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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Vordermaste kletterte ich zum Wracke hinan. Zuerst schaute ich mich nach den Leichen um, denn so lange mir ein todter Körper im Wege ist, mag ich nicht gern hantiren. Ich tappte mich denn im Dunkeln nach den beiden kleinen Staatskajüten hin; in der einen war nichts zu erspähen; die Thür der andern war verschlossen. Mir einer Axt sprengte ich sie auf – da stürzt mir ein Gegenstand auf den Kopf. Sofort fühlte ich, daß es der Körper eines Weibes war. Die Arme! Sie mußte sehr schön gewesen sein, und als ich sie in meinen Armen hielt, ihr bleiches Antlitz an meine Schulter gedrückt, war mir’s, als schlummere sie nur. Ich band sie fest an die Leine, so sorgfältig wie mir das nur möglich war, und ließ sie langsam hinaufziehen. Ihr Haar wallte um ihren Kopf wie ein goldener Schleier, und die Fische umspielten sie, als könnten sie sich nicht von ihr trennen.

Uebrigens war es die einzige Leiche, die ich fand. Von der gesunkenen Ladung dagegen konnte ich einen ziemlichen Theil herauf befördern. –

Eine meiner angenehmsten Expeditionen boten mir die Silberbänke der Antillen dar, das reizendste Plätzchen, das mir jemals vor Augen kam, wo die weiße Koralle zu wunderlichen Bäumen erwächst. Während ich dort die Tiefe durchsuchte, dünkte mich’s, als wanderte ich durch einen von Rauchfrost glitzernden und funkelnden Wald. Hier und da schleiften lange Gewinde von grünen und carmoisinrothen Seepflanzen über den Boden. So weit ich sehen konnte, schwammen ringsum in dem klaren Wasser buntfarbige Blätter, während Haufen heller Muschelschalen den Grund bedeckten, sodaß das Ganze einer Niederlage zertrümmerter Regenbogen glich. Lange konnte ich nichts thun, als das entzückende Bild bewundern, das vor meinen Blicken lag. Als ich endlich zu arbeiten anfing, gerieth ich bald an die Ueberbleibsel eines Schiffes, eines englischen, wie ich glaube, welches ganz eingesponnen war von Korallengeäst. Da machte ich kein schlechtes Geschäft; ich brachte eine hübsche Quantität werthvoller Korallen empor und verkaufte meine Ausbeute in New-York.

Damals hatte ich auch ein seltsames Abenteuer mit einem Haifische, doch war’s nicht mehr auf den lieblichen Silberbänken der Antillen, vielmehr auf schwarzem Felsboden, der das Wasser ganz dunkel erscheinen ließ. Da fühlt man sich immer äußerst unbehaglich; weiß man doch nie, welch’ Ungeheuer in der Finsterniß lauern mag. Zuerst besuchte mich ein Stachelfisch, der mit seinen spitzen Kielen meinen Taucherhelm streifte. Hierauf bemerkte ich über mir einen tiefen Schatten, und als ich aufblickte, sah ich, daß ein mächtiger Hai in meiner Nähe trieb. Eiskalt überlief mich’s. Sowie ich aufschaute, stieß das Thier pfeilschnell nach mir hernieder. Fast eine Stunde lang schwamm er um mich herum, bis ich’s nicht mehr aushalten konnte. So lange man unter Wasser zu bleiben vermag, hat man von dem Fische nicht viel zu fürchten. Darum streckte ich mich auf den Boden aus und beobachtete aus der Tiefe heraus seine Bewegungen. Er war gewiß zwanzig Fuß lang, ein furchtbarer Gesell. Offenbar gefiel ihm nicht, daß ich so ruhig dalag. Drei- oder viermal noch kreiste er über mir herum, dann machte er sich davon, um im Dickicht der Meerkräuter seinen Angriffsplan zu schmieden. Daß er seinen Raub nicht aufgab, das wußte ich. Aber es dauerte eine ziemlich lange Zeit, ehe er wieder erschien. Endlich aber war er da, allein, wie vorher, zu weit ab vom Bereiche meiner Arme. Sowie er sich schließlich jedoch näherte, griff ich nach meinem Messer und schlitzte ihm glücklich den Bauch auf. Das behagte ihm nicht; schleunig machte er Kehrt, irgendwo im Verborgenen seine Seele auszuhauchen. Nun aber ist es eigenthümlich, daß alle anderen Haifische der Blutspur ihrer Genossen zu folgen pflegen. Langsam richtete ich mich auf, und da sah ich, wie dem verwundeten Scheusale vier andere große Haifische nachschwammen. Für das Erste war ich vor ihnen sicher.“ –

