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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Jeder Arbeit gebührt ihr Lohn,“ sprach er; „nehmen Sie den da und ziehen Sie ruhig Ihres Weges! Ihr, gute Frau, Ihr könnt auch gehen, und da habt Ihr etwas für Euere Mühe!“ Damit übergab er dem Weibe einen in Papier gewickelten Gegenstand und entließ es sammt seinem Begleiter. Der Geldbeutel enthielt sechs Piaster und das Papier ein Paar schwere goldene Ohrringe.

Ein ähnliches Abenteuer bestand um dieselbe Zeit ein junger Mann aus Pescasseroli in den Abruzzen. Er fiel Fuoco’s Bande in die Hände und erzählte dann unter eidlicher Betheuerung sein Erlebniß also:

„In den Bergen von Malchialvalla ergriffen mich die Räuber und schleppten mich nach den Höhen von Campoli, auf das päpstliche Gebiet hinüber, bis in die Nähe von Collepardo. Dort sperrte man mich in eine Art natürliche Grotte, die von zwei Lampen erhellt wurde und die gesammte Bande mit Bequemlichkeit aufnehmen konnte. Keinen Augenblick blieb ich unbewacht. Entfernten sich die Banditen, so ward ich an Händen und Füßen gefesselt und unter der Obhut der Geliebten des Hauptmannes zurückgelassen.

Oftmals hielt die Gesellschaft Kriegsgericht, in welchem einer der Briganten als Ankläger auftrat. Die darin ausgesprochenen Strafen lauteten auf Tod, Stockschläge oder ‚Libertà‘, das heißt man band dem Angeklagten Hände und Füße zusammen und warf ihn in einen Winkel, wo sich kein Mensch weiter um ihn kümmerte.

Während meiner Gefangenschaft genas die Geliebte des Briganten Guerra eines Knaben. In ihrer Galatracht begab sich darauf die gesammte Bande nach Collepardo hinunter, dort das Kind taufen zu lassen, was der Pfarrer auch bereitwillig that. Der Bube empfing den Namen Michelongiolo Guerra; die Orgel tönte und der Weihrauch duftete, wovon sich die Cumpane Abends mit großer Genugthuung unterhielten. Nachdem der Taufact vorüber, feuerte die Bande in den Gassen des Dorfes zwei Stunden lang Freudenschüsse ab, warf Geld unter die Bauern und ließ für sie den Wein in Strömen fließen, dem Alt und Jung sonder Scrupel eifrigst zusprach.“

Was sagt man von der Gemüthlichkeit dieser Zustände in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und inmitten eines seit Jahrtausenden civilisirten Landes?

Doch wir werden noch mehr davon zu hören bekommen.

H. Sch.




Epische Briefe.
Von Wilhelm Jordan.
IX. Rettung der Edda. Ihre Schöpfungssage.

Während in Norwegen die Lehnsmonarchie siegte, kehrte das neue Gemeinwesen auf Island desto entschiedener zurück zur aristokratischen Republik. Das Land wurde eingetheilt in Viertel, jedes Viertel in drei Thinge. Jeder Thingsprengel erhielt seinen Haupttempel, und um diesen „zu bewahren in Weisheit und Rechtlichkeit“, wurde ihm ein Heiligthumsvorsteher, Godi, das ist: Gottesmann, betitelt, vorgesetzt, welcher die Richter zu ernennen und den Gang der Streitsachen zu steuern hatte. Sämmtliche Thinge standen unter dem Allthing, der obersten Staatsgewalt, der sich jährlich einmal versammelte, um die Gesetzgebung und die Rechtspflege letzter Instanz auszuüben.

Denen, die noch immer die römische Lüge von der Barbarei des germanischen Heidenthums nachsprechen, soll man dieses trefflich geordnete Staatswesen Islands entgegenhalten. Unter ihm bewahrte sich der ausgewanderte Stamm seine stählerne Tüchtigkeit und entwickelte für die einzige Kunst, deren Genuß und Pflege die Armuth und Entlegenheit des Landes nicht unmöglich machte, die Poesie, eine Empfänglichkeit, wie in denselben Jahrhunderten kein zweites Volk des Abendlandes.

Mit ihrer goldschweren und diamantharten Sprache voll trotziger consonantischer Kraft hatten die Auswanderer auch die ausgebildete Götter- und Heldensage mitgebracht; denn mit den Edlingen, die daheim ihren eigenen Hofhalt geführt, waren auch ihre Skalden übergesiedelt. Auch den Inhalt deutscher Lieder, ja wahrscheinlich Nachbildungen und Uebersetzungen derselben, bewahrten sie im Gedächtnis; denn theils durch deutsche Kaufleute, theils durch Kriegsgefangene der räuberischen Normannen waren dieselbe früh nach Skandinavien gelangt.

