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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Skuptschina-Majorität einstand, waren die Bauern in die Parlamentshütte hineingeströmt.

Sie setzten sich nach Kreisen. Jeder der siebenzehn Landeskreise hatte seinen eigenen Raum in der Parlamentshütte, innerhalb dessen die Deputirten des Kreises ihre Plätze nahmen. Ein auf der Bank haftender Papierstreifen nannte den Männern den Kreis und ihren Sitz. Die Ueberschau, die der männererfüllte Raum bot, war, dank den vielen schönen Erscheinungen eine wahrhaft eigenthümlich imponirende.

Da saßen sie wirklich in großer Menge, alle die Männer, denen ich in den letzten Tagen so oft, auf der Terazia, in den Cafés, allüberall in Belgrad, begegnet war, in ihren bunten Jacken, groben Kleidungsstücken, in Fez und Kugelfilzhüten, ganz erhaben über alle parlamentarische Kleiderordnung.

Unter fünfhundert Abgeordneten kein einziger Frack, kein einziges Ordensbändchen, keine Uniform, keine Medaille, kein Kreuzlein auf einer Brust! Ich freute mich ordentlich des seltenen Anblicks von Parlamentsmännern, von denen nicht wenige ihre für das Vaterland schlagende Brust ganz entblößt offen präsentirten, andere wieder das grobe Linnen an Hemd und Gattie anspruchslos dem Blicke preisgaben, wieder Andere mit höchst mangelhafter Fußbekleidung dasaßen – ich freute mich dieses originellen Parlaments im Negligé.

Wenn nur nicht der bizarre Contrast bald nachgefolgt wäre! Der bizarre Contrast, den die erhöhte Estrade, gegenüber der männerehrenden Versammlung darbot!

Da nahmen alsbald in schweren, plumpen Lehnstühlen die Mitglieder des serbischen „Senats“ Platz, fast Jeder von ihnen einen großen Orden tragend, der Eine Aachats, der Andere einen Großcordon um den Hals, alle, alle mit Ordensbändern auf der Brust oder im Knopfloche, alle, alle im schwarzen Fracke, alle, alle in hohen weißen Binden und gelben Handschuhen und mit dem schwarzen Cylinder in der Hand. Mit einem Male war ich wieder aus der interessanten, patriarchalischen Skuptschina in die gewöhnliche Langweiligkeit eines civilisirten Parlaments zurückversetzt. Man kann sich nichts Grelleres denken, als den Contrast zwischen der Bauernversammlung da unterhalb der Bretterestrade und den eitel aufgeputzten, in weißen Cravatten und mit Orden paradirenden Senatoren auf der Estrade oben, nichts Grelleres, als die primitive, kahle Parlamentsbude und die üppig geschmückten Senatorenbrüste und Senatorenhälse. Und dazu noch, um die Bizarrerie nur noch zu erhöhen und auf die Spitze zu treiben, das auf einer Tribüne zunächst der Estrade höchstthronende Corps der Generalconsuln, in gestickten, geschmacklosen Uniformen und in goldenen Krägen.

Kaum, daß ich mich von dem Contrasteindrucke erholt haben mochte, trat schon ein neuer schwarzer Frack an den „Tisch des Hauses“ und eröffnete die Skuptschina. Es war dies Herr Karabiberovitsch, der in den letzten Tagen von den Skuptschinesen unter den Zelten designirte Präsident.

Er konnte schreiben, lesen, rechnen (er ist ja „Banquier“ in Belgrad!), hatte einen schwarzen Frack, und ein feines, weißes Hemd, war schön ausrasirt im Gesichte – wie sollte er nicht Präsident werden? Er redete die Herren per „Brüder“ an und setzte ihnen schlecht und gerecht die Ursache ihrer Einberufung auseinander. Nachdem er gesprochen, waren die Männer der provisorischen Regierung eingetreten: Blaznavac, Ristitsch, Gavrilowitsch und Marinowitsch.

Blaznavac, eine militärisch imponirende Erscheinung, mit ausdrucksvollem, schönem Kopfe und hoher Würde des Auftretens; Marinowitsch, der obenerwähnte glückliche Schwiegersohn des reichsten Serben Mischa, ein jüngerer Mann mit intelligenten Zügen und energischem Blicke; Ristitsch, durch und durch ein echt slavischer Typus. Der ordenüberfüllte Marinowitsch las eine Art von Thronrede vor, kühl bis an’s Herz hinan. Erst als er schließlich von der nothwendigen Proclamirung eines Fürsten sprach und den Namen des jungen Milan Obrenowitsch über die Lippen brachte, brachen die ersten „Zivios“ und „Hurrahs“ los und wuchsen dann rasch zu einer lärmenden Demonstration an.

