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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


königlichen Familie gewiß nur lobenswerth. Es fragt sich aber doch, ob es gerade den Römern gegenüber gut angewandt ist, die selbst für ihre eigene Person den Prunk so sehr lieben und auch die Prachtentfaltung Anderer so gern bewundern. Durch Nichts leichter als durch Luxus vermag man dem stark auf das Sinnliche gerichteten Römer zu imponiren, und so wäre es vielleicht nur eine Sache der Klugheit, wenn die königliche Familie der besonderen Neigung und den besonderen Liebhabereien ihrer ohnedies noch nicht ganz gewonnenen und immer noch mehr oder minder mit demokratischen oder gar päpstlichen Elementen versetzten Unterthanen etwas mehr entgegen kommen und dem Papste zugleich zeigen würde, daß er auch hierin zu ersetzen sei.




Ein Collegium practicum.[1]


Es war im Sommer 1848 unter den Eichen des Leipziger Rosenthals, im Café Bonorand. Wir saßen an einem großen runden Tische zusammen, Studenten, Schriftsteller und Künstler, und debattirten über die Errichtungen des neuen deutschen Reichs, das damals in der Paulskirche zu Frankfurt am Main geschaffen werden sollte. Auf allen Gebieten des Staatslebens vollzogen sich die kühnsten Umwälzungen, natürlich zunächst nur in unseren Köpfen. Die Mehrzahl der Gesellschaft bestand aus jungen Juristen, von denen die meisten kaum das Pandectensemester hinter sich hatten, was bei mir selbst der Fall war, ein Umstand, der uns indessen nicht abhielt, die einschneidendsten Reformen auf dem Gebiete der Rechtspflege zu beschließen.

„Ja, das ist Alles recht schön und gut,“ warf da einer der Anwesenden, ein Journalist, im Vormärz viel genannt, ein, „aber was hilft das Alles? Brummen wird man auch in Eurem Zukunftsstaate müssen, und das ist eine höchst unangenehme Einrichtung auf dieser bestmöglichsten aller Welten. So ein Richter hat gar keinen Begriff davon, was es heißt, eingesperrt zu werden. Ich habe herzensgute Menschen unter den Criminalrichtern gekannt, die den Bissen Brod mit ihren Nebenmenschen theilten, aber mit der größten Gemüthsruhe mich, der ich ihr Dutzbruder war, wegen eines Zeitungsartikels zu ein paar Monaten Gefängniß verurtheilten. Das ist schauderhaft, Kinder, wirklich schauderhaft.“

Einige lachten über die Geberde des Abscheus, mit welcher der Journalist die letzten Worte begleitete.

„Die Sache ist nicht lächerlich,“ fuhr dieser fort; „wer noch nie gefangen war, hat keinen Begriff, wie peinlich und schmerzhaft das Gefühl für einen Menschen ist, der bis dahin Herr seiner selbst war, hinter einer verschlossenen Thür zu sitzen, nicht nach Belieben gehen oder bleiben zu dürfen, mit einem Worte, seiner Freiheit beraubt zu sein. Ich bin überzeugt, wenn die Gesetzgeber und Richter dieses Gefühl aus eigener Erfahrung kennten, sie würden bei vielen Vergehen, zumal bei solchen, die auf einer Meinungsverschiedenheit über staatliche Dinge beruhen, also bei politischen und Preßvergehen, viel gelindere Strafen festsetzen.“

„Dann wäre es zweckmäßig,“ warf ich schüchtern ein, „wenn jeder Jurist ein Collegium practicum im Brummen durchmachte.

Die Gesellschaft lachte über den Einfall. Die Meisten von uns hatten keine Ahnung, daß ihnen dieses Collegium practicum sehr nahe war. Die Maiereignisse von 1849 hatten zahllose politische Untersuchungen in Sachsen zur Folge, und auch von den Mitgliedern jener Nachmittagsgesellschaft im Café Bonorand wurden viele darein verwickelt. Mich hatte ebenfalls das Geschick erreicht, und wegen Aufreizung zum Kriege gegen die deutschen Fürsten, Versuch des Hochverraths etc. wurde mir ein Proceß gemacht, der sich ziemlich lange hinauszog und erst nach Beendigung meiner Studien und meiner juristische Prüfung im Jahre 1852 mit einer Verurtheilung zu achtzehn Monaten Gefängniß schloß.

Als Aufenthaltsort für diese achtzehn Monate wurde mir Schloß Hubertusburg bestimmt. Der Ort ist bekannt und berühmt durch den Friedensschluß, der hier den siebenjährigen Krieg beendete. Das Schloß liegt im Kreisdirectionsbezirke Leipzig, vielleicht zwei Stunden von der Station Luppe-Dahlen an der Leipzig-Dresdener Eisenbahn. Am Himmelfahrtsmorgen 1852 trat ich, von einem Beamten des Leipziger Criminalgerichts und ein paar Freunden begleitet, denen die Stunde meiner Abreise in meine Sommerfrische bekannt war, früh sechs Uhr vom Dresdener Bahnhofe in Leipzig aus meine Fahrt nach Schloß Hubertusburg an.

