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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 36.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Hund und Katz’.
Eine Geschichte aus dem bairischen Oberlande.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Die Tafel im Saale war bereits vollständig hergerichtet. Julei, die Näherin, die sich eben im Hause auf der Wochenstöhr befand, hatte dieselbe gerade noch einmal überblickt und die letzten kleinen Unordnungen in den Falten des Tischtuches und der Stellung der Gedecke beseitigt. Eben wollte sie sich entfernen, als in der Thür die Wirthin erschien mit der Schürze das vom Kochfeuer geröthete Angesicht trocknend und mit Wohlgefallen die getroffenen Anordnungen überblickend. „Du hast halt eine geschickte Hand, Julei,“ sagte sie dann, „wie wär’s, weil Du doch einmal da bist, wenn Du beim Aufwarten an der Tafel mithelfen thätst? Meine Weiberleut’ stellen sich zu Allem so dumm an und haben lauter Daumen anstatt Finger; ich wollt’ Dich gern gut zahlen dafür.“

Das Mädchen wandte sich so hastig um, als ob sie erschrocken wäre, auch ihr bleiches Aussehen stimmte zu der Vermuthung. „Aufwarten? Bei der Tafel?“ fragte sie mit sichtlicher Befangenheit. „Nein, Wirthin, das kann ich nicht – ich will gern überall mithelfen, in der Küch’ oder in der Schenk’ oder wo es sonst ist – nur nicht aufwarten. Ich könnt’ auch nicht,“ setzte sie etwas langsamer wie zur Entschuldigung hinzu, „ich hab’ ja nichts bei mir als mein Werktaggewandel.“

„Das hat nichts auf sich,“ erwiderte die Wirthin, „Du kannst was von meiner Tochter nehmen, wenn sie auch ein wenig größer und dicker ist. Das schadet nichts – was leer steht, weint nicht.“

„Ich kann doch nicht, Wirthin,“ sagte Julei, „ich bring’s nicht zuweg’. Ihr müßt das nit verlangen von mir.“

„Aber warum denn nicht?“ rief die beharrliche Frau entgegen. „Ich geb’ Dir einen ganzen Gulden; den kannst wohl mitnehmen und noch wohler brauchen, bild’ ich mir ein.“

„Ich bin freilich arm,“ war Julei’s feste, wenn auch etwas schüchtern wiederholte Antwort, „den Gulden könnt’ ich freilich gut brauchen, aber ich kann doch nicht … ich bring’s nicht zuwegen.“

„So laß es bleiben!“ schloß die Wirthin und rannte ärgerlich aus dem Saale. „Hab’ ich’s doch immer gehört,“ brummte sie dabei halblaut, aber immerhin verständlich genug vor sich hin. „Hab’ ich’s doch all’ mein Lebtag gehört, Niemand ist hoffährtiger, als wer’s am wenigsten Ursache hat – so die eigentlichen Bettelleut’.“

Die heftig zugeworfene Thür schlug krachend in’s Schloß. Das Mädchen schaute sich nicht danach um; sie stand unbeweglich und sah vor sich nieder, die Hände über dem Schooße zusammengefaltet; sie mochte sich allein glauben, und dennoch war der Vorfall nicht ohne Zeugen gewesen.

Der Hochzeitlader war in der Thür der Tanzstube gestanden und hatte zugehört. Julei ward es nicht gewahr, daß er näher kam, bis er ihr zutraulich die Hand auf die Schulter legte. „Meine liebe Nahterin,“ sagte er, „mir scheint, Du brauchst Dir Deinen Bündel Grumen (Gram) auch nicht erst zusammenzubinden, kannst ihn gleich über die Achsel hängen.“

Sie wandte sich gegen ihn; wie erstaunt trat er einen Schritt zurück; nicht so sehr deswegen, weil ihr ein paar klare Thränen auf den Wangen hingen, sondern weil ihre Erscheinung überhaupt, insbesondere Form und Ausdruck ihres Gesichts, ihn überraschten. Sie sah den Alten an, und als sie das Wohlwollen gewahrte, das aus dem ehrlichen faltenreichen Angesichte ihr entgegen kam, spielte ein schwaches Lächeln um ihren Mund. „Es ist so arg nit,“ sagte sie, „ich bin nur so ein dummes Ding, dem es manchmal schwer auf’s Herz fallt, daß ich gar Niemand hab’, dem ich’s sagen kann, wenn ich was auf dem Herzen hab’, und daß ich Alles so in mir allein verweinen und verwinden muß.“

„Wo bist denn daheim, Mädel?“ fragte der Alte mit immer steigender Theilnahme. „Hab’ Dich ja noch niemals gesehen.“

„Nirgends.“

„Aber Du mußt doch irgend Jemand haben, dem Du angehörst?“

„Niemand.“

Die Antworten des Mädchens klangen so natürlich und einfach, daß sie durch den Ernst ihres Inhalts eine größere Wirkung hervorbrachten, als die vollendetste Kunst. Dem Alten fing es in den Augen zu jucken an, und er ruhte nicht, bis Julei seine Freundlichkeit durch eine kurze Mittheilung ihrer Verhältnisse vergalt und von ihren Eltern, deren Schicksal, sowie von ihrem eigenen Leben zu erzählen begann: einem steten Wandern ohne Heimath, Ruhe und Ziel. „Es wird mir schon so aufgesetzt sein,“ setzte sie mit schwermüthigem Lächeln hinzu, „oder es liegt mir im Blute, meine Eltern sind ja auch ewig auf der Wanderschaft gewesen.“

„Und weißt Du denn gar nichts weiter von ihnen?“ fragte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_597.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)