Zwar kam auch nach Island das Christenthum; aber es wurde hier dem Volke nicht aufgedrängt, sondern um das Jahr Tausend durch Mehrheitsbeschluß des Allthings angenommen. Dabei verfuhr man staunenswerth duldsam. Das Annahmegesetz selbst bestimmte, daß die Männer auch ferner den alten Göttern opfern dürften, aber nur heimlich; wer sich dabei von Zeugen betreten ließe, müßte Buße zahlen. In der Viga-Glum’s Saga ist eine Lebensbeschreibung erhalten, die in eben dieser Uebergangszeit spielt. Ich erwartete in ihr die Umwandlung der Sitten und der Lebensweise durch die neue Religion gespiegelt zu sehen. Davon aber fand ich keine Spur außer der kahlen Anführung, daß auch Viga-Glum drei Jahre vor seinem Ende die Taufe genommen habe und auf dem Todtenbette in weißem Sterbekleide „gebischoft“ worden sei (ok var byskupadr), wie der Biograph sich ausdrückt, das heißt von einem Bischof das Sacrament empfangen habe. Und alle Berichte über die ersten Jahrzehnte des Christenthums auf Island betätigten die Unrichtigkeit meiner Voraussetzung. Die Bezirkstempel selbst dienten fortan als Kirchen; ihre Vorsteher, die Godar, blieben im Amt; auch scheinen sie sich mit den Geistlichen bestens vertragen und nur allmählich einen Theil ihrer Befugnisse an die Bischöfe abgegeben zu haben. Von einer Umwälzung ist geraume Zeit nicht das Geringste zu merken. Die Einziehung einer alten Münze gegen eine neue mag wohl selten irgendwo so glatt und geräuschlos verlaufen sein, wie in Island der Uebergang vom Heidenthum zum Christenthum.

Für ausländische Geistliche hatte die ferne Eisinsel nichts Verlockendes. Einträgliche Pfründen und reiche Klöster waren hier nicht zu stiften. Nur Eingeborene, die sich im Mutterlande, nicht selten auch in Frankreich, England oder Deutschland, die nöthige Bildung erworben hatten, konnten durch ihre Heimathliebe bewogen werden, unter sonst nirgend erhörten Entbehrungen das geistliche Amt zu versehen. Sie wurden nicht Unterdrücker, sondern eifrige Pfleger der einheimischen Sprache und Literatur. Durch sie erst erfolgte die Einführung einer ausgebildeten Schreibkunst, welche die Aufzeichnung der epischen Schätze möglich machte.

Eine Schrift freilich hatten die Germanen von jeher besessen. Nach Ammianus Marcellinus wußte ein Alemanne im römischen Heer, Namens Hortari[1], seinen Landsleuten schriftliche Botschaft zu senden. Ja, schon Tacitus beschreibt sehr deutlich die Anwendung der Schrift bei Weissagungen. Zweigstücke eines fruchttragenden Baumes, vorzüglich der an Eckern reichen Buche, wurden mit Zeichen versehen, ausgestreut, einzeln aufgehoben und den Zeichen gemäß gedeutet. Diese Zeichen waren Buchstaben im eigentlichen Sinn, das heißt gezeichnete Stäbe einer Buche. So erklärt sich das gothische stabs, das altnordische stafs = litera, so das hochdeutsche „Buch“. Die Zeichen oder Male wurden eingeritzt, daher die Benennungen für zeichnen und schreiben: meljan, Male machen, malen; writan, althochdeutsch rizan, englisch write, ritzen, schreiben. Das Ausstreuen jener Stäbe erklärt unseren Ausdruck „Entwurf“; das Auflesen derselben unser „lesen“. Man legte die Zeichen aus, indem man sie entweder zu Worten zusammensetzte, oder auch den Buchstaben gelten ließ in der Bedeutung seines Namens. Der Buchstabe M z. B. hieß madhr, das ist Mann; F hieß fëu, das ist Geld (erhalten im englischen fee), U hieß ûr, das ist Auerochs, und Th hieß thuris, das ist Riese.

Diese Buchstaben, von ihrem heiligen und geheimnißvollen Gebrauch Runen genannt (runa, das ist Geheimniß, Räthsel), bildete aber nur ein Alphabet von sechszehn Zeichen und reichten nicht aus, eine lautreiche Sprache zu versinnlichen und mit ihnen den epischen Erbschatz niederzuschreiben. Auch bedurfte

  1. Vermuthlich der noch jetzt in der Schweiz und Schwaben vorkommende Familienname Hurter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_727.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)