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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Friede im Hause und Revolution in der Glashütte.

„Das Glas hat eigentlich nur einen einzigen Fehler,“ seufzte unser Freund, ein alter Junggesell, als wir an einem nachwinterlichen Märztage zu Dreien hinter der zwei Meter hohen Spiegelscheibe einer behaglich warmen Conditorei saßen und wohlgeschützt dem Unwetter und Schneetreiben auf der Straße zuschauen konnten, „den großen Fehler, daß es so spröde ist wie die jungen Mädchen, und diese Unart nicht einmal, wie diese doch zuweilen thun sollen, im Alter ablegt. Denkt Euch, gestern ist einer von meinen schönen, prächtigen, alten Humpen –“

„Den Weg alles Glases in den Müllkasten gewandert,“ ergänzte sein Nachbar, der Oberlehrer, als er sah, daß dem Liebhaber um sein schönstes Stück die Augen feucht wurden, „nun, Sie werden gehört haben, daß man diese Unart auch dem Glase künftig abgewöhnen wird und daß es mit den schönen Sprüchwörtern: ‚Glück und Glas‘ – ‚Wer in einem Glashause sitzt‘ und wie sie sonst noch heißen mögen, Matthäi am Letzten steht.“

„Ich habe es gelesen, glaube aber nicht daran,“ sagte der Liebhaber mißmuthig.

„Ich sehe keine Veranlassung zum Zweifel,“ erwiderte der Schulmeister, „und übrigens ist das durchaus keine neue, sondern eine ganz alte Entdeckung, die man bereits in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnuung gemacht hat. Plinius erzählt im vorletzten Buche seiner Naturgeschichte, daß zur Zeit des Kaisers Tiberius ein römischer Künstler erfunden habe, biegsames Glas zu machen, daß man aber seine Werkstätte zerstört habe, damit einem so fehlerfreien und vollkommenen Material gegenüber nicht Gold, Silber und Kupfer ihren Werth verlieren möchten. Petronius, der Vertraute Nero’s, berichtet, daß der Künstler mit einer aus feinem neuen Glase gefertigten Vase vor dem Kaiser (Tiberius) erschienen sei, um sie ihm als Geschenk zu bieten, und daß er sie in dem Augenblicke, wo dieser sie habe fassen wollen, auf den Estrich geworfen habe. Der Kaiser sei äußerst erschreckt zurückgetreten, als der Künstler die Vase aufgehoben und ihm gezeigt, daß sie nur eine kleine Beule davongetragen, welche er mit einem in seinen Gürtel mitgebrachten Hämmerchen sogleich wieder beseitigt habe. Der Künstler, fügt Petronius hinzu, glaubte den Olymp sich ihm öffnen zu sehen, als der Kaiser ihn frug, ob noch ein Anderer um das Geheimniß, solches Glas zu machen, wisse, aber als er dies verneinte, ließ er ihn enthaupten, unter dem Vorwande, daß eine solche Kunst schädlich sei, weil sie das Gold entwerthen würde. Der wahre Grund, meine ich, könnte wohl nur gewesen sein, daß Tiberius der Einzige sein wollte, welcher ein solches Gefäß besäße, nach Dio Cassius wäre es aber vielmehr Mißtrauen und Furcht gegen einen so geschickten Menschen gewesen, welche den Kaiser zu dieser schändlichen That veranlaßt hätten. Nach dieser dritten Lesart hätte der Kaiser den Künstler früher, als er einen gesunkenen Säulengang in Rom mit bewunderungswürdigem Geschick gehoben, reich beschenkt, aber aus Rom, wo er so erfindungsreiche Künstler nicht haben wollte, verbannt. Allein dieser, welcher den Beweggrund der Ungnade nicht recht eingesehen haben mußte, sei wieder vor dem Kaiser erschienen und habe ein vor seinen Augen am Boden zerschmettertes Glasgefäß mit den Händen wieder zusammengefügt, um durch diese Kunstfertigkeit die Huld des Tyrannen wieder zu gewinnen. Der Kaiser aber konnte hierin nur den Beweis finden, daß der Mann wirklich gefährlich sei, und ließ ihn tödten. Es scheint mir zweifellos, daß den Erzählungen eine Thatsache zu Grunde liegen muß.“

„Wenn die Sache sich so verhält,“ nahm unser Junggesell, das Wort, „so bin ich noch fester von der alten, wie von der neuen Erfindung überzeugt, denn in Glaskünsteleien waren die Alten uns in der That weit überlegen. Im Alterthume wurden aber solche Künsteleien auch bezahlt. Gewiß haben die Alten nicht so schöne Spiegelscheiben gemacht, wie die, hinter der wir hier sitzen, weil die Witterung im Süden weniger dazu nöthigte, aber man leistete in anderer Beziehung Staunenswürdiges, goß Glassäulen für Tempelhallen, und in dem berühmten Theater des Aedilen Scaurus war ein Stockwerk ganz aus Glas gebaut. Was meinen Sie dazu,“ wandte er sich an mich, „sollte man es nicht durch eine besondere chemische Mischung dahin bringen, Glas so elastisch und biegsam wie Glimmer und Marienglas zu machen?“