Mein officieller Begleiter war ein höflicher Mann, der sich zwar in denselben Waggon, aber in ein anderes Coupé setzte, so daß wir ungestört plaudern konnten. In Luppe-Dahlen klangen noch einmal die Gläser zum Abschied aneinander, dann trennten wir uns. Meine Freunde reisten nach Leipzig zurück; ich bestieg mit dem Beamten eine Postkutsche, die uns nach vielleicht anderthalbstündiger Fahrt nach Wermsdorf brachte, dem nächsten größeren Dorfe, das kaum zehn Minuten von Hubertusburg entfernt liegt.

Eine Pappelallee führte hinauf zum Schlosse. Das Schloß und die Umgegend betrachtend, ging ich mit meinem Begleiter dem Orte zu, in welchem ich eine Zeitlang mich aufhalten sollte.

„Sie werden sich in Hubertusburg bald eingewöhnen. Ueberdies treffen Sie viel Gesellschaft dort,“ meinte der Beamte, „es sind nicht drei Zellen leer.“

Wir standen vor dem Thore des ehemaligen Jagdschlosses, über welchem ein kupferner Hirsch, der früher vergoldet war, prangte. Das Thor öffnete sich. Der Beamte gab seine Papiere und mich an einen anderen Beamten ab. Ich gab ihm die Hand.

„Adieu, Herr Wachtmeister! Reisen Sie glücklich nach Leipzig und behalten Sie mich in gutem Andenken!“ Wir schüttelten uns die Hände, und im nächsten Augenblicke stand ich vor dem Manne, der für die nächsten achtzehn Monate über die Art und Weise meines Lebens zu entscheiden hatte, dessen Willen ich mich unbedingt zu fügen hatte. Es war der Director der Anstalt, ein Hauptmann von der Armee, Herr Rudolph von Bünau. Herr von Bünau war ein Mann in den vierziger Jahren; er trug die Uniform der nicht activen sächsischen Officiere. Den Arm auf den Schleppsäbel gestützt, stand er an seinem Pulte und empfing mich mit einer Anrede, die in ernster, aber theilnehmender Weise sein Bedauern ausdrückte, daß sich ein so junger Mensch, statt sich nur seinem Berufe zu widmen, in solche gefährliche und verwerfliche politische Unternehmungen eingelassen. Darnach frug er mich, in welcher Weise ich mich hier beschäftigen wolle. Die Frage hing eng mit der Unterhaltsfrage zusammen, da Gefangene, die sich nicht selbst verpflegen können, von Seiten der Anstalt beschäftigt wurden. Ich erklärte ihm, daß ich meinen Unterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten würde.

„Ah so! dann können Sie Ihre Studien nach Belieben treiben.“ Darauf verabschiedete sich der Hauptmann-Director, und ich wurde von einem der Aufseher mit meinem Gepäck in eine Zelle geführt, die am Tage vorher ein Maigefangener, dessen Haft abgelaufen – es war der Advocat und Landtagsabgeordnete Bürgermeister Tzschucke aus Meißen – verlassen hatte. Der Aufseher gab mir eine kurze Darlegung der Hausordnung in Schloß Hubertusburg, stellte einen Krug frischen Wassers auf den Tisch und ließ mich dann allein, hinter mir zuschließend. Ich hatte die äußerste Zelle im sogenannten Flora-Pavillon inne. Abgesehen von einer unerträglichen Wärme, welche durch die Sonne und durch die große Küchenesse, die ihren Weg durch meine Zelle nahm, erzeugt wurde, war meine neue Wohnung ganz leidlich. In einem vor der Zelle befindlichen Alkoven stand das Bett. Das Fenster der Zelle ging auf den Garten des Schlosses, hinter welchem sich eine hügelige Landschaft ausdehnte. Ich rückte meinen Sessel an das vergitterte Fenster und betrachtete

  1. Der vorstehende Artikel, lediglich durch die jüngst mehrfach besprochene Behandlungsweise hervorgerufen, welche die wegen politischer Vergehen Verurtheilten in Plötzensee und anderen Gefängnissen erfahren haben, will nur in flüchtigen Strichen die Thatsache illustriren, daß das Gefängnißwesen von heute mit den Humanitätsreformen auf anderen Gebieten in mancher Beziehung nicht Schritt gehalten hat, vielmehr im Vergleich mit den betreffenden Zuständen früherer Zeit hier und da sogar einen Rückschritt bekundet.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_353.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2016)