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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Die zukünftige Wohnung des Reichskanzlers.
Eine historische Erinnerung.


Mit erhöhtem Interesse richten heute die Bewohner der Kaiserstadt die Blicke auf ein altes Schloß, an welches sich manche Erinnerungen aus der Geschichte des Hauses der Hohenzollern knüpfen – auf das „Palais“ Radziwill.

In Berlin weiß Jedermann, daß dieses Schloß, welches wir unseren Lesern heute im Bilde vorführen, in der Wilhelmsstraße Nr. 77 liegt, zwischen den Linden und der Leipzigerstraße, also dem sogenannten vornehmen Theil derselben. Nach fast hundertjährigem Besitz hat die fürstliche Familie von Radziwill im Frühling dieses Jahres das Palais für sechs Millionen Mark an den Fürsten Bismarck zu Staatszwecken verkauft, zunächst zum inneren Umbau und zur Errichtung einer Dienstwohnung für diesen selbst. Es steht zu hoffen, daß der kunstsinnige Fürst mit schonender Hand an die Umwandlung gehen und die vielen werthvollen historischen Reminiscenzen nicht verwischen lassen wird, die auf den Mauern des Palais Radziwill zu lesen sind. Das schöne Gebäude ist vollständig im Rococostyl des vorigen Jahrhunderts gehalten. In Frankreich, namentlich in Paris, im Faubourg St. Germain, giebt es noch einige ähnliche Schlösser, auch in Münster und Breslau haben die alten Adelsgeschlechter diese Bauart vielfach nachgeahmt. In Berlin existirt noch ein ganz genau so construirtes Gebäude, ein völliges Zwillingsschloß des Palais Radziwill, das jetzige Hausministerium, ebenfalls in der Wilhelmsstraße gelegen und auch durch das Machtwort eines Königs entstanden.

Im vorigen Jahrhundert zeigte Berlin kaum den Keim einer Weltstadt. Die grüne Wildniß des Thiergartens schien unentwirrbar, und die winzigen Häuser der Berliner Bürger gefielen den neuen Königen durchaus nicht. Friedrich der Erste und Friedrich Wilhelm der Erste sannen unablässig auf Mittel, die mattherzige Baulust der Bürger der Residenz zu beleben; sie verschenkten Grundstücke mit freiem Bauholz und allerlei Privilegien an ihre Unterthanen, um die Stadt zwangsweise zu vergrößern, waren aber selten mit den Ergebnissen ihrer Bemühungen zufrieden.

Friedrich Wilhelm der Erste beschloß deshalb, eine ganze Straße nach seinem Geschmacke anlegen zu lassen und befahl, vom Thiergarten, seinem Eigenthum, hinreichenden Raum dafür abzutheilen. Das Thor stand damals noch dicht am Ausgange der Linden, und das Behrenthor in der Behrenstraße mündete ebenfalls in den Thiergarten. Dasselbe wurde demnächst beseitigt, um der Wilhelmsstraße Platz zu machen. Auf besonderen Befehl des Königs mußten einige Generäle und höhere Hofbeamte sich in dieser ansehnliche „Palais“ errichten, die durch einen „cour d’honneur“ von der Straßenflucht abgetrennt sein sollten. Es waren: das Schwerin’sche, jetzt Hausministerium, das Schulenburg’sche, später Fürst Radziwill’sche, und das Vernezober’sche, jetzt Prinz Albrecht’sche Schloß.

Die Erbauung des Schulenburg’schen (Radziwill’schen) fand in den Jahren 1738 und 1739 statt; doch trägt das darüber ertheilte Privilegium schon das Datum: 21. September 1736. Der Erbauer war der Generalmajor, Graf Adolph Friedrich von der Schulenburg, dessen Name oft mit der Beifügung Wolfsburg geschrieben wurde. Er stand beim König Friedrich Wilhelm dem Ersten in besonderer Gunst und war ein stehender Gast des bekannten Tabakcollegiums, obwohl er das Rauchen nicht vertragen konnte. Der König gestattete ihm deshalb eine leere Thonpfeife im Munde zu halten. Durch eine eigenthümliche Schickung wurde das Palais seines Lieblings dem Könige verhängnißvoll. Bei der Einweihung des neuen Gebäudes fand nämlich eine große Festlichkeit statt, welcher der König beiwohnte. Der Speisesaal war nicht zu erwärmen gewesen, da er wahrhaft riesengroße Ausdehnungen hatte und durch zwei Stockwerke ging. In Folge dessen erkältete sich der König auf’s Heftigste. Er mußte seit diesem Schulenburg’schen Feste das Zimmer hüten und starb an den Folgen dieser Erkältung im nächsten Jahre.

Graf Schulenburg erfreute sich auch der Gunst des jungen Königs Friedrich des Zweiten und machte unter ihm als Generallieutenant die Schlacht bei Mollwitz mit, in welcher er seinen Tod fand.

