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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 26.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.



Zwei Diener.
Eine Hofgeschichte aus der Patriarchalzeit.
(Schluß.)


Den Präsidenten führte sein Weg quer über den Markt an der Hauptwache der Grenadiergarde vorüber und dann zum Schlosse hinauf. Aber er ging nicht nach dem von den gräflichen Herrschaften bewohnten neuen Schloßflügel, sondern erstieg zunächst die steinerne Wendeltreppe, welche zur Wohnung des Garde-Obersten hinaufführte, und trat dann unangemeldet in dessen Wohnstube.

Der greise Inhaber dieses Zimmers schien durch den Besuch des Präsidenten sehr überrascht zu sein.

„Morgen früh Punkt sechs Uhr muß eine der Gardecompagnien in Brandenfels sein,“ bestimmte dieser. „Wollen Sie danach gütigst Ihre Maßnahmen treffen, Herr Oberst!“

„Eine Compagnie? Nach Brandenfels? Aber du mein lieber Himmel, wie soll ich das machen?“ rief der Alte händeringend. „Die Leute sind jetzt auf dem Felde und mit diesen oder jenen Arbeiten beschäftigt. O mein Himmel, o mein Himmel! Darf man nicht wenigstens erfahren, zu welchem besonderen Zwecke –“

„Morgen werden Sie auch dies wissen. Einstweilen schreibe ich hier eine Ordre für den commandirenden Hauptmann. Sie unterzeichnen dieselbe, ohne sie zu lesen, und ich versiegle sie dann. Herr von Felsewitz übernimmt das Commando, und da der Hauptmann etwas confus ist, so begleitet ihn Feldwebel Lindenzweig von der ersten Compagnie. Sobald Sie mich mit dem Grafen vorüberfahren sehen, werden Sie dem Hauptmann die versiegelte Ordre zustellen. Adieu, Herr Oberst!“

Der Präsident schritt rasch durch den langen Corridor, welcher von der Wohnung des Obersten nach dem neuen Schloßflügel hinüberführte, und ließ sich dort durch den Kammerdiener beim Grafen melden, der ihn auch sofort empfing.

„Sie kommen gerade zur rechten Zeit, wenn Sie mir etwas mitzutheilen haben,“ sagte der Graf, indem er sich aus dem bequemen Lehnstuhle erhob. „Wollte soeben zu meiner Schwester hinübergehen. Ich kann nun einmal mit Niemand lange böse sein und mit Charlotten am wenigsten.“

„Erlaucht würde dort durch Höchstihren Besuch eine große Freude hervorrufen,“ sagte der Präsident kluger Weise zustimmend. „Auch unsere erlauchte Comtesse hat es sicher schon bitter bereut, sich in eine Intrigue gemengt und so schließlich den erlauchten Bruder erzürnt zu haben.“

„Meine Schwester intriguirt, wie Sie wissen, nie,“ verwahrte sich der Graf halb lächelnd und halb ernst. „Die Schuld daran, daß ich meinen treuen Tyras verlor, trifft am Ende nur mich. Warum mußte ich den Hund mit nach Brandenfels nehmen, wenn es einen Besuch zu machen galt!“

„Nein, Erlaucht, ich kann dies nicht zugeben. Der Domänenrath weiß, wie alle Welt, wie sehr Erlaucht den Hund liebten, und er hätte deshalb nicht so brutal wie ein Wilder d’reinschlagen sollen. Doch ich will das Herz Euer Erlaucht jetzt nicht durch solche Erinnerungen von Neuem betrüben. Im Gegentheile, ich komme, um einen Vorschlag zur Zerstreuung zu machen. Der Förster von Brandenfels war heute bei mir –“

„Ich habe ihn über den Markt gehen sehen,“ fiel der Graf ein.

„Nun wohl, durch ihn weiß ich, daß jetzt mehrere capitale Rehböcke von uns nach den Forsten des Domänenraths hinüber wechseln, wo doch der Rehstand ohnehin gut genug ist. Wie wäre es, Erlaucht, wenn wir in dieser Nacht wieder einmal –“

„Sie sind ein schlimmer Versucher,“ erklärte der Graf, in dessen Augen bereits das Jagdfieber aufleuchtete. „Sind wir auch vor unangenehmen Ueberraschungen völlig sicher?“

„Seien Erlaucht unbesorgt! Der Domänenrath kommt uns diesmal nicht in den Weg,“ beruhigte Herr von Straff. „Wenn also Erlaucht zustimmen, so fahren wir sofort in meinem Wagen nach dem Hirschsprunge hinüber und von dort, sobald es dunkel ist, nach dem Eulenschrei im Hartmann’schen Forste.“

„Aber der Oberlandjägermeister muß auch bei der Partie sein, sonst ist der Spaß nur halb gelungen,“ erklärte der Graf. „Besorgen Sie also das Weitere! Auf Wiedersehen, Herr Präsident!“

Eine kleine Viertelstunde nach diesen Vorgängen schirrte Johann bereits die beiden Braunen an den leichten Jagdwagen des Präsidenten.

„Auge um Auge und Zahn um Zahn,“ murmelte er dabei zwischen den festgeschlossenen Zähnen hervor. „Dafür, daß meine Notizen über die Hainröder Erbschaft dem Grafen insgeheim zugehen, ist bestens gesorgt. Was wohl der Max Theodor für ein Gesicht macht, wenn er unversehens mein sauberes Memorandum in der Tasche findet? Das unverschämt offene Billet unseres liebenswürdigen Fräuleins soll auch zur rechten Zeit in die Hände der Comtesse kommen, dafür bürge ich und meine brave Muhme. Ich werde es dem Herrn Präsidenten schon eintränken. Welch’ ein Wonnegefühl, der geheime Herr seiner Gesellschaft zu sein!“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_425.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)