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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Als ärztliche Banquiers behandelten die von Geburt an sieche „Flora“ nach- und nebeneinander: Robert Thode u. Comp., Heinrich Quistorp, Julius Grelling und, wohl zu merken! Herr Jean Fränkel, dessen Methode und dessen Honorar-Rechnung in der letzten General-Versammlung großen Anstoß erregte.

Der Lucca-Cultus, hauptsächlich betrieben von Gründern und Börsianern stand 1871 bis 1872 noch in einer Nachblüthe. Das verwöhnte Theaterprinzeßchen, erbost über die ihrer Collegin Mallinger gespendeten Beifallsbezeigungen, erlaubte sich auf offener Scene dem Publicum das Wort „Ungezogenheiten“ in’s Gesicht zu werfen, und dasselbe Publicum beklatschte diese Unverschämtheit. Damals wurde die Reclame verbreitet: die göttliche Primadonna werde sich herbeilassen, in der „Flora“ regelmäßig zu singen, und so das Local eine außerordentliche Anziehungskraft üben. Erster Director wurde Herr von Rhaden, der Gemahl der Lucca, und neben ihm Dr. Martin Ebers. Erster Cassirer war Dr. Albert Jausel, später, an Stelle von David Born, Director des „Landerwerb- und Bauverein“.

Der Bau des Etablissements schleppte sich ungebührlich lange hin, stockte mehrfach, da die Mittel ausgingen, und verschlang unglaubliche Summen. Wahrscheinlich in Folge des schlechten Materials und der mangelhaften Arbeit, stürzte im März 1873 – in demselben Monate, in dem die Droschkenkutscher strikten – der Dachstuhl des großen Saales ein, und die unglücklichen Actionäre sollen den ohnehin beträchtlichen Schaden noch doppelt haben bezahlen müssen. Zum Frühjahre 1873 hatte man die Eröffnung des Locals verheißen, aber erst im Mai 1874 fand sie theilweise statt, waren die ersten Gartenanlagen fertig. Die Presse war zu einer kalten Collation geladen, und etliche ihrer Vertreter versetzten sich, wie ein Localblatt ausplauderte, in stürmische Begeisterung. Im November 1874 wurde der großartig angelegte Concertsaal eingeweiht, aber vollendet ist er noch heute nicht. Das ganze Etablissement ist noch unfertig und überhaupt unsolid aufgeführt. Ueberall, wo man schärfer hinblickt, Flick- und Stückwerk, Lücken und schäbige Surrogate. Die Hauptsache, der Park mit den alten hohen Bäumen, war vorhanden, und im Uebrigen hat der Obergärtner, Herr Glatt, geschaffen, was er konnte. Namentlich das „Rosenparterre“ erntete allgemeinen Beifall.

Die „Flora“, im Prospect auf 1,130,000 Thaler veranschlagt, kostet den Actionären bereits über zwei Millionen. Die Prioritätsanleihen und die gekündigten Hypotheken konnten nur mit ungeheuren Verlusten angeschafft, respective neubesorgt werden. Dazu fehlt es der Gesellschaft nicht nur immer wieder an „Betriebsfonds“ – sie befindet sich auch ewig in Wechselverlegenheiten. Der Executor ist ihr Hausfreund, und eine Version behauptet, daß man ihr im letzten Winter bereits die Palmen(!) abgepfändet hatte. Auch der Vorstand wechselt beständig, und ein Director folgt rasch dem andern. Einer der letzten, Herr Dr. med. Alexander Jacobinus, mußte sich wegen seiner Geschäftsführung, die mit einer Unterbilanz von 267,000 Thalern schloß, in der diesjährigen Generalversammlung herbe Worte sagen lassen und legte, wie es im Berichte sehr lakonisch heißt, „schließlich sein Amt nieder“. Die „Flora“ schwebt täglich in der Gefahr des Concurses, und Keiner vermag ihr zu helfen, denn nie ist ein Weib, und noch dazu eine Göttin, so rücksichtslos behandelt worden. Auch die allergrößte Theilnahme des Publicums kann sie, bei einer Passivlast von über zwei Millionen Thaler, nicht wieder auf die Beine bringen; darum stehen die Actien etwa 15 und selbst die 6procentigen Prioritäts-Obligationen nur circa 25!!

„Central-Bazar“ und „Oeffentliches Fuhrwesen“, „Möbeltransport“ und „Spediteurverein“, „Deutsche“, „Continental“- und „Große Internationale Pferdebahn“, „Admiralsgartenbad“ und „Flora“ – das sind die Früchte der „großen Zeit“, und wie Jedermann sehen kann, lauter faule Früchte. Darum fragen wir: Wo sind die „großen Dinge“?




Der „Bädeker“ des siebenzehnten Jahrhunderts.