Bis zum Jahre 1759 residirte die Schulenburg’sche Familie in dem Palais. Der nächste Bewohner desselben war der Prinz August Ferdinand, jüngster Bruder Friedrich’s des Großen. Nachdem er sich 1757 mit der Prinzessin Louise von Brandenburg-Schwedt vermählt hatte, miethete er das Schulenburg’sche Palais für einen prinzlichen Hausstand und bewohnte es längere Zeit hindurch. Die Familie Schulenburg entschloß sich im Jahre 1791, ihr Palais für den jetzt lächerlich niedrigen Preis von dreißigtausend Thalern zu verkaufen und zwar an den Geheimenrath Boumann, der es aber unter der Hand auf Befehl des Königs Friedrich Wilhelm des Zweiten erstand. Es war für die Geliebte desselben, die Gräfin Friederike Wilhelmine von Dönhoff bestimmt, und der König bewilligte dreizehntausendvierhundertsechs Thaler zur Ausschmückung und zum Umbau.

Aber schon 1795 verkauften die Kinder dieser gräflichen Besitzerin das Palais an den Fürsten Michael Radziwill, Woiwoden von Wilna. Dieser war durch seine großen Besitzungen in dem dreimal getheilten Polen Unterthan des Königs von Preußen geworden und wollte in der Hauptstadt desselben einen eigenen Wohnsitz haben. Der Fürst Radziwill bezahlte sechszigtausend Thaler für das Palais, also bereits doppelt soviel wie die ersten Verkäufer erhalten hatten. In gleichem Fortschritte hat sich wohl so ziemlich in jedem Jahrzehnte der Werth desselben gesteigert. Die verhältnißmäßig kostspielige Erwerbung des Schulenburg’schen Palais wurde wohl mit Recht damals in Beziehung mit der Vermählung des ältesten Sohnes des Fürsten Radziwill gebracht. Dieselbe fand schon im folgenden Jahre statt, und zwar mit der Tochter des früheren prinzlichen Bewohners des Palastes, der Prinzessin Friederike Dorothee Philippine Louise von Preußen.

Der Fürst Anton Radziwill war erst neunzehn Jahre alt, als er sich mit der Prinzessin Louise von Preußen vermählte; sie selbst hatte bereits das sechsundzwanzigste Lebensjahr erreicht, war aber eine blühende Schönheit und wurde von ihrem jungen Gemahl leidenschaftlich geliebt. Er vereinigte alle ritterlichen Eigenschaften seines fürstlichen Stammes mit den liebenswürdigsten, echt menschlichen Charakterzügen; er war eine reichbegabte Künstlerseele. Seine Tondichtungen, namentlich die zum Faust, haben seinen Namen unsterblich gemacht.

Da der Fürst jedoch keinem regierenden Hause angehörte, so wurde seine Verbindung mit einer preußischen Prinzessin für ein ungewöhnliches Ereigniß gehalten. Man hatte es schnell vergessen, daß die Radziwills einem ebenso alten Stamme wie die Hohenzollern angehörten. Zuerst wird ein Radziwill in einer Urkunde vom Jahre 1401 als Mitglied des hohen litthauischen Adels oder Herrenstandes genannt. Die Besitzungen der Radziwills waren immer sehr bedeutend. Nach einem Verzeichnisse aus dem Jahre 1750 gehörten dazu dreiundzwanzig feste Schlösser, vierhundertsechsundzwanzig größere und kleinere Ortschaften mit städtischen Einrichtungen, zweitausendzweiunddreißig Vorwerke und zehntausenddreiundfünfzig Dörfer. Die Einkünfte der Radziwills wurden zu derselben Zeit auf siebenundzwanzig Millionen polnische Gulden, gleich dreizehneinhalb Millionen jetziger Reichsmark geschätzt. Die Fürsten Radziwill geboten über eine Hausmilitärmacht und zwar über eine so bedeutende, daß die Könige von Polen sich stets eifrig um die Hülfe derselben bewarben.

Die Schenkungsacte, durch welche der Vater des Fürsten Anton von Radziwill diesem das Palais in der Wilhelmsstraße übergab, datirt zwar erst aus dem Jahre 1823, aber factisch besaß und bewohnte er das Schloß seit 1796. Er mußte auch die Hypothekenschulden mit übernehmen, welche auf dem Grundstücke hafteten; die bedeutende Forderung gehörte einem Berliner Bürger, dem später als Commandanten und Obersten der Nationalgarde bekannt gewordenen Peter Anton Jordan. Die Zinsen und Abgaben zu bezahlen, wurde dem jungen Fürstenpaar ziemlich schwer, besonders in den unglücklichen Jahren, welche dem Kriege von 1806 folgten. Preußens Finanznoth wurde von seinen sämmtlichen Bewohnern mit empfunden, auch von den vornehmsten. Der König Friedrich Wilhelm der Dritte konnte bekanntlich damals seiner Tochter, der nachherigen Kaiserin von Rußland, nur fünf Thaler zum Geburtstage schenken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_511.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)