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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Ferien!“
Ein Brief an Josef Victor Scheffel von Felix Dahn.

      „Hei, Ferien!“ – du Wort voll Fröhlichkeit!
Aufathmend spricht man’s, und es haucht daraus
Wie Morgenluft, die frisch den Wand’rer grüßt.
Man denkt dabei an’s leichte Ränzlein und
Den buchenlaubgeschmückten Reisehut.

      Das ist der Segen der Schulmeisterei,
Daß uns im grauen Haar, wie unsern Jungen,
Das Wörtlein „Ferien“ noch so silbern tönt
Wie in der Knabenzeit: es hüpft das Herz
Mit raschem leicht’rem Schlage bei dem Wort
Und breiter dehnt sich, athmend frei, die Brust.
Wir bleiben selber jung, wir alten Knaben;
Wir wissen’s, wie die jungen Herzen schlagen,
Denn unser eignes Herz ward noch nicht alt.

      O goldner Tag, da vom Gymnasium,
Nach durchgerungener Examenqual,
Muthwillig Abschied winkend dem Pedell
(Der grimm, ein alter Unterofficier,
Nachsah den seiner Macht Entsprungenen),
Halb fliegend durch Alt-Münchens Gassen hin,
In’s Elternhaus zurückschritt „der Student“!

      Am andern Morgen schon mit zwei Cam’raden,
Ging’s auf die Wanderschaft – nicht viele Gulden,
Doch eine ganze Zukunft eitlen Goldes
Im Reiseranzen – in die Ferien.

      So ging’s zum alten Isarthor hinaus,
Gen Rosenheim, den lieben Bergen zu.
Mit welchem Stolz in jedes Fremdenbuch
Der Landwirthshäuser (gar nicht Vorschrift war’s)
Schrieb man den Namen und: „Student aus München“.
Und wie wir auf der Fraueninsel dann
Im blauen Chiemsee – Freund, du kennst sie gut –
Den jungen Malern, die den Gymnasiasten
Nur wenig Ehr’ gegönnt, jetzt überlegen
Den „Universitäts-Studenten“ zeigten!

      O blaue Berge meines Heimathlandes,
O duft’ge Jugendzeit – wie liegt ihr fern!
O rascher Schritt durch’s saub’re fremde Städtchen,
O frischer Stegreistrunk am Thor der Schenke,
O Lieder, fremde, eig’ne, auf der Straße
Gefunden und gegeben: kleine Sträuße,
Dem Wanderbursch’ halb scherzhaft nachgeworfen ,
Von Mädchenhand wohl über’n Gartenzaun!
O duft’ge Jugendzeit – wie bist du fern!
Nichts mag der ersten Ferienreise doch
An Unschuld und an Hoffnung sich vergleichen.
Das sind des Lebens Osterferien.

      In weiß und rothen Frühlingsblüthen prangt
Das Dasein, und wie Osterglocken klingt es:
So edel und so feierlich, so rein
Und so verheißungsvoll. –
Nun, jede Knospe kann zur Frucht nicht reifen:
So Manche fiel vom Frost, vom Wurm zerstört,
Von eig’ner Hand bedachtlos abgestreift.

      Es steht uns an, uns dankbar zu bescheiden
Mit der gereiften Ernte, und den Sternen
Für still gestreuten Segen fromm zu danken,
Denn manche Saat ist besser uns gediehen,
Als eig’ne Kraft und Müh’ zu hoffen gab. –
Und der Professor auch hat Ferien
Zum Glücke, nicht nur der Student allein. –
Herbstferien freilich sind’s, nicht Frühlingsferien.
Nicht Apricosenblüthen nicken rosig
Ob unserm Haupte mehr aus Maiengrün,
Doch der September ist ein weis’rer Mai,
Und nur der Herbst giebt klaren, gold’nen Wein. –

      Wie wird noch heute jung das Herz, wenn nun
Zu Ende sich das Sommerhalbjahr schleppt!
Bald ist der letzte Paragraph erreicht
Und ungeduldig harrt der Studio,
Ob morgen oder übermorgen erst
Das allerletzte „Meine Herr’n“ ertönt. –
Da schlägt die Uhr (die allzu langsam geht)
Durch’s Marmoratrium: „Nun Dank, ihr Herr’n,
Daß ihr so lang getreulich ausgehalten!
Gedenket dieser Stunden gern – Lebt wohl!“