Soweit die eigene Erzählung des Capitain Boyton, die wir in der knappen Ausdrucksweise wiederzugeben strebten, die den Mann der That charakterisirt. Nach einem Experimente in der Perlenfischerei, wobei er fast Alles einbüßte, was er bisher an Vermögen gewonnen hatte, seinen Taucherapparat eingeschlossen, nahm Boyton in einem Anfalle von Verzweiflung Dienste in der mexicanischen Armee, desertirte jedoch bald wieder und durchschiffte den Matamoros mitten in der Nacht auf einem halblecken Boote, das ihn jeden Augenblick mit dem Untergange bedrohte. Auf den Boden der Vereinigten Staaten zurückgekehrt, begann er zum zweiten Male ein kaufmännisches Geschäft. Erst jetzt gab er den Seinigen in der Heimath Nachricht; als Antwort ward ihm die Kunde, daß mittlerweile sein Vater gestorben war. Der Schmerz über den Tod des von ihm heiß geliebten Mannes jagte ihn von Neuem rastlos durch die Welt. Er durchwanderte einen großen Theil Nordamerikas, kam schließlich nach New-York, blieb daselbst, bis seine Taschen wieder einigermaßen gefüllt waren, kaufte sich einen neuen Taucheranzug und reiste damit nach Europa, zunächst nach Havre, wo er während des letzten deutsch-französischen Krieges eintraf und sich nach mancherlei Schwierigkeiten den gegen uns plänkelnden Franctireurs einreihen ließ. Nach Beendigung des Kampfes ging er nach Amerika zurück. Allein den Ruhelosen litt es nicht in der Heimath; wiederum stach er in See, diesmal in der Absicht, sich den Diamantfeldern in Afrika zuzuwenden. In der Capstadt ward er indeß vom Fieber befallen, und so verzichtete er auf seine Diamantenprojecte und probirte es nun als Seemann, bis er, nach den Vereinigten Staaten heimgekommen, 1873 in Atlantic City eine Führerstelle bei dem sogenannten „Life Service“ erhielt. Diesen Posten bekleidete er bis zu seiner gegenwärtigen berühmten Tour nach Europa und rettete im verflossenen Jahre allein mehr denn vierzig Menschen vom Tode in den Meeresfluthen.

Gewiß, ein Leben so abenteuer- und sensationsreich, wie die lebhafteste Dichterphantasie die Fabel eines Romans nur zu ersinnen und auszuschmücken vermöchte, und das Merkwürdigste der Wundergeschichte ist, daß der Held aller dieser Thaten und Fahrten in Amerika, Europa und Afrika das Jünglingsalter noch nicht überschritten, sein siebenundzwanzigstes Lebensjahr erst vollendet hat.




Deutsche Erfolge auf amerikanischem Boden.


Nr. 1. Die deutsch-amerikanische Presse.


Sie ist ihnen von jeher ein gastlicher Boden gewesen – die amerikanische Erde den ausgewanderten Söhnen Deutschlands. Und wohl wissend, was sie thaten, haben diese von jeher zu dem großen Völkerbanne, der im Laufe der Jahrzehnte den Weg über das Weltmeer gefunden, ein stattlichstes und erfolgreichstes Aufgebot gestellt. Im Laufe der Jahrzehnte – im Laufe der Jahrhunderte! Denn nicht genug, daß die Spuren deutschen Weltfahrerdranges in die ersten Anfänge der colonisirenden Besitzergreifung durch die Angehörigen nordeuropäischer Stämme (Briten, Schweden und Holländer) zurückreichen – selbst aus der großen spanischen Conquistadoren-Ouverture, ja sogar aus der halben Mythe frühester Normannenentdeckungen tönen uns verlorene germanische Klänge entgegen. Und ist ein bezeichnenderer Zufall zu denken, als die Thatsache, daß derselbe Boden, auf dem sich in eben diesem Augenblicke die Palast- und Hallenbauten erheben, in denen die Union zu ihrer bevorstehenden hundertjährigen Feier alle Nationen der Erde als Gäste zu versammeln gedenkt – daß dieser vorzugsweise amerikanische Boden die Erinnerungen und Zeugenmale ebenso früher deutscher wie angelsächsischer Besiedelung trägt? Noch heute erzählt das Rauschen des den Philadelphier Fairmount-Park durchströmenden Wissahickon von Johannes Kelpius (Kelpe), der, zu der Schwärmersecte der „Erweckten“ gehörend, dort von 1694 bis 1708 erst einsiedlerisch ein halbes Höhlenbewohnerleben führte, dann Schüler um sich sammelte, denen er seine mystischen Lehren hinterließ.

Wir könnten noch zahlreiche Bilder und Erinnerungen aus alten und ältesten Tagen, aus ferner und fernster Vergangenheit hier heraufbeschwören, welche von frühen deutschen Niederlassungen jenseits des Oceans erzählen – allein genug davon! Ist es doch die Gegenwart, die unmittelbare Gegenwart, mit welcher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_608.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)