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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


was die Begeisterung der Damen erklärte. Er war wirklich nur ein einfacher, wenn auch recht hübscher Bildschnitzer. Das anfangs zufällige Erhaltenbleiben des Passionsspieles hier im Orte, während es anderwärts aufhörte, hat demselben einen ganz besonderen Charakter verliehen, der sich überall fühlbar macht. Auch während der neun Ruhejahre zwischen zwei Vorstellungen hört das Leben nicht auf seinen Bezug darauf zu nehmen. Es bildet sich nach und nach die Meinung über die künftigen Hauptfiguren, die ihrerseits das Möglichste thun, sich ihrer Rolle würdig zu machen. Wenn man das Dorf durchwandert und die vielen gut erhaltenen religiösen Fresken an den Häusern sieht, welche letzteren nicht, wie in anderen erzkatholischen Orten, vernachlässigt und schmutzig, sondern reinlich und wohlhabend aussehen, so kann man sich der Erkenntniß nicht verschließen, daß hier eine eigene Welt für sich existirt, die durch kein von draußen her mitgebrachtes Schnitturtheil abzuthun ist. Ein religiöser Zug geht durch das Ganze und bringt hier, statt Fanatismus und Aberglaube, wie sonst mancher Orten, in Verbindung mit Kunstgefühl und Gemeinsinn eine alle zehn Jahre neu ausbrechende Blüthe hervor, die als Oberammergauer Passion eines wohlverdienten Weltrufes genießt.




Der Ehrentag des Teutoburger Waldes.

Eine bange Sturmnacht lag hinter uns. Von Mitternacht bis zum frühen Morgen hatte die Windsbraut den Gebirgswald durchtobt und die alten Eichenwipfel des Teutberges in wildem Kampfe geschüttelt. Es schien fast, als ob nun auch die Elemente ihre Ungunst an dem Heldenbilde auslassen wollten, welches seit mehr denn einem Menschenalter seiner Vollendung entgegengeharrt hatte und von den Stürmen manch trüber Zeit viel erzählen konnte. Wenn sie das Werk selbst, welches fest wie der Fels, auf dem es errichtet ist, von der Höhe des Teutberges in die Lüfte ragt, auch nicht mehr zu schädigen vermochten, so drohten sie doch, den lange erwarteten Ehrentag, zu dem Tausende von nah und fern herbeigeeilt waren, in einen grauen, unfreundlichen Regentag zu verwandeln und so den Glanz des Festes zu trüben.

Es war in der Frühe des letzten Tages vor dem Weihefeste, als ich durch den morgenfrischen Wald zu der Höhe hinanstieg, von der das Erzbild Armin’s hinabschaut auf die einst von ihm beherrschten Gaue und auf die Gefilde, in denen die römischen Legionen dem Racheschwerte seiner Deutschen erlegen waren. Drunten in den Gründen und Schluchten des Osning brauten wallende Nebelmassen, die in ihrem Ringen der Phantasie ein Bild des Kampfes boten, der vor nunmehr fast zweitausend Jahren dort gekämpft wurde und den auch heute der dort oben aus hoher Bergeszinne stehende, mit seinem Schwerte weithin über Berg und Thal winkende Feldherr wie damals zu lenken schien.

Höher wand sich der Weg längs dem Abhange des Berges hinan, mit jedem Schritte fast einen neuen Abschnitt des herrlichen Gebirgspanoramas entrollend, bis, am Fuße des Denkmals angelangt, ein vollständiger Rundblick dem Auge sich bot, welcher um so überraschender wirkte, als inzwischen Sonne und Wind die Nebel und Wolken hinweggescheucht hatten und nun die Gegend, vom hellen Glanze der Morgensonne bestrahlt, in ihrer ganzen Schönheit dalag. Gegen Norden schweift der Blick über das lippische Ländchen mit seinen freundlichen Städten und Dörfern bis zur Porta und den Weserbergen; nach Osten ragt der Brocken auf, während in Süden und Südwesten eine schöngeschwungen blaue Linie die hessischen und sauerländischen Berge bezeichnet, denen sich, im Dufte der Ferne immer mehr verschwindend, die bergischen und rheinischen Höhenzüge anreihen, bis weiter nach Westen hin die malerische Kette des Teutoburger Waldes mit ihren frischgrünen Laubmassen das Rundbild schließt.

Von dieser Stelle, wie man sie aus weit und breit nicht schöner hätte finden können, schaut der Cheruskerheld über das Land hinaus; und neben der Schönheit und Großartigkeit des Denkmals selbst ist es wohl gerade die Erhabenheit des sich hier dem Auge bietenden Gesammtbildes, was den Zauber spinnen hilft, von dem Jeder, der diese Stätte betritt, sich umweht fühlt.

