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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Lebens nicht sicher. Täglich hörten wir von Mißhandlungen der brutalsten Art. Noch heute sind Fälle dieser Art ja in Aller Gedächtniß. So die Schleifung und gefährliche Verwundung unseres sächsischen Johanniters, des Herrn von Lüttichau. So auch die Katastrophe, in welche der Correspondent der „Daily News“, Colonel Formes, gerieth, als er beim Einzuge unserer Truppen in Paris den Zorn der Straßenbevölkerung dadurch auf sich gelenkt hatte, daß der Kronprinz von Sachsen einige Worte mit ihm sprach.

Unter solchen Umständen war auch die geläufige englische Redeweise Gerstäcker’s ihm kaum nachhaltig zu Statten gekommen. Und wie, wenn ihn gar Einer erkannte! Und sein Aeußeres war ja oft genug Gegenstand von Darstellungen gewesen. Ich rieth ihm daher sehr nachdrücklich, von dem Vorhaben abzustehen und so sehr er fühlte, welch’ einen lesenswerthen Bericht seiner Feder er drinnen im Stiche ließ, war er doch selber ohne alles Vertrauen zu der Sache und stand also davon ab.

Als ich ihn einige Tage darauf wiedersah, beschlossen wir, Versailles zu verlassen und deshalb auf einen Privatwagen, der uns wenigstens bis Lagny bringen könne, Jagd zu machen.

Dieser war bald gefunden und schon am nächsten Morgen wurde die gemeinsame Fahrt angetreten.

Natürlich hielt es schwer, sich während der Fahrt zu beköstigen, und wo sich dies machen ließ, verdarb es Gerstäcker wieder durch seinen Widerwillen gegen das Völkchen, auf dessen guten Willen man angewiesen war. So verweigerte ihm eine schöne, heftig blickende Person, welche in einem Orte des bairischen Belagerungskreistheils ein Café-Stübchen hielt, die Ablassung einer Tasse Kaffee, nachdem er sie, wie sie behauptete, auf höchst schnöde Weise der Unsauberkeit bezichtigt habe. „Ich gab dem Monsieur,“ sagte sie, „auf sein Verlangen ein Glas zum Weintrinken und er wies es zurück, weil ich’s nur in Wasser ausgespült, nicht aber abgetrocknet habe. Kann man Unsinnigeres verlangen? Ist ein öfter gebrauchtes Tuch je so sauber wie klares Wasser? Und jetzt will er sich herbeilassen aus meinen Tassen Kaffee zu trinken? Nimmermehr!“

Da diese sehr bestimmt redende Schöne die einzige Vertreterin ihres Geschlechts in jenem Bezirke war, so herrschten ihre Launen natürlich unumschränkt wie Lili in ihrem Thierparke, und Gerstäcker mußte sich mit dem Troste beruhigen, daß der ihm versagte Kaffee stark nach Brasil duftete.

Wir haben dann Abends Lagny erreicht, und da auch hier für Geld und gute Worte so gut wie nichts zu erlangen war, vor Allem kein Bett, so ist es endlich dahin gekommen daß von dem Rathe eines pommerischen Schaffners Gebrauch gemacht wurde: man möge sich’s die Nacht über nur, ohne weiter Jemanden um Erlaubniß zu fragen, in einem der Coupés des im Bahnhofe stehenden Zuges bequem machen; der gehe am nächsten Morgen nach Deutschland, und wer einmal d’rin sitze, den werfe man schon nicht so leicht hinaus.

Ich selbst hatte noch keine Eile, heim zu kommen. Gerstäcker war aber herzlich froh, dem Winke des ehrlichen Pommers folgen zu können, und verkroch sich sogleich mit seinem Reisesacke oder seinem Büffelfelle in die finsterste Ecke eines der leeren Coupés, in welchem er denn auch, wie ich Tags darauf ermittelte, unbemerkt aus Lagny herausgekommen ist. Einmal im Zuge, konnte er sich dann so ziemlich für reiselegitimirt betrachten und so ist er mit seinen Wandernotizen im Kopfe und in der Tasche nach Deutschland heimkutschirt, rüstig und unermüdlich – Niemand hat wohl geahnt, daß diese Reise seine letzte sein sollte.




Ostafrikanische Wald- und Wasserbilder.[1]
Von J. M. Hildebrandt.


