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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


eine neue, wunderbare Welt von kaum geahntem Formenreichthum vor unseren Blicken enthüllt.

Schöner und angenehmer kann es der Forscher, wie unsere Illustration ihn darstellt, mit dem Sextanten oder vielmehr dem Reflexionskreise in der Hand und im Begriffe, eine Sonnenhöhe zu messen, wohl nicht treffen. Unter den gewaltigen Wedeln einer Uauassú-Palme (Attalea) wird da der leichte Tisch aufgeschlagen, der die sorgsam gehüteten Chronometer trägt. Weithin schweift der Blick vom hohen Ufer über den breiten Strom und seine palmengekrönten Inseln.[1]

Aber nicht Vielen ist es vergönnt, Theil zu nehmen an derartigen Expeditionen in’s wenig bekannte Innere, und für den Naturfreund wäre daher bei alledem wenig zu hoffen, wenn sich nicht ganz in der Nähe der Küste und hart bei großen, volkreichen Städten ein Theil wenigstens jener Schönheiten noch fände, die jene fremde Welt uns so reizvoll erscheinen lassen, und den Besuch solcher Punkte, zu denen gerade Rio de Janeiro und seine Umgebung gehört, glaube ich, selbst auf die Gefahr hin, der Reclame für die Gesellschaftsreisen des Herrn Burmeister beschuldigt zu werden, unserem reiselustigen Publicum, und besonders jenem Theile desselben, der den Orient schon gesehen und nach Neuem dürstet, angelegentlichst empfehlen zu müssen.

F. Keller-Leuzinger.




Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
III.
Der Flaneur. – Die Putzliebe der römischen Frauen. – Die römische „Hausehre“. – Am Fenster. – Die Römerin als „Padrona“. – Der Wasserreichthum Roms. – Eine Geschichte aus dem Albanergebirge. – Die Römerin in ihrer Leidenschaft für Wagen und Pferd. – Die Metropole der Schönheit. – Südlicher Himmel und südliche Sonne. – In den Osterien. – Die Lebenslieblichkeit in Rom. – Der Anstand der Frauen. – Ein Ball im Boliteama.

Der Römer der bessere Classe, der den Tag über auf dem schmalen Trottoir des Corso flanirt, dort das Gedränge in der unnützesten Weise vermehrt, nur dann ausweicht, wenn man ihm ebenso rücksichtslos auf den Leib rückt, und die ihm begegnenden Frauen mit anmaßendem und herausforderndem Blicke mustert, ist gefallsüchtig und bis zum Uebermaße eitel; geschniegelt vom Kopfe bis zur Zehe, gleicht er einem Gecken auf’s Haar, und die Fragen der Toilette, die Sorgen um den neuesten Kleiderschnitt, um das wohlriechendste Haaröl, um den elegantesten Stiefel nehmen offenbar den größten Theil seiner ohnehin nicht kostbaren Zeit in Anspruch. Er ist, um es kurz zu sagen, noch immer das, was schon die Alten mit dem verächtlicheb Namen eines bellus homo, eines stutzerhaften Menschen bezeichneten und wovon schon der geistvolle Spötter Martial wiederholt eine so treffliche Schilderung gegeben hat. „Ein Stutzer willst Du sein,“ ruft er einmal einem Freunde zu, „und zugleich ein großer Mann scheinen? Aber wer ein Stutzer ist, ist immer klein.“ Und gerade auf dem Corso, gerade auf dem Monte Pincio empfiehlt es sich heute noch dringend, jener Schilderung eingedenk zu sein, die der römische Dichter vor nun bald zweitausend Jahren von seinen Zeitgenossen gegeben hat, um dann im Hinblick auf die Gecken des heutigen Rom resignirt mit Seume zu sagen: „Die Menschen sind, was Menschen immer waren.“

