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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Bildern des Glaubens, mit Märchen, Geschichten und Gedichten groß gezogen zur Menschenliebe und zu den höchsten Tugenden. Und so finden wir das Naturell der Mutter, mit der er auch äußerlich eine auffallende Aehnlichkeit hatte, in dem Sohne zu den herrlichsten Blüthen entfaltet. „Kein aufmerksamer Beobachter von Schiller’s Leben,“ sagt Gustav Schwab, „kann es verkennen, daß den Knaben, der für den Lorbeer Apollo’s geweiht war, Melpomene schon in der Jugend aus dem sanften Auge der Mutter angelächelt habe.“

Beide reichbeglückte Mütter unserer größten Dichter hatten, bei der großen Verschiedenheit aller anderen Lebensverhältnisse, doch darin denselben Segen in gleichem Maße, daß sie sich bis an ihr Lebensende der größten Verehrung, der zärtlichsten Anhänglichkeit ihrer Söhne erfreuten, daß sie Zeugen gewesen sind von ihrer Herrlichkeit und von der Verehrung, welche die ganze gebildete Welt für dieselben gehegt hat. Die Mutter Schiller’s, die drei Jahre vor ihrem Sohne starb, hat noch fast alle seine unsterblichen Schöpfungen gesehen. Goethe’s Mutter, die sieben Jahre später starb, und vierundzwanzig Jahre vor ihrem Sohne, behielt bis zum letzten Hauche für den Genius ihres Sohnes ein ungetrübtes Auge, ein empfängliches Herz und beurtheilte seine Werke oft besser, als mancher Gelehrte und Kritiker von Profession.

Herder’s Mutter, Anna Elisabeth Pels, die Tochter eines ehrsamen Hufschmieds in Mohrungen, erfreute sich zwar keines besondern Unterrichts, war aber durch Gaben des Geistes und Gemüths ausgezeichnet. Sie besaß eine Bildung, die man bei ihrem niedern Stande nicht erwarten konnte. Ein Zug von Religiosität charakterisirte sie ganz besonders; jeder Tag wurde mit Gesang eines geistlichen Liedes beschlossen. Herder trug seine Mutter wie ein heiliges Idol in seinem Herzen. Zu öfteren Malen erzählt er, mit wie sanfter Gemüthsart sie ihre Kinder behandelt, wie übermüdet fleißig sie mit ihren Töchtern gewesen, wie ihre Sanftmuth die Strenge des Vaters milderte. Sie pflanzte und hegte Zartsinn, Weichheit und Humanität in der Brust ihres Lieblings, und noch am Tage vor ihrem Tode empfahl sie in inbrünstigem Gebete vor dem Geistlichen ihren Herzenssohn der Leitung Gottes. – „Wenn es erbliche Anlagen giebt,“ berichtet der Mohrunger Pastor Trescho,„so hat Herder gewiß einige Grundlineamente von seiner Mutter: ein schnelles Auffassen des Gehörten, Liebe zur Stille, Gutmüthigkeit und eine unermüdliche, herzliche Theilnahme,“ und Briefe, die von ihr erhalten blieben, bestätigen, was ihr nachgerühmt wurde.

Von Novalis (Friedrich von Hardenberg’s) Mutter erzählt Tieck, daß sie, eine Herrnhuterin, ein Muster wahrer Frömmigkeit und weiblicher Milde gewesen, mit der sie die härtesten Schläge für ein Mutterherz ertragen, in wenigen Jahren einen Kreis von blühenden, wohlgebildeten und hoffnungsreichen Kindern aussterben zu sehen. Der Sohn war träumerisch still und verrieth als Kind nur wenig Geist, entfernte sich von andern Knaben und zeichnete sich durch außerordentliche Liebe zur Mutter aus, der er in allen Dingen ergeben war. Der Mutter verdankte er auch den wesentlichsten Theil seiner Erziehung, da der Vater durch viele Reisen in amtlicher Stellung verhindert war, an derselben mitzuwirken, und so haben denn auch seine Dichtungen und sein ganzes Wesen den weichen, weiblichen herrnhuterhaften Charakter.

Bürger’s Vater war zwar Pastor in Molmerswende, einem Dorfe im Unterharz, aber die dürrste Prosa, das bewegungslose Phlegma. Er hat auf die Bildung seines Sohnes keinen Einfluß gehabt, der auch bis zum zwölften Jahre ganz unwissend und selbst in späteren Jahren in Disharmonie zu demselben blieb. Dagegen rühmt der nachmalige Dichter die Mutter, Gertrud Elisabeth Bauer, die Tochter eines angesehenen Einwohners zu Oschersleben, als eine weibliche Natur von außerordentlichen geistigen Anlagen, die indeß auch nicht im Geringsten ausgebildet waren und sicher auch im Charakter des Sohnes wie Schlacken festsaßen. Das Phlegma des Vaters mag dem Genius des Sohnes, dessen Geist lieber in den Bildern seiner Phantasie und in frischen, sinnlichen Wahrnehmungen lebte, als in den katechetischen Aufgaben des Pfarrers, mehr genützt, als geschadet haben. Der unwissende Knabe, der nur nothdürftig lesen und schreiben konnte, machte trotzdem schon Verse, die metrisch richtig und wohlklingend waren.