Bei Erwähnung des Namens Afrika formt sich dem Unkundigen gewöhnlich ein Bild starrer Wüstennatur. Nirgends Leben, nur „einsam und trauernd“ steht die Palme; vielleicht daß der nächste Gluthwind auch ihr freudloses Dasein vernichtet. Allerdings ist der Charakter des nordafrikanischen Wüstengürtels, der sich von West nach Ost über den Continent verbreitet und durch Arabien sogar bis tief in’s Innere Asiens als Schamo hinzieht, wenig besser. Aber wie der Ocean seine Gestade hat, die er vergebens anbraust, so sind auch dem Sandmeere seine Grenzen vorgezeichnet. Als mächtige, vielzerklüftete Insel steigt die abessinische Bergmasse aus ihm empor. Weder die sudanesischen Steppenwüsten von Nord, noch die Sanddünen des Rothen Meerstrandes von Ost, noch die Dürre der Somâli-Plateaux von Süd vermögen den ewig jugendlich frischen Bergriesen Habesch zu bezwingen. Stolz erhebt er sein waldumkränztes Haupt in die Wolken, die, aus der Verdunstung des Indischen Oceans gebildet, sich an seiner kalten Felsstirn niederschlagen, um als Quellen und Wildbäche, hinabrieselnd in die Thäler, deren Verlauf sie folgen, nordöstlich und östlich in’s Rothe Meer und das Salzbassin des Uferlandes zu fließen, südlich in weitem Laufe als Dschub zum Indischen Ocean zu strömen, südwestlich und westlich endlich ihren Tribut dem Urvater Nil zu bringen, dieser Aorta im nordafrikanischen Flußgeäder, die so recht eigentlich aus dem Herzen Afrikas, den großen Binnenseen, hervorquillt.

Das südliche Gestade des Sandmeeres wird theilweise vom Tschadsee und seinem Flußsysteme gebildet.

Wie das Blut dem thierischen Körper Leben und Wachsthum vermittelt, so führen diese Stromadern das befruchtende Element, das Wasser, weithin durch die Wüste und zaubern die überschwengliche Pracht tropischen Pflanzenwuchses inmitten trostloser Einöden.

Südafrika bis zum Wendekreis des Steinbocks zeigt in seinen Steppen und Wüsten ein dem eben entworfenen ähnliches Bild. Die mittlere Zone unseres Continentes jedoch, vom Senegal bis Benguëla einerseits, von Sansibar bis Mosambik andererseits, und die weite Mulde im Herzen desselben, das Seengebiet, ist von der Mutter Natur in wunderbarer Weise begünstigt. Hier, wo Passat- und Monsûnwinde die von der senkrechten Tropensonne aufgesogenen Wasserdämpfe des Atlantischen und Indischen Oceans über das Land breiten und durch ihre von der Erdoberfläche verschiedene Temperatur sich als Nebel und Regen niederlagern, sind die Bedingungen zu luxuriösestem Pflanzen- und Thierleben gegeben, Bedingungen, wie sie in der Jugend unseres Planeten geherrscht haben, was das Museum der Natur in Steinkohle, lithographischen Abdrücken und plastischen Darstellungen durch Versteinerung mächtiger Knochengerüste, die einst von Fleisch und Blut belebt waren, bezeugt. Ist auch in anderen Erdstrichen dieses jugendliche Feuer längst erloschen, in unserem Gebiete hat sich die productive Urkraft erhalten. Liebliches Parkland, aus majestätischen Palmenhainen und vielerlei fremdartigen Bäumen gebildet, die wie von künstlerischer Hand in stets grünem Krautteppiche gewoben, auf dem die Giraffe – die Scherifa der Araber, das heißt die Liebliche – und seltsam gehörnte Antilopen weiden, scharf ausspähend nach dem allgewaltigen Löwen und dem listig schleichenden Leoparden, wechselt in den Niederungen mit für den Menschen undurchdringlichen Gras- und Schilfwäldern – Wäldern, denn baumartig und übermanneshoch wuchert der Graswuchs. – Aus ihnen erhebt sich die Riesengestalt des Baobab, dieses „Dickhäuters unter den Bäumen“. Sein Alter reicht weit hinaus über die Periode, in die der kurzsichtige Mensch das Geburtsjahr der Welt setzt. Mächtige säulenstämmige Palmen mit klafterbreiten Fächer- oder, wie die Weinpalme, mit oft bis zwanzig Fuß langen Fiederblättern, wetteifern mit ihm an Höhe. Hier haust der Elephant, das Nashorn und der trotzige breithörnige Büffel.

Da endlich, wo das Wasser sich in tiefliegenden Gründen sammelt, sei es, um stagnirend Sümpfe zu bilden oder in Flußbetten hinzuziehen, da erwächst der Urwald in seiner ganzen

  1. Anknüpfend an seinen Artikel „Die Jagd auf Flußpferde“ (Gartenlaube 1874, Nr. 43) und denselben gewissermaßen ergänzend, giebt der berühmte Afrika-Reisende in dem obigen instructiven Beitrage eine überaus interessante Schilderung des afrikanischen Flußlebens. Bekanntlich hat unser vielgewanderter Mitarbeiter seine Forscherreisen kürzlich wieder aufgenommen und ist, wie wir dem Berichte des Prof. H. Vogel, eines Mitgliedes der Venus-Expedition, entnehmen, jüngst in Aden gesehen worden, von wo er sich wiederum in das Land der wilden Somali zu begeben gedenkt.
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_419.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)