      Vergnügt geht’s an der Ecke nun vorbei,
Die viermal jeden heißen Julitag,
Die schattenlose, grollend man passirte.
Daheim steht, schon der Koffer, wohl gepackt;
Zu langer Trennung ist das Haus bestellt,
In Flor gehüllt Apoll und Zeus von Gips;
Das Manuskript des Buchs, des werdenden,
– Ach des Professors einzig Werthpapier! –
Wird dem befreundeten Banquier vertraut.
Ein letzter Blick auf die Excerpte noch:
„Die machten Mühe – fern aus Mailand kam
Der Codex – achten Sie darauf, Herr Hirsch!“
„Da liegt noch mehr, was nicht verbrennen darf,
In diesem Arnheim. Gute Ferien!
Erholen Sie sich! – ich hab’ niemals Ferien.“ –

      Nicht mehr zu Fuß geht’s nun zum Thor hinaus:
Das Dampfroß schleppt uns fort von Stadt zu Stadt,
Bis endlich Berg und Wald und See uns grüßt,
Und seßhaft, nicht mehr flugs in Wanderung,
Wird wohlverdiente Muße nun gekostet.
Manch Lieblingsbuch, das im Semesterdrang
Muß unberühret stehn, ward mitgenommen:
Ein Bändchen Goethe für den Waldspaziergang,
Für Ruh’n am Meeresstrand die Odyssee,
Fritz Reuter für den heitren Abendtrunk;
Doch nur beim besten Glase Rheinwein wird
Frau Aventiure tropfenweis geschlürft. –

      Ja, manch gelehrt Problema, d’ran vergeblich
Im Lärm der Stadt und der Geschäfte Hast
Der abgemüdete Gedanke drehte,
Fällt nun von selbst, wie reife Frucht, gelöst,
Erschlossen in den Schooß des Sinnenden,
Im Schatten hoher feierlicher Wipfel,
Am Seegestad’ im Flüsterwort der Wellen;
Der ausgeruhte Geist taucht ganz in sich
Und hebt sein Bestes still aus seinen Tiefen.

      Doch zuviel Muße trägt kein Rüstiger:
Wenn allzufrüh des Abends Schatten sinken,
Dann aus Italiens grünsten Myrthenhecken
Zieht’s zu dem schlichten Pult mich zwingend heimwärts,
Das aus der Schulzeit unverändert ich
Vom Isarstrande mitgeführt zur Ostsee,
Und eher nicht beschwichtet sich der Geist,
Bis wieder traulich am Octoberabend
Die Lampe brennt auf altgewohntem Tische
Drauf alte Götter mir und alte Bücher,
Die treuen Studiengenossen, winken.
Und leise Ungeduld ersehnt den Tag,
Der wiederum auf das Katheder ruft,
Der deutschen Jugend deutsches Recht zu weisen.
      Wohl dem, der wie aus Arbeit sich zur Muße,
Aus Muße sich zu seiner Arbeit sehnt!
      So laß’ uns denn noch eine Weile schaffen.
Die tücht’gen Jungen auch was Tücht’ges lehrend
(Mir schlägt das Herz, schau’ ich die wack’re Schaar,
Die tragen soll des deutschen Reiches Ehre,
Wenn lang’ die Augen sich geschlossen, die
Den Pulverdampf von Sedan qualmen sahn),
Bis endlich, nach dem letzten der Semester,
Die „großen Ferien“, die da nicht mehr enden,
Für immer schließen Mund mir und Colleg!




Deutschlands große Werkstätten.
Der Bochumer Verein.

An der Wasserscheide zwischen Ruhr und Embscher, drei Meilen vom alten Dortmund nach Westen und gleich diesem durchschnitten von der alten Handels- und Heerstraße des Hellweg, lag vor vierzig Jahren ein westphälisches Landstädtchen, dessen dreitausend Einwohner vom Ertrage ihrer Felder und Heerden lebten, dessen berühmtester Sohn und literarischer Localheros Dr. Kortüm war, der geistige Vater des gottseligen Candidaten Hieronymus Jobs und anderer, der Literatur zur Zeit nach vorenthaltener kräftiger und saftiger Scherze. „Kau-Baukum“ hieß es im Munde des Volkes, auf Hochdeutsch Kuh-Bochum, zum Unterschiede vom nahegelegenen Dorfe Alten-Bochum und mit ironischer Beziehung auf seinen vollständig dörflichen Charakter und Anstrich. In die nicht westphälische Außenwelt drang sein Name meist wohl erst, als die Köln-Mindener Eisenbahn auf ihrer Strecke Dortmund-Oberhausen das auf ihrem nächsten Wege liegende Städtchen zwar in großem Bogen umging, aber doch seinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_541.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)