Lenau’s Mutter, Therese Maigraber, war die Tochter einer angesehenen Bürgerin in Ofen, in dessen Nähe sie Weinberge besaß. Im fünften Altersjahre verlor der Knabe den Vater und übersiedelte bald darauf mit der Mutter nach Tokaj. Hier reifte und gedieh mit dem Honigseime der feurigen Reben des Berges Mézes auch in ihm der dichterische Genius. Aus dieser Zeit erzählt Lenau selbst, er glaube, der Mutter die Phantasie und das leicht erregbare Gefühl verdanken zu müssen, ähnlich wie Goethe „die Kunst zu fabuliren“ von der Mutter hatte. Und er berichtet auch, was sehr zu beachten, wie er bei der jahrelang sterbenden Mutter als trauriger Krankenwärter ausgehalten, bei der liebevollen Mutter, vor deren Schrank nach ihrem Ableben der Sohn steht, in welchem ihr Gebetbuch noch aufgeschlagen liegt und das Gebet zeigt:

„Wie eine Mutter um Segen
Für ihre Kinder zum Himmel fleht.“

[1]

Und da weinte er bitterlich und

„– – – – – – zerriß
Die Freudenrechnung in seinem Herzen.“

Seitdem erhielt sein ohnehin schon ernstes Gemüth eine noch tiefere, unheilbar kranke Stimmung. Vor der Meerfahrt nimmt Faust-Lenau vom mondbeschienenen Grabe der leidenschaftlich geliebten Mutter tiefrührenden Abschied. Er steht verzweifelnd da, klagend über die Macht des Todes,

„Daß er die Mutter kann
Von ihrem Kinde reißen.“

Ein schmerzlich empfundenes Lied, das der Unvergeßlichen geweiht ist, endet mit den Versen:

„Mensch, du flieh mit deinem Schmerz
An die heimathlichste Stelle,
An des Trostes reinste Quelle,
Flüchte an das Mutterherz! –
Doch die Mütter sterben bald;
Hat man dir begraben deine,
Flüchte in den tiefsten Wald
Mit dem wunden Reh – und weine!“

(Schluß folgt.)




Die Geißel Italiens.


Vor Jahrhunderten schon bildeten die Briganten ein stehendes Capitel fast in allen touristischen Schilderungen Italiens. Wer südlich über Rom den Halbinselstiefel hinabdrang oder sich auch blos etwas tiefer in die Campagna hineinwagte, der mußte darauf gefaßt sein, die Bekanntschaft einer oder der andern Räuberbande zu machen, deren Hauptleute nicht den chevaleresken Charakter der Helden trugen, welche Vulpius, Spieß, Cramer, Fürst und andere poetische Gemüther zu

  1. Da dieser Artikel vorzugsweise Frauen gewidmet ist, so sei es gestattet, hier an Stolle’s schönes Gedicht zu erinnern:

    Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

    Der reinste Ton, der durch das Weltall klingt,
    Der reinste Strahl, der zu dem Himmel dringt,
    Die heiligste der Blumen, die da blüht,
    Die heiligste der Flammen, die da glüht,
    Ihr findet sie allein, wo, fromm gesinnt,
    Still eine Mutter betet für ihr Kind.

    Der Thränen werden viele hier geweint,
    So lange uns des Lebens Sonne scheint,
    Und mancher Engel, er ist auserwählt,
    Auf daß er uns’re stillen Thränen zählt –
    Doch aller Thränen heiligste, sie rinnt,
    Wenn eine Mutter betet für ihr Kind,

    O schaut das Hüttchen dorten still und klein,
    Nur matt erhellt von einer Lampe Schein!
    Es sieht so trüb’, so arm, so elend aus,
    Und gleichwohl ist’s ein kleines Gotteshaus,
    Denn drinnen betet, fromm gesinnt,
    Still eine treue Mutter für ihr Kind.

    O nennt getrost es einen schönen Wahn,
    Weil nimmer es des Leibes Augen sah’n,
    Ich lasse mir die Botschaft rauben nicht,
    Die Himmelsbotschaft, welche zu uns spricht:
    Daß Engel Gottes stets versammelt sind,
    Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_723.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)