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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Gypsabgüsse aller Art. Dazwischen mehr als eine bekannte Persönlichkeit: Lepsius, Ranke, ein paar schöne Frauenköpfe, ein rundes Kindergesicht. Allerliebst erschien mir eine genreartige Composition: „Friede, Friede!“ hatte Drake sie bezeichnet. Es ist ein kleines, sehr niedliches Kind, das zwanglos im bloßen Hemdchen am Boden sitzt, die eben eingetroffene Friedensdepesche mit ausgestrecktem Aermchen hoch über dem Kopfe schwingend.

Mag sein, daß die strahlende Genugthuung auf diesem Gesichtchen mehr dem Knattern des Papieres, als dem noch unverstandenen guten Inhalt desselben gilt. Immerhin trifft hier ein rein natürliches Moment sehr glücklich mit einer höheren Empfindung zusammen, und nicht unmittelbarer, nicht reizender kann der Jubel über eine endlich gnädige Wendung der Geschicke sich ausdrücken, als auf diesem seligen Kindergesichte. Das Motiv zu der Darstellung meint Drake bei einem Besuche in einer ihm befreundeten Familie erfaßt zu haben; auch will er nur die Natur, wie sie sich im Momente gestaltete, ohne viel eignes Hinzuthun wiedergegeben haben.

Neben diesem bereits in Marmor sehr frisch und zierlich ausgeführten Figürchen stand eine andere Composition ganz verschiedenen Inhaltes. Sie bringt uns die Stelle der römischen Elegie Goethe’s zur Anschauung:

„Oftmals habe ich schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand
Ihr auf dem Rücken gezählt –“

und zeigt uns den Dichter in idealer Gewandung, halb aufgerichtet, auf antikem Ruhebette, an seiner Seite das Mädchen, deren weichgerundete Schulter sein Arm umschlingt. Nichts Schöneres als diesen in aller Wonne des Genusses rein durchgeisteten, jugendlichen Goethe-Kopf. In den blühenden Formen der weiblichen Gestalt aber welche Anmuth und Unschuld, in ihrem hingesunkenen Köpfchen welche Hingabe voll Reinheit!

Edel, zart und poetisch hat die feinste Behandlung hier alles Verletzende des Stoffes entfernt. Dennoch hat Engherzigkeit und Vorurtheil Anstoß an der schönen Arbeit genommen. Drake wußte auch davon eine Geschichte zu erzählen:

„Ich hatte in früheren Jahren schon einmal, flüchtiger und unvollständiger als hier, diesen Stoff behandelt und die Skizze ausgestellt. Sie wurde im Allgemeinen wenig beachtet und war bald wieder vergessen. Später arbeitete ich eine kleine Madonna, die sich einer guten Aufnahme erfreute und so viel Reproduktionen erlebte, daß ich ihr durch ganz Deutschland, bis nach Italien hinein, auf den Brettern begegnete, die die Statuettenhändler damals noch schwankend auf dem Kopfe herum zu tragen pflegten. Ein katholischer Verein beabsichtigte in einer Kirche eine Madonna zu stiften und trug mir an, ob ich mein kleines Modell dazu vergrößern und ausführen wolle. – Der Auftrag wurde fest gegeben, ich ging bereits an die Arbeit. Da hört einer der Herren des Comités meinen Namen, der damals noch wenig bekannt war. ,Drake? Drake?’ besinnt er sich. ‚Welche Arbeit habe ich doch schon einmal von einem Drake gesehen?’ Und richtig, mein Goethe-Relief fällt ihm ein. ,Was?’ heißt es jetzt, ,der Verfertiger so unzüchtiger Darstellungen – eine Madonna für unsere Kirche? Nun und nimmermehr!’ – Ohne Weiteres wurde die Sache rückgängig gemacht, und meine Madonna blieb unausgeführt.“

Drake lachte noch heute über sein damaliges Mißgeschick. Nun wandert das prachtvoll ausgeführte Relief als Geschenk an die Akademie in Antwerpen, die den Künstler zum Ehrenmitglied ernannt hat.

Es hört sich Drake gut zu, wenn er seine kleinen humoristischen Geschichten erzählt, deren er in einer langen Künstlerlaufbahn gar manche erlebt hat. Aber es muß womöglich in seinem Atelier, in seiner eigensten Kunstatmosphäre zu diesen Mittheilungen kommen. Eine andere Umgebung, der glatte Boden der Geselligkeit besonders, erwirbt einem so anspruchslosen Auftreten, wie dem Drake’s, die Geltung nicht, die hier das Talent verdient. Im Salon mag er sich von gespreizter Unbedeutendheit, die sich breit zu machen versteht, leicht verdunkeln lassen. Unter seinen Marmorgestalten, seinen Gypsen und Thonmodellen wird Keiner im Zweifel bleiben, wem er in dieser schlichten, beinahe unscheinbaren Persönlichkeit gegenüber steht. Da sagen seine Werke selber aus, was sein Mund bescheiden verschweigt.