„Ich halte die Angaben für gar nicht so unglaublich,“ entgegnete ich, „denn am Ende beweisen ja doch die Schmuckfedern, Blumen, Quasten und Perrücken, welche man aus gesponnenem Glase anfertigt, wie sehr elastisch dieses Material sein kann.“

„Ganz recht,“ warf der Kunstfreund ein, „aber diese Glasfäden sind trotz ihrer Dünnheit keineswegs vollkommen elastisch und brechen sehr leicht, wenn man sie stark zusammenbiegt.“

„Gerade wie auch die Damascener Stahlklingen zuletzt brechen, während der gar nicht elastische Zinnstab zwar ‚schreit‘ wenn man ihn biegt, aber nicht bricht,“ erwiderte ich. Auch macht man jetzt Gespinnste aus Glasfäden, die vollkommen weich und nur zerreißbar, aber nicht zerbrechlich sind. Man erzeugt das Glasgespinnst, wie Sie wohl wissen werden, indem man ein Stäbchen von gefärbtem oder ungefärbtem Glase in einer Gebläselampe anschmilzt, die Spitze wie Siegellack zu einem Faden auszieht und diesen auf die Umfangsrinne eines großen Spinnrades bringt, welches so schnell, wie nur immer möglich, gedreht wird. Es spult sich dort ein endloser, so lange der Stab in der Flamme bleibt, beinahe niemals reißender Faden auf. Ein österreichischer Glaskünstler, Julius von Brunfaut, fand vor einer Reihe von Jahren, daß eine besondere Glassorte hierbei nicht den gewöhnlichen, starren, haarartigen Glasfaden gab, sondern ein unendlich feineres Gespinnst, welches, von dem Rande des Spinnrades entfernt, sich sofort auf etwa den fünften Theil seiner Länge zusammenkräuselt und mit der hohen Weichheit loser Seide den höchsten Atlasglanz verbindet, so daß aus dunkelgelbem Glase eine Wolle gewonnen werden kann, welche diejenige des goldenen Vließes Jason’s täuschender nachahmt, als es je die Phantasie eines Dichters sich in ihren Träumen ausgemalt hätte. Aus solchen Glasfäden, die den Spinnenfaden unendlich an Feinheit übertreffen, habe ich auf der Wiener Weltausstellung Gewebe gesehen, gegen welche die sogenannte „gesponnene Luft“ der Indier, d. h. ihre feinsten Shawls, als recht grobe irdische Fabrikate erschienen. Im Märchen wird von schimmernden Feenkleidern erzählt, die in einer Nußschale Platz hatten. J. von Brunfaut hat aus feiner Glaswolle Gewebe von einer ähnlichen ätherischen Feinheit fertigen lassen, z. B. Brautschleier von drittehalb Ellen im Geviert, die in einer wallnußgroßen Kapsel Platz haben und durch einfaches Anblasen in ihrem ganzen märchenhaften Schimmer entfaltet werden. Er hat aus diesem nicht nur elastischen, sondern geradezu weichen Material Garnituren, Stickereien, eine Art Astrachan und Plüsch, Stoffe von ebenso unvergänglicher wie unvergleichlicher Farbenpracht herstellen können. Warum sollte eine veränderte Glasmischung nicht auch zur Fabrikation biegsamer Geräthe dienen können?“

Als ich dies kaum ausgesprochen hatte, sahen wir einen fremden Herrn, der seit einigen Minuten am Nachbartische Platz genommen und unserem Gespräche zugehört hatte, in seine Tasche fassen und uns ein Uhrglas vor die Füße werfen, so daß es lebhaft klingend in die Höhe sprang, ohne indessen zu zerbrechen. Das Erstaunen des Kaiser Tiberius kann nicht viel größer gewesen sein als das unserige, obwohl es nicht der Sache galt, an die wir ja bereits glaubten, sondern dem unvermutheten Zusammentreffen.

„Sie sind gänzlich im Irrthum,“ sagte der Fremde, indem er das Schälchen noch einige Mal etliche Fuß hoch auf die Marmorplatte des Tisches niederfallen ließ und es mir dann reichte. „Sie sind gänzlich im Irrthum, wenn Sie glauben, daß die Festigkeit des Glases, welches, wie Sie sehen, äußerlich nicht von anderem Glase zu unterscheiden ist, von einer besonderen Mischung der Glasmasse herrühre; sie ist vielmehr durch eine nachträgliche Härtung hervorgerufen. Es ist übrigens kein französisches Hartglas, das Sie hier sehen, sondern Berliner Fabrikat.“ Auf unsere Bitte, Genaueres mitzutheilen schützte er indessen ein dem Erfinder gegebenes Versprechen zur Geheimhaltung der Sache vor, und überließ uns, nachdem er sein Getränk schnell genossen, unserer Ueberraschung. Unterstützt von meinen beiden Freunden, habe ich die inzwischen über das Hartglas in die Oeffentlichkeit gekommenen Nachrichten gesammelt, um sie dem Leser, wie folgt, im Zusammenhange darzubieten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_450.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)