ein großes, aber er hat gelernt, es nach Bedarf in Bewegung oder in Ruhe zu versetzen. So lange er im Dienste ist – und er ist immer im Dienst – giebt es für ihn nur das eine Wort: Neuigkeiten. Allerdings setzt ihn die Zeitung, für die er arbeitet, in die Lage, Neuigkeiten zu erhaschen. Vor Kosten, und seien sie noch so bedeutend, ist eine amerikanische Zeitung noch nie zurückgeschreckt, wenn es gilt, etwas Interessantes zu erfahren. Der bedeutendste Vorzug des amerikanischen Reporters aber ist, daß er zu schreiben versteht. Dem unbedeutendsten Dinge weiß er eine interessante Fassung zu geben. In den meisten steckt etwas von Mark Twain oder Bret Hart, eine stark ausgeprägte humoristische Ader, die überall zum Durchbruche kommt. Ein amerikanischer Bericht zeichnet immer gleich den Hintergrund, auf dem sich die Dinge abspielen. Er liefert ein kleines Genrebild, das oft ein längeres Leben verdient, als den Augenblick, für den es ursprünglich bestimmt war.

Daß sich neben so vielem Lichte auch sehr viel Schatten finden muß, liegt auf der Hand. Gesinnung irgend welcher Art wird man bei einem amerikanischen Reporter vergebens suchen, es sei denn, daß er sich schon einen Namen gemacht hat. Gewisse Zeitungen, wie z. B. die „Chicago-Times“, die als der Typus der schmutzigsten Journalistik gelten darf, bilden ihre Reporter zu Spionen aus, die sich in das innerste Familienleben drängen und schon oft unsägliches Unheil angerichtet haben. Die Sucht, es einander zuvorzuthun, hat jene an und für sich ganz hübsche Erfindung der Unterredungen so ausarten lassen, daß sie zu einer wahren Landplage geworden sind.

Was aus dem Reporter wird? Oft ein hervorragender Politiker; häufig arbeitet er sich in der Presse bis zum Sessel des Chefredacteurs hinauf. Man begegnet ihm als dem Geschäftsführer bei Theatergesellschaften, im Circus und bei verwandten Unternehmungen, weil seine Bekanntschaft mit der Presse ihn werthvoll macht. Die Zahl Derer, welche in andere Berufskreise übergehen, ist nicht sehr groß. Nicht gering aber sind Diejenigen vertreten, denen die aufreibende, Körper und Geist ermüdende und anstrengende Thätigkeit ein frühes Grab bereitet. Man macht nicht ungestraft zehn Jahre lang die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht, besonders nicht, wenn einem die Gelegenheit zur Befriedigung der nationalen Neigung zu geistigen Getränken so leicht und so kostenfrei geboten wird, wie dem amerikanischen Reporter.




Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.

8. Intendanten und Directoren.

Die Stellung eines Bühnenleiters ist eine hoch verantwortliche in mehr als einer Beziehung. Der Leiter einer Bühne ist verantwortlich der Kunst, den Dichtern, den Künstlern, sich selbst und – leitet er ein Institut von hohem Range – sogar der Nation. Wohl müssen, um eine Nationalbühne zu schaffen, verschiedene Kräfte zusammenwirken. Der wohlwollende Staat vermag das Meiste und Beste zu thun. Die Leugnung der Würde der Bühne von Seiten des Staates ist der Anfang vom Ende des letzteren. Nicht weniger maßgebend neben dem Staate sind aber auch die Dichter und die Bühnenleiter. Diese drei sind es, von welchen man eine Blüthezeit der dramatischen Kunst zu hoffen hat und die ersten Schritte zur Neuschaffung derselben fordern darf. Der Einfluß des ausübenden Künstlers steht erst in zweiter, der des Publicums gar erst in dritter Linie. Das, was der ausübende Künstler giebt, wird immer den Dichter und bei aller Wahrung der Selbstständigkeit des subjectiven Talentes – den Bühnenleiter widerspiegeln. Das Zusammenspiel nun gar liegt ganz in der Hand des Bühnenleiters, denn er ist entweder selbst sein Regisseur oder trifft doch die Wahl desselben und trägt also auch die Verantwortung. Und das Publicum? – Das Publicum, ich wage es zu behaupten, läßt sich erziehen zum Guten, wie zum Bösen, womit nicht gesagt sein solle daß seine Erzieher nicht geschickte Pädagogen von Herz und Kopf sein müssen.

Die Bühnenleiter, d. h. die Intendanten und Directoren, sind auf’s Engste mit der Naturgeschichte des deutschen Komödianten verwachsen. Wir widmen ihnen daher in dieser Artikelreihe ein Viertelstündchen ernster Betrachtung und scherzhafter Beleuchtung.

Beginnen wir mit den Intendanten! Die Hoftheater-Intendanten konnten natürlich nicht früher da sein als die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_809.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)