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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
V.
Die Deutschen in Rom. – Der deutsche Künstlerverein an der Fontana Trevi. – In den römischen Ateliers. – Die Schaar der Copistinnen. – Verbannte Götter. – Der classische Boden Roms. – Senator Rosa. – Die Ausgrabungen auf dem Palatin. – Häuser, Sarkophage und Inschriften. – Das Auditorium des Mäcenas. – Die „neue Venus“. – Unter den Kaiserpalästen auf dem Palatin. – Ausklang.

Das deutsche Element, von welchem ich bereits sprach, war in Rom während des verflossenen Winters und namentlich um die Osterzeit so stark vertreten als man es nur wünschen mochte, und wer Neigung dazu hatte, vermochte hier, im Mittelpunkte Italiens, die theuern heimatlichen Dialektlaute, vom schnarrenden Jargon des Stockberliners bis zum breitbehäbigen Geplausche des Oesterreichers so gründlich zu studiren, wie jenseits der Alpen. Am leichtesten bot sich die Gelegenheit dazu bei Carlin in der Via delle quattro Fontane, einem wackern deutschen Wirthe, dessen tüchtige Restauration wohl von den meisten Deutschen in Rom besucht wird und auch allen deutschen Romfahrern des kommenden Winters hiermit angelegentlichst empfohlen sei. Um so mehr ist es zu verwundern, daß noch immer keine deutsche Buchhandlung der schon wiederholt gegebenen Anregung, eine deutsche Zeitung wenigstens für die Wintersaison herauszugeben nachgekommen ist. Die wenigsten der vielen in Rom lebenden Deutschen dürften in der Lage sein, sich in eine italienische, eine römische Zeitung mit nennenswerthem Erfolg zu vertiefen; die der Regierung nahestehende und französisch geschriebene „Italie“ schenkt den localen Tagesfragen nur geringe Aufmerksamkeit, und so habe ich nach den von mir gesammelten Beobachtungen die feste Ueberzeugung, daß eine deutsche Zeitung in Rom, die den deutschen Interessen sich widmen und den deutschen Leser über die Fragen und Begebenheiten des Tages immer genau unterrichten würde, ohne Mühe zahlreiche Abnehmer finden werde. Es liegt hier ein wirkliches Bedürfniß vor, von dem nur zu wünschen ist, daß seine Befriedigung von einer geschickten und mit dem nöthigen Capital versehenen Hand baldigst in Angriff genommen werde. Spithöver wäre wohl am ersten in der Lage dazu.

Einen Sammelpunkt für das deutsche Element in gewissem Sinne bildet der deutsche Künstlerverein, der sich bekanntlich der besondern Protection des deutschen Kaisers erfreut, und der redlich bemüht ist, die vielen deutschen Männer und Frauen, welche seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, an heiteren Abenden in froher Geselligkeit zu versammeln und zu vereinigen. Selbstverständlich haben die immer tanzlustigen und lebensfrohen Künstler auch den Carneval nicht unbenützt vorübergehen lassen und namentlich wird der glänzende Costümball, den der Verein in seinem Palazzo an der Fontana Trevi gab, allen Mitgliedern der deutschen Colonie, die an ihm Theil genommen haben, trotz des mehr als kindlichen Festspieles, das sie vor dem Beginne des eigentlichen Balles auszustehen hatten, in bester Erinnerung bleiben.

Der Sprung von dem Palazzo Poli an der Fontana Trevi – er ist heutzutage bekannter unter dem Namen „Sala Dante“ – in die Ateliers der Künstler wäre leicht genug. Aber in meinen „Plaudereien“, die schon schwatzhaft genug geworden sind, ist kein Raum mehr für die letzteren. Denn was wäre aus und von ihnen nicht Alles zu berichten! Die deutschen Künstlerveteranen in Rom: Wolf, Riedel, Achtermann, Seitz, arbeiten noch immer rüstig fort, während sich an Lindemann-Frommel, Kopf, Gebrüder Cauer, Gerhard, Pollack, Karl Voß, Heilbuth, die beiden Müller von Coburg, Ernst Meyer, Ziehlke, ein jüngerer Nachwuchs, wie: Dausch aus Oberschwaben, Nathanael Schmitt aus Heidelberg, Hübner, Henneberg, F. Schulz aus Schleswig, der von dem während des Winters in Rom gleichfalls anwesenden Georg Scherer ein ganz treffliches Medaillonbild gefertigt hat, und Andere, würdig anreiht.

Und neben diesen bedeutungsvoll schaffenden Künstlern, welche endlose Reihe mehr oder minder talentvoller Copisten und Copistinnen, die sich in den Sälen drängen und, von Neugierigen umgafft, alle jene berühmteren Bilder, die gerade in der Mode sind – denn auch hier schwingt die Mode ihren Zauberstab, wie die von Copisten tausendfach mißhandelte Beatrice Cenci und die in allen Läden schaugestellte, seltsamer Weise so sehr beliebte Büste des jungen Augustus beweisen – im Schweiße ihres Angesichts vervielfältigen!