Uebertroffen wird der Römer in seiner kleinlichen, peinlichen Sorge für Mode und Modethorheit nur von den Frauen des eigenen Landes, die auf der Straße gleichfalls eine Putzliebe zeigen, die, obwohl sie den Töchtern Eva’s aller Länder eigen sein soll, hier doch sofort und besonders auffallend und gepflegt in die Augen springt. Eine römische Frau mit ihren Ansprüchen an prunkvolle Straßentoilette mag ihrem Manne manche schwere Stunde bereiten, und dabei thut der sparsameren deutschen Frau das Herz bis in’s Innerste weh, wenn sie sieht, wie hier die kostbarsten Stoffe, der schwerste Sammt, die schwerste Seide in endlos langer Schleppe schonungslos durch den Schmutz und den Staub der Straße geschleift werden. Dafür freilich pflegt sich die Römerin der Mittelclasse zu Hause in einem Aufzuge zu zeigen, den eine deutsche Frau, selbst aus dem Arbeiterstande, nimmermehr für präsentabel würde gelten lassen. Ist schon die Wohnung mit ihrer ganzen Einrichtung, mit ihren klaffenden Thüren, mit ihren vor Schmutz blinden Fenstern, mit ihren alten, abgenutzten Möbeln, mit ihren staubigen Teppichen, mit ihren grauen Gardinen überaus kahl, öde und dunkel, so sind die Kleider, in welchen die Frauen und Mädchen hier am Hausaltare ihres priesterlichen Amtes zu walten pflegen, noch um so älter, um so zerrissener, um so schmutziger. Ein deutsches Auge muß sich erst daran gewöhnen, über solche Mängel, denen eine Römerin beim besten Willen keine Bedeutung zuzuerkennen vermag, zuletzt gleichfalls lächelnd hinwegzusehen, und ein Mann, der etwa Anlagen hätte, nervös zu werden, wenn er das Hauskleid einer Frau alle Tage mit denselben Löchern und denselben Flecken müßte erscheinen sehen, der wäre hier übel genug berathen. Auch denken wohl die meisten Römerinnen, wie meine Padrona: „Gold deckt die Schande zu,“ und hängen über den zerrissenen Fetzen, mit welchem sie ihre Blöße verhüllen, eine schwere goldene Kette, die denn in ihren Augen alles Andere wieder ausgleicht und gut macht.

Wie sollte aber auch eine römische Frau, ein römisches Mädchen dazu kommen, ihre Kleider zu flicken, die Gardinen zu waschen, die Teppiche zu reinigen und die Fenster zu putzen? Der große Geschichtschreiber Niebuhr, der, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, den staatlichen Umschwung und die politische Erhebung der letzten Jahre zu erleben, vielleicht ein weniger unbarmherziges und weniger vernichtendes Urtheil über die Italiener und namentlich über die Römer der Gegenwart ausgesprochen hätte, erzählt in einem seiner Briefe aus Rom allen Ernstes davon wie „ganze Familien – nicht von den Domestiken zu reden – im Winter um die Kohlenbecken schlafen und manchmal ersticken, aus bloßer Langeweile.“ Hier scheint freilich einige Uebertreibung mit unterzulaufen und als wahr bleibt nur das Andere zurück, was Niebuhr sonst noch über die ihn arg empörende „Faulheit“ des römischen Volkes sagt, so grob es auch klingen mag. Thatsache indessen ist, daß die Römerin zu Hause wenig oder gar nichts arbeitet; vom wohlthätigen Einflusse der frischen Luft auf ihre Gesundheit fest überzeugt, bringt sie vielmehr die größte Zeit im unbeschränkten Genusse derselben am Fenster zu, und ist von den kleinen Begebenheiten des Tages, die zu ihrem Schauplatze die öffentliche Straße zu haben pflegen, so ernsthaft in Anspruch genommen, daß bald alles Dasjenige, was die beschränkte deutsche Frau ängstlich als ihren Pflichtkreis anzusehen liebt, weit hinter ihr liegt in wesenlosem Scheine.

Wozu auch die Fenster putzen, wenn man am Ende nur Schaden davon hat? Eine deutsche Familie bezog eine im Erdgeschoß gelegene Wohnung, deren Fenster auf einen Garten gingen. Die Katze des Hauses hatte sich bald mit den Forestieri befreundet und gewöhnte sich, ihren Besuch durch die offenstehenden Fenster zu jeder Zeit des Tages abzustatten. Da trat kühleres Regenwetter ein und man sah sich genöthigt, die Fenster zu schließen. Von diesem Augenblicke herrschte im Zimmer ägyptische Finsterniß, denn die Scheiben, wie sich jetzt erst herausstellte, waren von oben bis unten mit einem Schmutze bedeckt, der sich nur im Laufe langer Jahre hier konnte abgelagert haben und der geradezu antik genannt werden durfte. Beschwerden bei der Padrona blieben fruchtlos. Endlich entschloß

  1. Wir glauben im Interesse unserer Leser ausdrücklich hervorheben zu müssen, daß der durch sein reich illustrirtes Reisewerk: „Vom Amazonas und Madeira“ wohl bekannte Autor, der lange Jahre hindurch die Urwälder Brasiliens durchstreift, Straßen und Eisenbahnen entworfen und gebaut hat, sich selbst auf dem vorliegenden, ganz aus der Wirklichkeit gegriffenen Bilde darstellte, und zwar in der Figur Desjenigen, der das Meßinstrument in der Hand hält.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_479.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)