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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


reden, „ist es ein Vierteljahrhundert, daß mein ‚Leben Jesu‘ zum ersten Male in die Welt ausgegangen ist. Die Theologen werden das fünfundzwanzigjährige Jubiläum dieses Buches schwerlich feiern wollen, ungeachtet es mehr als Einem von ihnen erst zu allerlei hübschen Gedanken, dann zu Amt und Würden verholfen hat. Aber gar mancher bessere Mensch in allen Landen, der von dem Studium dieses Buches seine geistige Befreiung datirt, ist mir, das weiß ich, lebenslänglich dankbar dafür und macht so, ohne daran zu denken, im Stillen die Feier mit. Ich selbst sogar könnte meinem Buche grollen, denn es hat mir (von rechtswegen! rufen die Frommen) viel Böses gethan. Es hat mich von der öffentlichen Lehrtätigkeit ausgeschlossen, zu der ich Lust, vielleicht auch Talent besaß; es hat mich aus natürlichen Verhältnissen herausgerissen und in unnatürliche hineingetrieben; es hat meinen Lebensgang einsam gemacht. Und doch, bedenke ich, was aus mir geworden wäre, wenn ich das Wort, das mir auf die Seele gelegt, verschwiegen, wenn ich die Zweifel, die in mir arbeiteten, unterdrückt hätte, dann segne ich das Buch, das mich zwar äußerlich schwer beschädigt, aber die innere Gesundheit des Geistes und Gemüthes mir und, ich darf mich dessen getrösten, auch manchen Anderen noch erhalten hat. Und so bezeuge ich ihm denn zu seinem Ehrentage, daß es geschrieben ist aus reinem Drang, in ehrlicher Absicht, ohne Leidenschaft und ohne Nebenzwecke, und daß ich allen Gegnern wünschen möchte, sie wären, als sie dagegen schrieben, ebenso frei von Nebenabsichten und Fanatismus gewesen. Ich bezeuge ihm ferner, daß es nicht widerlegt, sondern nur fortgebildet worden ist, und daß, wenn es jetzt wenig mehr gelesen wird, dies daher kommt, daß es von der Zeitbildung aufgesogen, in alle Adern der Wissenschaft eingedrungen ist. Ich bezeuge ihm endlich, daß die ganzen fünfundzwanzig Jahre her über die Gegenstände, von denen es handelt, keine Zeile von Bedeutung geschrieben worden ist, in der sein Einfluß nicht zu erkennen wäre.“

(Schluß folgt.)




Nordische Gäste.
Mit Abbildungen.


Seit mehreren Jahren werden in Deutschland und Oesterreich einige Lappländer mit einem oder zwei Rennthieren gezeigt, die – jedenfalls um mehr Aufsehen zu erregen – ganz wie Eskimos gekleidet sind und mit Waffen einherschreiten, welche von den Lappländern keineswegs getragen werden. Sie geberden sich obendrein mit so affectirter Wildheit, daß der Unkundige durch alles Das einen ganz falschen Begriff von diesem Volke bekommen muß. Weil nun wissenschaftliche Vereine, sowie einzelne Gelehrte nicht bezweifeln konnten, hier wirkliche Lappländer vor sich zu haben, obgleich sie dabei die äußerliche Fälschung, wie dies in Leipzig geschah, ausdrücklich aussprachen, so wird mit dieser scheinbaren Anerkennung Reclame gemacht und das Publicum nur um so mehr irre geführt. Die Presse verkennt hier ihren Beruf vollständig, indem die Redactionen aus dem Empfange und Gebrauche von Freibillets die Pflicht einer wohlwollenden Besprechung ableiten, statt vor Allem auf Wahrheit dem Publikum gegenüber bedacht zu sein. Bei Allem, was als belehrende Sehenswürdigkeit auftritt, müßte ein sachverständiger und wahrheitsliebender Berichterstatter allein das Urtheil fällen. Solche Betrachtungen haben mich gehindert, die gegenwärtige Skizze über eine augenblicklich in Deutschland weilende Lappländergesellschaft humoristisch abzufassen, wie ich sonst gern geneigt wäre.