Die Copistinnen, überhaupt die Malerinnen scheinen nicht überall freundliche Beurtheilung zu erfahren. Ein deutscher Maler hat sich unlängst in einer römischen Zeitung ziemlich herb gegen die Leistungen der Frauen auf dem Gebiete der Kunst ausgesprochen und sich dabei bis zu der Behauptung verstiegen, wenn man die ganze künstlerische Thätigkeit der Frauen mit einem Male streiche, so sei dies nicht anders, als wenn man von einem großen Palaste eine seiner kleinen Verzierungen wegnehme. Auch dann stehe der Palast so groß und köstlich wie zuvor, und kein Auge werde das Verschwinden und Fehlen des weggenommenen Steines vermissen. Aber, fährt der große Unbekannte, der sich selbst offenbar als gewaltigen Quader im herrlichen Tempelbaue der Kunst fühlt, fort, aber warum hat Rafael so Großes, so Schönes, so Anmuthiges geschaffen? Einfache Antwort: weil ihm die schönsten und holdseligsten Frauen als Modelle dienten, und so hat jene berühmte Fornarina der Kunst mehr geleistet, als alle Künstlerinnen zusammen genommen, welche jemals in Oel, Aquarell oder Pastell gearbeitet haben. Ecco, ruft unser Maler bei dieser Entdeckung den malenden Frauen fröhlich zu, welch anderes und reicheres Feld der Thätigkeit eröffnet sich Euch hier! Werft Pinsel und Palette weg, ahmt das schöne Beispiel von Rafael’s Frauen nach (die Rafaele, meint er offenbar, werden sich dann schon von selbst einstellen), und wie ganz anders wird Euch die wahre, die echte Kunst zu wirklichem Danke verpflichtet sein!

Dieser Vorschlag des Malers, so beredt vorgetragen, hat offenbar etwas Verführerisches. Wer indessen bei einem Gange durch die bilderreichen Säle den fleißigen Copistinnen eine mehr als flüchtige Aufmerksamkeit widmet, wird bei aller Galanterie, die ihm sonst eigen sein mag, doch bald zu der Einsicht kommen, daß die Theilung der Arbeit auch auf diesem Gebiete wie bisher das Ersprießlichste sein, daß es sich auch fernerhin empfehlen werde, wenn von den kunstthätigen Frauen die Einen nur malen und nur die Andern sich malen lassen, und daß Goethe, wie immer, auch hier Recht hat. Eines schickt sich nicht für Alle. –

Bei den Wanderungen durch die Galerien und Sammlungen Roms drängen sich Einem oft genug die berechtigten Klagen auf über die mangelhafte Aufstellung und schlechte Beleuchtung, unter der mitunter gerade die kostbarsten Gegenstände zu leiden haben. Selbst im Vatican, selbst im Belvedere kann man diesem Uebelstande begegnen, der dem Beschauer am ausgeprägtesten wohl in der Villa Ludovisi entgegentritt, wo überhaupt den hohen Bildwerken Griechenlands wie wahren verbannten Göttern ein geradezu unwürdiger Aufenthalt angewiesen ist.

Da auch die Sammlungen des Capitols in dieser Hinsicht viel zu wünschen übrig lassen, wie man sich leicht schon im ersten und berühmtesten Zimmer, das von dem sterbenden Fechter seinen Namen führt, zu seinem Leidwesen überzeugen kann, so liegt etwas Tröstliches in dem Gedanken, daß die italienische Regierung den Bau eines monumentalen Museums, das alle ihre Schätze in sich vereinige und das hinsichtlich der Aufstellung und Beleuchtung derselben Nichts mehr zu wünschen übrig lasse, auf die Dauer vielleicht doch nicht werde umgehen können. Denn noch immer ist der classische Boden Roms unerschöpft, seit Jahrhunderten schon durchwühlt und durchforscht, spendet seine geheimnißvolle Tiefe noch immer neue Schätze, die, nachdem sie fast zwei Jahrtausende schon im dunklen Schooße der Erde geruht haben, dennoch nicht der ewigen Vergessenheit anheim fallen sollten; sondern sich nun plötzlich wieder an das strahlende Licht des Tages gestellt finden, um von einer längstversunkenen Herrlichkeit, von einer längst untergegangenen und nie wieder erreichten Culturblüthe neues beredtes Zeugniß abzulegen.

Namentlich seit die Ausgrabungen unter der rastlosen Leitung des gelehrten Senator Rosa systematisch betrieben werden, sind dieselben von staunenswerthem Erfolge begleitet gewesen; fast jede Woche brachte neue Bereicherungen, und so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_656.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)