Der Held, dessen Erzbild dort vor unseren Blicken sich erhebt, ist uns als Individualität zwar fremd geworden; sein in der Blüthe der Jahre dem Wohle des Vaterlandes geopfertes Leben verschwindet, wie sein tragisches Ende, im Dunkel der Geschichte, aus welchem nur seine große That gleich einem hellen Sterne hervorstrahlt; um so größer aber steht er, nicht als Person, sondern als Repräsentant einer großen Idee vor unseren Augen da, uns menschlich näher geführt durch den diese glanzvolle Erscheinung umhüllenden Schatten eines schweren Verhängnisses, welches Sohn und Gattin von des Helden Seite riß und ihn nach einer kurzen ruhmreichen Laufbahn einsam unter Mörderhänden verbluten ließ. Ein Ideal an jugendlicher Mannesschönheit, wie unser geistiges Auge ihn geschaut, so zeigt es sich uns auch hier, in übermenschlicher, hünenhafter Größe, das wuchtige Schwert in starker Faust hoch erhoben, ein Sinnbild deutscher Kraft.

Allgemach beginnt es auf dem Platze um das Denkmal und unter den Bäumen des Waldes lebendig zu werden. Ueberall, wohin man sieht, ragen Zelte und Bretterbuden aus dem dunkeln Laubgrün empor. Darüber wehen bunte Wimpel im Morgenwinde und ein lustiges Völkchen treibt sich emsig schaffend dazwischen umher. Dort vor seinem Waldhause erblicken wir den Schöpfer des Denkmals, den „Alten vom Berge“. Von einem zahlreichen Kreise seiner Kinder und Enkel, sowie einer Schaar zum Theil aus weiter Ferne herbeigekommener Freunde umgeben, sieht er, an einen Pfeiler seines Häuschens gelehnt, den Arbeitern zu, welche eben die letzte Hand anlegen, um den Platz zum Empfange der zahlreich erwarteten Gäste herzurichten, deren erste heute schon in hellen Haufen von allen Seiten den Berg hinanziehen. Trotz des warmen Augustmorgens hat er einen dicken warmen Pelzrock angelegt; denn die kühlen Nächte und das unfreundliche rauhe Wetter der letzten Tage, welches sich hier oben auf der Höhe doppelt fühlbar macht und dem das kleine Waldhaus wohl nur einen ungenügenden Widerstand entgegenzusetzen vermag, haben seine Gesundheit angegriffen und ihm heftige Gliederschmerzen zugezogen. Dennoch konnten alle Bitten seiner Freunde, drunten im Städtchen eine bequemere und geschütztere Wohnung zu beziehen und dort den Tag der Feier abzuwarten, ihn nicht dazu bewegen, sein altes Heim zu verlassen. Hier, wo er so lange gewirkt, will er nun auch ausharren als treuer Wächter bis zu dem Augenblicke, wo er sein Ziel ganz erreicht und das Werk seines Lebens dem deutschen Volke übergeben haben wird. Dieser Augenblick ist nun nahe, und welche Gedanken mögen wohl an dem Geiste des greisen Meisters vorübergehen, wenn er jetzt, nach siebenunddreißig langen Jahren mühsamer Arbeit und oft harten Kampfes hinblickt auf das in herrlicher Vollendung vor ihm dastehende Denkmal, das eigenste Werk seines Geistes und seiner Hand – und dann seinen Blick über den sonst so stillen Wald schweifen läßt, welcher belebt ist von den Schaaren derer, die von allen Enden Deutschlands herbeigekommen sind, um morgen seinen Ehrentag mit ihm zu feiern.

In dem Gasthause eines am Fuße der Grotenburg gelegenen kleinen Dörfchens, in welchem ich am Abend zuvor mit einer Schaar fremder Festgäste eingekehrt war, hängt das Bild eines schönen stattlichen Mannes mit ernsten, aber noch jugendlichen Zügen. Die edel geformte, mächtige Stirn und das große, leuchtende Auge lassen auf den ersten Blick den geistig bedeutenden Menschen erkennen und veranlaßten mich näher zu treten, um zu sehen, wen das Bild darstelle. Ich las: „Ernst von Bandel, Bildhauer“. Zwischen jetzt und der Zeit, aus welcher jenes Bild stammt, liegt ein volles Menschenalter, und so lehrt uns ein Blick auf dieses Bild und das Denkmal, was fester Wille und muthige Ausdauer zu erringen vermögen.

Der Platz vor dem kleinen Waldhause wird keinen Augenblick leer; bald sind es Freunde und Bekannte, bald Fremde, denen freilich der Alte vom Berge schon längst ein alter Bekannter geworden ist, und die ihn nun hier begrüßen. Aber so viele ihrer auch kommen mochten, für jeden hatte der in diesen Tagen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_638.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)