Mir schien es, als wollte Marinowitsch nicht zu viel der Loyalität in der Versammlung aufkommen lassen, denn so oft nun der Lärm ihm zu stark wurde, machte er gewisse abwehrende Handbewegungen, die gleichsam ein „Genug! genug!“ bedeuten sollten und mir sehr sonderbar vorkamen. Als er geendet hatte und von dannen geschritten war, hatte er diese Handbewegung nicht nöthig – kein einziges „Zivio“ folgte ihm. Der Mann war schon dazumal nicht sehr beliebt und ist es auch heute noch nicht, was ihn aber nicht abhielt, bis auf die letzte Zeit herab eine große, entscheidende Rolle als Minister der conservativen Fraction zu spielen, eine Rolle, die er erst jüngst beim Sturze des Cabinets Ristitsch wiederum gespielt hatte.

Nun waren auch noch andere Männer der Skuptschina als Redner aufgetreten: Advocat Neditsch, ein trockener, scharf pointirender Redner, ferner ein Bauer aus Kragujevac, ein klarer Kopf, der sich den Teufel um die schwarzen Fracks und weißen Binden kümmerte und auf seinesgleichen mit mimischer Hastigkeit losredete, und ein Pope, eine jener interessanten Gestalten des orthodox-griechischen Clerus, mit schwarzem, tief herabwallendem Haupthaare und schönem langem Barte, wie die Skuptschina ihrer nicht wenig hatte.

Nachdem diese Herren ihre wenig auseinandergehenden Ansichten über die Fürstenwahl auseinandergesetzt, forderte Herr Karabiberowitsch die Entscheidung. Nun erdröhnte die mächtige Halle von einem wahren Sturm von „Zivios“. Milan Obrenowitsch war feierlichst einstimmig zum Fürsten ausgerufen. Einfach und kurz, ging nun eine Deputation von Skuptschinesen den jungen Milan gleich holen. Sie hatte nicht gar zu weit; am Toptschiderhügel harrte schon der junge Fürst der frohen Botschaft. Unter Kanonendonner und Musik und militärischem Geleite zog er alsbald in die Parlamentshütte ein, ein schmucker Junge in Oberstuniform, freundlich die Männer alle anlächelnd, die ihn zum Fürsten erkoren. Und dann bestieg er, den treuen (seitdem verstorbenen) Blaznavac zur Seite, die Estrade und sprach:

„Gott zum Gruße, Brüder! Ich bin noch jung, aber ich will lernen, ein treuer Führer Serbiens zu werden. Ich vertraue mich Euch und dem Volke an.“

Das war wenig und doch viel gesagt; die schlichten Worte, so treuherzig herausgebracht, wogen eine große Thronrede auf.

Der Effect war aber auch ein überwältigender; die Männer jubelten, warfen ihre Mützen in die Höhe, sprangen auf die Bänke, entwickelten einen ganz ungebändigten Enthusiasmus. Dann ward gleich die Regentschaft durch Acclamation gewählt, bestehend aus Blaznavac, Ristitsch, Gavrilowitsch; es wurde im Nu aus dem Präsidententisch ein Altar improvisirt; Kerzen wurden angezündet und Fürst und Regentschaft allsogleich beeidet. Die ganze Skuptschina sang dabei laut das Kirchenlied mit, das der Metropolit anstimmte, und das Kreuz machte die Runde.

Milan küßte darauf dem Metropoliten die Hand, rief der ganzen Versammlung ein lautes kräftiges „S bogem!“ („Mit Gott!) zum Abschied zu und schritt als Fürst von Serbien von „Zivios“ umrauscht, aus der Parlamentshütte hinaus.

Belgrad aber nahm die schwarzen Fahnen von seinen Häusergiebeln und steckte die roth-blau-weißen auf.

Die denkwürdigste Parlamentssitzung, der ich je angewohnt, war zu Ende.




Die Bergfahrt eines Monuments.


Der letzten Aufführung des weltbekannten Oberammergauer Passionsspieles im Herbst 1871 hatte auch Baierns kunstsinniger König Ludwig der Zweite beigewohnt und den Entschluß gefaßt, als Anerkennung für die vortrefflichen Leistungen der Spielenden und zur Erinnerung an das Passionsspiel von 1871 dort ein Kreuz aufrichten zu lassen, welches „weithin Kunde geben solle von dem frommen Sinn der den Sitten der Väter treu gebliebenen Oberammergauer“.

Mit der Ausführung der Kreuzigungsgruppe wurde noch im Herbst desselben Jahres der berühmte Münchener Bildhauer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_775.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)