Seite:Die Gartenlaube (1875) 468.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Gemeter soviel daran liegt, kann ich’s ihm ja wohl erzählen. Das ist nämlich so gewesen: der Zachariesel ist meiner Tochter schon lang zu Gefallen gegangen, und sie ist ihm auch nicht feind gewesen, justament. Einmal aber, wie er gerade bei uns im Heimgarten gewesen ist und wir in der Stuben bei einander gesessen, sind, da hat’s im Mühlgange zu läuten und zu klappern angefangen, der Zumüller ist weggelaufen gewesen und hat das Aufschütten vergessen gehabt. Wie ich dann in aller Geschwindigkeit hinaus bin in die Mühl’ und habe das Rad sperren wollen, hab’ ich’s in der Eil’ und in der Unachtsamkeit verseh’n und wär’ über’n Gang hinuntergestürzt, wenn mich der Zachariesel nicht beim Janker gehalten hätte – da hab’ ich mich von dem Fallen erretten können, er selber aber hat darüber das Gleichgewicht verloren und ist statt meiner hinunter gefallen. Hat sich weiter keinen Schaden gethan als einen blauen Fleck und eine Beule über’m Aug’. Das Mädel aber bleibt dabei, der Zachariesel hätt’ sich für mich aufgeopfert und hätt’ mir das Leben gerettet, und von diesem Augenblicke ist’s gewesen, als wenn man ihr ein Feuer angezündet hätte; sie hat seitdem auf dem nämlichen Horn geblasen und ich hab’ nicht Nein gesagt, damit doch wieder einmal eine Ruh’ und ein Frieden ist hergegangen im Haus’.“

Der verunglückte Bewerber hatte schweigend zugehört, eh’ er aber etwas erwidern konnte, ward es in der Zechstube so laut, daß es den Anschein gewann, als hätten die übermüthigen Bauernbursche nicht übel Lust, von Liedern und Worten zu Thaten überzugeh’n. Stoff dazu war in Fülle vorhanden. Wenn einerseits die übergroße Zärtlichkeit des Paares ihre Lachlust und ihren Spott herausforderte, war dies doch noch mehr mit dem Geometer der Fall. Es war nicht verborgen geblieben, daß er um die Müllerstochter gefreit habe. Der Müller selbst hatte es überall erzählt, weil er sich etwas darauf zu gute that, daß seine Mechel auch einen städtischen Freier gefunden habe. Die Bursche aber gönnten das hübsche reiche Mädchen doch am liebsten Einem, der ihres Gleichen war, und hatten ihre Lust daran, daß der Stadtherr abgeblitzt war. Auch seine Kleidung dünkte ihnen lächerlich; sie nannten ihn nicht anders als den Canarienvogel und fanden, daß er einem solchen auch in der Betrübniß gleiche und dasitze, als wenn er eben in der Mauser wäre und anfinge, die Federn zu verlieren.

Die beiden Paare waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie diese Stimmung gewahr geworden wären. Sie hörten es nicht, als die fast ununterbrochen forttönenden Schnaderhüpfel allmählich immer spitziger wurden und immer deutlichere Anzüglichkeiten enthielten. Als die Liebenden eben die Köpfe zusammensteckten und mit einander flüsterten und der Eine sang:

“Was bedeut’t denn das Sumsen?
Was bedeut’t denn das G’schleck?
Muß ein Hönig (Honig) verschütt’ sein
Dort hinten am Eck –“

da antwortete ein Anderer so rasch, als wäre es ein bloßer Widerhall, der von selber zurücktöne:

„Geh’ nit hin zu dem Sumsen,
Geh’ nit hin zu dem G’schleck,
Bleibst im Hönig sonst pappen,
Kommst nimmer vom Fleck!“

Ein Dritter war nicht verlegen, die Kosenden in anderer Weise zu verspotten, indem er zuerst das Girren einen Täuberichs nachahmte und dazu sang:

„Und der Spatz und der Hacht (Habicht)
Jeder hat sein Weiberl:
Und Dein Tauber bin ich,
Du mein Turteltäuberl.“

Unter lärmendem Gelächter wurde der Absatz wiederholt, bis ein Vierter, des Stadtherrn gedenkend, also anhob:

„Was will der Canari
Auf unserer Heck’?
Die Dacheln (Dohlen) bald (wenn) wild werd’n,
Die hacken ihn weg.“

Das Gespräch der Liebenden war inzwischen immer wärmer und zärtlicher geworden. „Wirst mich aber auch alleweil so gern haben?“ flüsterte das Mädchen. „Wirst mich auch noch mögen, wenn wir einmal zwanzig Jahr verheirathet sind und wenn ich alt und schiech (häßlich) geworden bin?“