Jetzt, wo die jährlich wiederkehrende Zeit der Reiselust und der Lustreisen in voller Blüthe steht, wo so Mancher, seinen Bädeker oder Berlepsch in der Hand, alle Sorgen und Arbeit hinter sich lassend, in die weite blühende Welt hineinzieht, jetzt ist ein Wort vom Reisen und Wandern wohl am Platze.

Allen Respect vor Bädeker, vor seiner Brauchbarkeit und Unentbehrlichkeit! Aber etwas so ganz Neues, eine specifisch moderne Erscheinung ist der „Bädeker“ keineswegs. Der Name ist neu; das Wesen ist alt, Jahrhunderte alt. Es existirte schon im siebenzehnten Säculum. Freilich nicht in der freundlichen rothleinenen Gestalt und der gefälligen Ausstattung, die es im Zeitalter des Dampfes angenommen, sondern in ungelenkem Schweinsleder mit ungefügen Buchstaben auf vergilbtem Handpapiere. Nicht in dem „geliebten Deutsch“ des Doctor Martin Luther, sondern in steifem Lateinisch. Ein gewisser Herr „Rantzovius“, ein gewisser „Julius Bellus“, ein gewisser „David Frolichius“ – Anderer zu geschweigen –, das waren die Bädeker, Berlepsch und Meyer ihrer Zeit.

Da kam nun der Martin Zeiller, ein Mann, wohlbekannt den Geographen und Historikern, der sagte: „Wenn der Deutsche auf Reisen geht, so soll er auch ein deutsches Buch zum Reiseberather und Reisegefährten haben.“ Und so schrieb er im Jahre 1650 seinen „Fidus Achates oder getreuer Reisgefert“. Das Buch kam 1651 „In Verlag Georg Wildeisens zu Ulm“ heraus. Wie Alles uns anzieht, was uns unmittelbar in die Zeit unserer Voreltern versetzt, so hat es auch seinen großen Reiz, das Büchlein zu durchblättern.

Vornan eine Karte von Deutschland, sechs Zoll breit, drei Zoll hoch. Da läßt sich denn freilich nicht viel Detail anbringen. So hat der Rhein alle seine Nebenflüsse bis auf vier eingebüßt; am Main sind nur vier Städte verzeichnet (unter ihnen Nürnberg!); der Thüringer Wald ist durch eine Pappelallee dargestellt etc. Die Karte führt die Umschrift: „Ich will dir den Weg zeigen, den du wandeln solt; Ich will dich mit meinen Augen leiten. Psalm 31.“

Die Angaben sind nichts weniger als eingehend und genau. Von Berlin weiß Zeiller nichts weiter zu sagen, als: „Dies ist die churfürstlich Brandenburgische Hofstadt und das Haupt der Mark Brandenburg, an der Spree gelegen; und ist doppelt, deren einer Theil eigentlich Berlin, der eine aber Cöln an der Spree genannt wird, in welchem auch der Dom oder Stiftskirchen, und das churfürstliche Schloß sammt den zugehörigen Gebäuden, der Schloßkirchen, Canzley, Apotheken, Marstall, Rüstkammer und dergleichen zu besichtigen.“

Aber außer diesen „unterschiedlichen Reisen nach dem ABC“ enthält der fidus Achates eine Einleitung, und die ist das eigentlich Anziehende an dem Buche; sie giebt des Verfassers „unvorgreifliches Bedenken (das heißt: Gedanken), wie die Reisen insgemein wol und nützlichen angeordnet und verrichtet werden mögen“.

Zu näherem Verständnisse ein kurzes Wort über das Reisen in jenen Zeiten. Man reiste meistens mit eigenem Gefährte, auch wohl mit einer Miethskutsche. Der Kostenersparniß wegen schlossen sich wohl Mehrere zusammen. Auch Postvorspann wurde benutzt; doch, wie es scheint, seltener. Auch zu Pferde unternahm man große Reisen in’s Ausland; freilich in jener Gemächlichkeit, wie sie die Epoche des noch schlummernden Dampfes kennzeichnet. Und daß man, unverwöhnter als heutiges Tages, sehr häufig große Reisen zu Fuß antrat: wer, der von fahrenden Schülern und wandernden Handwerksburschen gelesen, wüßte das nicht!

Paßscherereien existirten schon früher, und die Visitationen und Controlirungen an den Stadtthoren gehörten „trotz Regen, Sturm und Schnee“ zur Tagesordnung.

Eine genaue Charakteristik des damaligen Wirthshauslebens würde hier zu weit führen. Die „Herberge“ sollte des Reisenden Heimath in der Fremde sein. Er sollte sich in ihr wohl fühlen. Von all jenen Prellereien und Uebervortheilungen – von den siebenundeinhalb Silbergroschen für Beleuchtung bis zu den hundert oder mehr Procent Profit des Wirths am Wein, von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_588.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)