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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 48.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Englisches Gold! Das brachte eine Ideenverbindung hervor, in der etwas wie eine Aufklärung lag. Das englische Gold war damals überall da, wo es sich um Anstrengungen und Agitationen wider die französische Macht handelte; englisches Gold war wie das Blut, das durch die Adern der allgemeinen Empörung pulsirte, die sich gegen den großen Verderber erhoben hatte, und so war der Fremde vielleicht auch eines der Werkzeuge des großen Weltkampfes, ein Werkzeug, das sich noch verborgen hielt, vielleicht im Verborgenen wirken, vielleicht auch eine bestimmte Stunde abwarten sollte, bis die Zeit des Wirkens da war.

Das waren die Gedanken, welche in Prinzessin Elisabeth aufstiegen, als die Meyerin ihr von dem englischen Golde sagte, obwohl es dann wieder sehr räthselhaft wurde, wie der Fremde in Spanien mit dem Anerben dieses Hofes zusammengetroffen sein konnte, der doch dort unter französischen Fahnen diente.

„Hat er Euch nichts von Eurem Sohne erzählt,“ fragte sie deshalb, „wie und wo er mit diesem zusammengekommen?“

Die Meyerin schüttelte den Kopf. „Der Meyer,“ antwortete sie, „sagt, er habe ihm wohl allerlei erzählt, wie sie in einer Stadt zusammen im Quartiere gelegen, in einem Platze, wo die Engländer die Herren gewesen und wo sie unseren Anton als Gefangenen gehabt, den sie doch nachher den Franzosen wieder herausgegeben, aber weiter habe ich nicht viel davon begreifen können, und der Meyer wohl auch nicht. Aber meiner Seele, das ist ja der Herr selbst, der dort über die Laufbrücke kommt!

Die Prinzessin schaute auf; sie sah in der That den Fremden über die schmale Holzbrücke herankommen, welche drüben an der anderen Seite des Hauses über den Fluß führte; er ging langsam, die Hände auf dem Rücken, die Blicke nachdenklich auf den Boden gerichtet. Als er dann, sein Haupt wie zufällig erhebend, die Prinzessin wahrnahm, richtete er seine Schritte geradenwegs auf sie zu, ohne die letzteren doch im geringsten zu beeilen oder zu verlangsamen.

Die Prinzessin fühlte, daß sich ihre Farbe ein wenig veränderte, als sie den Mann, mit dem sich ihre Gedanken so viel beschäftigt hatten, jetzt unerwartet vor sich treten sah, und das Gefühl, daß sie erröthete, nahm ihr etwas von ihrer sonst nicht leicht zu erschütternden Unbefangenheit. Dazu kam, daß er seine unter den breiten Lidern halbverschleierten Blicke mit nichts weniger als dem Ausdrucke großer Ehrfurcht, sondern ganz keck und verwegen und so wenig demüthig auf ihr ruhen ließ, als ob er eine von des Meyers Hofmägden vor sich sehe.

Er zog seinen Hut jedoch mit einer sehr galanten weltmännischen Verbeugung und ließ sich ruhig auf den Stuhl, den die Meyerin ihm hinstellte, nieder, indem er sagte:

„Ich bin sehr glücklich Sie zu sehen, Durchlaucht; wie glücklich, das kann ich Ihnen freilich nicht deutlich machen; dazu müßten Sie, wie ich, den ganzen Tag Geschichte studirt und mit Ihren Gedanken sich in eine todte Welt eingewühlt haben, um dann, aus diesem Versunkensein erwachend, die grauenhafte Leere Ihrer Gegenwart, der stillen Kötterwelt um Sie her, zu fühlen. Dann erst würden Sie das Gefühl verstehen können, mit dem ich hier ein Stück lebendigen, reizenden Lebens finde, das nun plötzlich alle Schatten der Vergangenheit vor einer einzigen Gestalt der Gegenwart die Flucht ergreifen läßt. Seien Sie gesegnet dafür, obwohl Sie gewiß nicht mit solcher Absicht herkamen!“

„Nein,“ versetzte die Prinzessin lächelnd, „ich kam nicht mit der Absicht her, solch metaphysische Complimente zu ernten, auch nicht in der Erwartung, Jemand in unserer bewegten Zeit von der ‚Leerheit unserer Gegenwart‘ reden zu hören …“

„Davon redete ich nicht; ich sprach von der grauenhaften, gottverlassenen Leere der Welt um mich her und verstand darunter nicht die Gegenwart überhaupt, sondern zunächst nur den Bering einer ärmlichen Kötterei, in welcher ich lebe.“

„Hindert Sie etwas diesen Bering zu verlassen und für die Gegenwart zu leben, da, wo sie eben aller männlichen Kräfte zu ihren Kämpfen bedarf?“

„Es muß wohl so sein, Durchlaucht,“ versetzte er leise mit dem Kopfe nickend. Und dann nach einer Pause setzte er hinzu: „Ich bin sehr lange im Kriege gewesen; ich habe den Krieg in seiner herzzerreißendsten Gestalt kennen gelernt; ich war in Spanien und habe dort Monate lang die heißesten aufreibendsten Kämpfe mit den Guerillas durchfechten helfen müssen; ich habe Scheußlichkeiten angesehen, bin durch Blutlachen gewatet, habe mich durch Feuer und Flammen schlagen müssen – das war endlich nicht mehr auszuhalten; ich gerieth in einen Zustand von innerem Elend, von Empörung über dieses Leben, das ich zu führen gezwungen war, und nahm es als eine wohlthätige Erlösung auf, als ich endlich wegen eines Subordinationsvergehens –“

„Sie hatten Ihren Cameraden durch den Kopf geschossen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_797.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)