Die Schwester der Malerin Caroline Bardua erzählt in ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen aus dem Jahre 1835, Rauch habe gegen sie geäußert: „Ein Talent wie das seines jungen Schülers Drake tauche nur von Jahrhundert zu Jahrhundert in der Kunstwelt auf.“

Was Drake ist, verdankt er einzig und allein sich selbst. Die Verhältnisse haben ihm nicht vorgearbeitet; er war armer Leute Kind. In seiner Wohnung fand ich zwei Bilder einander gegenüber aufgehängt. Das eine, eine flüchtige Zeichnung, stellt die dürftige Hütte dar, in der er geboren worden; das andere das Schloß, in dem seine Gemahlin als Fürstentochter das Licht der Welt erblickt hat. Ueber die breite Kluft, die dazwischen liegt, hat Talent und Charakter ihm die Brücke gebaut; aber welche Höhe er auch erreicht, er ist einfach, schlicht und bescheiden geblieben, und das ist ein Blatt mehr im Kranze seines Ruhmes.

Wir verweilten an jenem Morgen lange in seiner Werkstatt. Mit freundlicher Bereitwilligkeit wies er uns alle Schätze, die sie barg; führte uns auch in den auf der anderen Seite des Hauses liegenden Raum, in dem seine Gehülfen arbeiteten. Hier stand die geistvoll-feine Kolossalfigur des Melanchthon für Wittenberg, die Gruppe der sterbenden Soldaten für Aachen und Stücktheile der Victoria zum Berliner Siegesdenkmal. Er zeigte uns erklärend und erzählend Alles, ohne auf irgend Etwas darunter besondern Werth zu legen. Ja, schließlich nahm er beim Abschiede unsern Besuch fast wie eine Freundlichkeit hin, die wir ihm erwiesen und für die er zu danken sich verpflichtet fühlte.

Als ich bald darauf Helmholtz sah und ihm meine Freude über seine vortrefflich gelungene Büste aussprach, erwähnte ich auch, wie wohlthuend und angenehm mich das bescheidene Wesen des Meisters berührt habe, das sich der Kraft so wenig rühme, die ihm innewohne.

„Das darf uns nicht verwundern,“ sagte Helmholtz. „Nur die verdorbenen Genies haben die Prätension, ihre Künstlerschaft zur Schau zu tragen. Wer recht von der seinigen erfüllt ist, denkt an etwas ganz Anderes, als sich eine äußere Geltung zu verschaffen, die wenig genug bedeutet.“

Ja, es ist wahr! Für ein unverdrossenes Wandern auf oft mühevollen Wegen, für die ernsteste Arbeit, die gethan werden muß, legt immer das sicherste Zeugniß jene schlichte Einfachheit ab, in der jedes wahrhaft geistige Leben gipfelt.

Walter Schwarz.




Der Sieger von Aachen.
Ein Culturbild der vagirenden Künstlerschaft.

In Aachen war’s, der alten Krönungs-, Congreß-, Reliquien- und Badestadt, wo im Herbste des Jahres 1818 vor den Augen der Kaiser und Könige der heiligen Allianz, der Gesandten und Minister Großbritanniens und Frankreichs, sowie vieler Fürsten und hohen Damen des deutschen Bundes und eines unermeßlichen Volkes zwischen Deutschland und England ein Wettkampf in der Luft auf Leben und Tod entschieden wurde.

Auf dem großen Platze spannt ein langes Seil, an dem Gittereisen eines Kellerlochs befestigt, queraufsteigend sich bis wo es in ein Fenster hineingeht und verschwindet. Vom Seile zu dem hohen Thurme auf der andern Seite des Platzes aus, hängen mehrere Paare von Stricken bis zum Boden nieder, von starken Männerfäusten gefaßt, welche durch Anziehen das Schwanken des Seils zu verhindern haben. Die lange Bahn unter dem Seile ist frei, aber zur Linken und Rechten drängt Kopf an Kopf, und Kopf über Kopf schaut aus jedem Fenster und von den abgedeckten Dächern herab, und selbst die Balcone, auf welchen die mächtigsten Fürsten, Staatsmänner und Frauen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_652.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)