„Wie Du nur so fragen kannst!“ erwiderte der Bursche und drückte ihr zärtlich die Hand. „Und wenn wir tausend Jahr verheirathet wären, ich hätt’ Dich in der letzten Stund’ so gern wie in der ersten, und was das Altwerden betrifft, das ist eine gemeinsame Sach’, dem kommt man nicht aus; was aber das Schiechwerden angeht, auf das lass’ ich’s ankommen bei Dir, das bringst Du gar nicht zuwegen.“

„Du bist halt mein lieber guter Bub,“ entgegnete das geschmeichelte Mädchen. „Du bist mir an’s Herz gewachsen, daß ich nimmer leben könnt’ ohne Dich.“

„Und ich könnt’ nicht leben und nicht sterben ohne Dich,“ sagte der zärtliche Bursche. „Und wenn’s sein müßt’, und wenn ich sterben thät’ und müßt’ fort von der Welt, ich haltet’s im Himmel droben nit aus; ich käm’ wieder zurück, und thät’ weizen (spuken), nur damit ich bei Dir bleiben könnt.“

„Du bist halt ein Lapp,“ sagte das Mädchen, „was hätten wir von dem Weizen? Nein, ich habe im Kloster eine Geschichte gelesen von zwei Verliebten im Venedigerlande, die mit einander gestorben sind, weil sie sich nicht haben kriegen können; so thäten wir’s auch machen.“

„Mir ist Alles recht. Wo Du hingehst, da geh’ ich mit, in den Himmel, in’s Fegefeuer und in die Höll’. Wenn ich nur ein paar Tage nicht bei Dir gewesen bin, da geht mir Alles verkehrt. Mir schmeckt kein Essen und Trinken mehr – da ist mir allemal wie unserem Schimmel, der immer mit dem Schecken zusammen gespannt wird. Wenn der Scheck einmal auswärts ist, da ist er kaum vom Flecke zu bringen und rührt kein Futter an, und wenn ich ihm den besten Hafer vorschütten thät’.“

Das Mädchen rümpfte die Nase und entzog ihm die Hand. „Wie Du wieder daher redst!“ sagte sie mit unwilligem Anfluge. „Wer wird denn die Lieb’ mit seinen Rössern vergleichen!“

(Fortsetzung folgt.)




Bilder aus dem jüdischen Leben.
1. Polnische Schnorrer.

Wer kennt sie nicht, jene langaufgeschossenen Gestalten in den herabwallenden Gewändern, wie sie alljährlich Deutschlands Gauen bettelnd und schachernd durchwandern!

Wer hätte sie nicht schon gesehen, jene stereotypen, scharf geschnittenen Gesichter mit den wirr gelockten Haaren und den mächtigen Bärten, mit den hell blitzenden Augen und den kühn hervortretenden Nasen! Jahraus, jahrein, ununterbrochen durchwandern sie gleich unermüdlichen Touristen die Städte und Dörfer Deutschlands bis zu den äußersten Grenzen und darüber hinaus; ganze Carawanen, Vertreter jedes Alters und Geschlechts, Frauen, Kinder, Männer und Greise durchziehen sie von jenseits der Wolga bis zur Weichsel, von der Weichsel bis zum Rhein die Gelände des gottgesegneten Deutschland, als sollten an ihnen erfüllt werden die Worte des Herrn: „Unstät und flüchtig sollst du sein auf Erden.“

Fragen wir uns nach den Ursachen, die den polnischen Juden veranlassen, den Wanderstab zu ergreifen und sein Heimathland zu verlassen, so drängt sich uns die Frage auf: ist es eigenes Verschulden, Scheu vor Arbeit und Verdienst, oder eine äußere Macht, der Trieb der Selbsterhaltung, der Kampf um’s Dasein, der ihn zwingt, seine heimathliche Stätte zu verlassen? Beide Fragen haben ihre entschiedene Berechtigung, und doch dürfen wir uns nicht verhehlen, daß den größten Theil der Schuld die gesellschaftlichen Zustände Polens und Rußlands tragen, die in ihrer Ungewöhnlichkeit geradezu erschreckende Menschenbilder zu Tage fördern.

Vergegenwärtigen wir uns den Lebensgang eines polnischen Juden, wie er sich im Allgemeinen gestaltet. Schwächlichen und unreifen Eltern entstammend, verbringt er seine Kindheit in Schmutz und Elend, wächst er auf in der Gesellschaft corrumpirter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_468.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)