Es war mir äußerst willkommen, als mir mein Freund Hagenbeck im vergangenen Winter mittheilte, daß er zum Frühjahre eine Heerde Rennthiere aus Lappland und zugleich vier echte Lappen als Begleiter wolle kommen lassen, welche er eine Zeitlang bei sich behalten und dem Publikum zeigen werde. Auf meinen Vorschlag veranlaßte mein Freund, daß alles Geräth, welches diese Leute gebrauchen, Zelte mit Einrichtung, Schlitten, Schneeschuhe, Hunde, kurz Alles, was für das Leben dieses Nomadenvolkes charakteristisch ist, von Lappland mitgebracht werde. Durch einen geschickten Agenten ist jetzt diese Lappencolonie – denn so möchte man das Ganze nennen – so vollständig zusammengestellt worden, daß ich – natürlich war ich bei der Ankunft der Lappen in Hamburg (Mitte September) zugegen – mir sofort sagte: „So etwas Ganzes ist auf diesem Gebiete noch nicht dagewesen.“

Da ich, wie einige Bilder in der „Gartenlaube“ beweisen, ein großer Freund von dem dramatischen Leben bin, welches sich bei der Ankunft solcher Transporte entwickelt, fuhren wir Zwei, der Unternehmer und der Maler, auf einem Boote dem norwegischem Schiffe, welches die nordischen Gäste bringen sollte, auf der Elbe entgegen und kletterten, während der Dampfer in voller Fahrt war, durch eine Luke an Bord desselben. Unter dem Decke fortschreitend, stießen wir zuerst auf Frau Rasti, die Lappländerin (denn eine solche war auch dabei), welche es sich inmitten ihrer zwei Kinder bequem gemacht hatte. Mit fragendem, aber unbefangenem Blicke schaute sie uns an, und der Ausdruck ihrer Augen hatte dabei etwas so Zutrauliches und Kluges, daß es mich jetzt gar nicht wundert, daß wir später, nachdem ich ihr eine Mark geschenkt, gute Freunde geworden sind.

Oben auf dem Verdecke fanden wir die Rennthiere, die wir schon vom Boote aus gesehen hatten, zwischen Brettern eingepfercht und dann auch die Herren Lappländer selbst, alle eifrig aus kurzen Pfeifen rauchend. Klein von Gestalt, wie sich das für einen richtigen Lappländer gehört, boten die drei Männer in ihrer fast ganz gleichen Kleidung im Anfange wenig Unterscheidendes, aber bei längerer Betrachtung erwiesen sie sich doch, besonders in Bezug auf ihre Gesichtsbildung und ihr Benehmen, sehr verschieden. Zu ihnen gehörte ihr Begleiter, ein norwegischer Photograph aus Tromsöe, wo die Lappländer sich eingeschifft hatten. Er sprach außer seiner Muttersprache noch lappisch, war also als Dolmetscher unentbehrlich, da er aber nicht deutsch verstand, so ist nachträglich noch ein zweiter Dolmetscher nöthig geworden. Nachdem sich mein Freund als der Unternehmer legitimirt hatte, was bei den Sprachschwierigkeiten nicht ohne einige Mühe abging, sollte das Ausladen aus dem nun vor Anker liegenden Schiffe vor sich gehen. Aus dem Anlanden bei der Vorstadt St. Pauli, wo die Rennthiere aus dem Schiffe leicht über die Landungsbrücke hätten geführt werden können, war wegen mangelnder Neigung des norwegischen Capitains Nichts geworden, und so mußte denn eine „Schuite“, ein großes, sehr breites und flaches Boot, wie man sie zum Entladen der Schiffe gewöhnlich braucht, dazu genommen werden. Es dauerte lange, ehe die einunddreißig Rennthiere, eins nach dem andern, in den Gurt geschnallt, durch den Dampfkrahn über Bord gehoben und in die Schuite herabgelassen wurden; es sammelte sich inzwischen eine kleine Flotille von Booten, deren Insassen uns als Zuschauer auch nachher das Geleite gaben. Felle, Kasten, Zeltstangen, Schlitten, Säcke mit Rennthiermoos und Gott weiß was Alles noch, bildeten die Ladung der Schuite, die nun langsam mit der begleitenden Bootflotille durch die Schiffsreihen dem Landungsplatze zusteuerte.

Ueberall auf den ragenden Schiffsborden sammelten sich die Mannschaften, um uns passiren zu sehen. Es war aber auch der Mühe werth und eigentlich an sich schon ein Bild zum Malen. Den Mittelpunkt bildete Vater Rasti nebst Gattin und Kindern. Neben ihnen saß der norwegische Photograph; er hielt als Vicemutter die Wiege mit dem Lappensäuglinge. An den beiden Bootsenden waren, mit Stricken befestigt, die Rennthiere aufgestellt, von dem auf dem Gepäck sitzenden Lappen gehütet. Als der Wiegenbewohner unruhig wurde, nahm die Mama denselben an sich und wandte mit einer wahrhaft rührenden Naivetät und Offenherzigkeit sofort das Mittel an, durch das in solchem Fall auf der ganzen Welt ein durstiger Säugling zu besänftigen ist, und zwar wurde dabei der kleine Lappe gar nicht aus seiner Wiege herausgenommen. Diese Wiege ist ein Muster in ihrer Art. Fast die Form eines Bootes mit einem vorhangversehenen Dache auf der Hinterseite bildend, ist sie aus Birkenholz gefertigt, mit Leder überzogen und innen mit Gras

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_742.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)